Behandelter Abschnitt Hld 5,9
„Was ist dein Geliebter vor einem anderen Geliebten, du Schönste unter den Frauen? Was ist dein Geliebter vor einem anderen Geliebten, dass du uns so beschwörst?“ (Hld 5,9).
Was könnte dem Herzen angenehmer sein, was es mehr zu Lob und Dank stimmen, als das Bewusstsein, dass wir für den, den wir am meisten lieben, schöner sind als alles andere? Sind wir versichert, dass das die Gedanken des Herrn über uns sind, so kann unsere Seele in süßem Frieden ruhen; wir verlangen dann nichts mehr. Wie erfreut es auch das Herz, wenn andere, die mit Neid und Eifersucht erfüllt sein könnten, von uns und zu uns reden, wie Er Selbst es tut! Höheres kann es wahrlich nicht geben.
Und so wird es binnen kurzem sein mit der Tochter Zion, der schönen Braut des wahren Salomo. Wenn sie unter ihrem Messias in die vollen Segnungen des Reiches eingeführt und von Ihm Selbst hoch geehrt sein wird, dann werden alle mit Freuden ihr zurufen: „Du Schönste unter den Frauen“. Die „Töchter Jerusalems“ stellen hier wohl die Städte Judas vor, die an dem Tag der zukünftigen Herrlichkeit einen niedrigeren Platz haben werden als Jerusalem, obgleich sie sich in demselben Kreis des Segens befinden.
Jerusalem und die Juden werden dann den Ehrenplatz auf dieser Erde einnehmen, und alle Nationen werden ihre Gunst suchen und sich unter den Schutz ihrer Flügel begeben. „So spricht der Herr der Heerscharen: In jenen Tagen, da werden zehn Männer aus allerlei Sprachen der Nationen ergreifen, ja, ergreifen werden sie den Rockzipfel eines jüdischen Mannes und sagen: Wir wollen mit euch gehen; denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist“ (Sach 8,23). Das ist offenbar noch zukünftig. Aber der Geist der Prophezeiung geht noch weiter, wenn Er von der Wiederherstellung der Kinder Zions spricht, indem Er sagt: „Und Könige werden deine Wärter sein, und ihre Fürstinnen deine Ammen; sie werden sich vor dir niederwerfen mit dem Gesicht zur Erde und den Staub deiner Füße lecken. Und du wirst erkennen, dass ich der Herr bin: die auf mich harren, werden nicht beschämt werden“ (Jes 49,23).
Welch ein Wechsel für die Juden, wenn dies stattfinden wird. Welch eine gesegnete Veränderung für das so lange zu Boden getretene Volk. Wie wunderbar ist die Geschichte dieses Volkes, wenn wir seine Vergangenheit, seine Gegenwart und Zukunft miteinander vergleichen!, „Geht hin, schnelle Boten, zu der Nation, die geschleppt und gerupft ist, zu dem Volk, wunderbar seitdem es ist und hinfort, der Nation von Vorschrift auf Vorschrift und von Zertretung, deren Land Ströme beraubt haben“ (Jes 18,2). So war es einst; aber in welch gesegneter Weise wird am Ende alles verändert sein! Unter dem Bild einer Braut, eines Gegenstandes der Liebe, der Bewunderung und der Freude, ist wieder und wieder in der Schrift von dem Überrest Judas die Rede. Der hochgelobte Herr Selbst, der Überrest aus den anderen Stämmen Israels, samt den Nationen um sie her, werden miteinander ihre unvergleichliche Schönheit bewundern. An jenem Tage wird das ganze Volk, die zwei und die zehn Stämme, in sein Land zurückgeführt werden, und zwar jeder Stamm in sein eigenes Los.
Auf die Frage der Töchter Jerusalems: „Was ist dein Geliebter vor einem anderen Geliebten, dass du uns also beschwörst?“ antwortet die Braut sofort mit einer langen Beschreibung ihres Geliebten. Mit einer Schärfe und Genauigkeit, die nur aus einer unvermischten, tiefen Liebe hervorgehen können, entwirft sie ein Bild von Ihm. Ihre Gefühle und Zuneigungen sind mit doppelter Stärke erwacht gerade um der Vorwürfe willen, die sie sich machen muss. Ihre Erinnerung an Ihn ist umso lebhafter, weil sie Ihn vernachlässigt hat, und alle ihre Gefühle sind tief erregt, weil sie Ihn nicht findet. In diesem Gemütszustand beschreibt sie Ihn den Töchtern Jerusalems von Kopf bis zu Fuß. O wären wir doch auch allezeit bereit, in dem Augenblick, da sich die Gelegenheit dazu darbietet, von Jesus zu reden!
Die Braut bedurfte keiner Zeit zum Nachsinnen. Erfreut über die Gelegenheit, von Ihm zu erzählen, ist alles, was sie braucht, ein hörendes Ohr und ein glaubendes Herz. Wie in anderen Tagen bei der Frau am Jakobsbrunnen, fließt auch ihr Herz über. Ihre Liebe nimmt gerade durch die Enttäuschung, die sie erfährt, einen leidenschaftlichen Charakter an. Es erleichtert ihr Herz, von Ihm reden zu können. Liebe ist die beste Gabe eines Evangelisten, Liebe zum Heiland und Liebe zu verlorenen Sündern. Und wenn diese Liebe sich zu einer leidenschaftlichen Höhe erhebt, wird der Mund beredt. Er beschreibt mit wahrhaft glühender Beredsamkeit die Schönheiten des Herrn. Lasst uns mit nichts Geringerem zufrieden sein, mein lieber Leser.
Liebe zu Jesus, Liebe zu den Sündern ist gut, aber ein wahrer Evangelist hat mehr als das nötig. Trachte danach, dass dein Herz von wahrem Liebesfeuer durchdrungen sei. Bist du ein Evangelist? Bringe dann alles, was dich in deinem Werk hindern will, auf dem Altar gänzlicher Widmung und Hingebung zum Opfer. Bedenke, dass Evangelium-Verkündigen nicht Lehren ist, und Lehren nicht Evangelium-Verkündigen. Es handelt sich um Leben oder Tod, um ewige, unaussprechliche Segnung oder ewiges, unsagbares Weh. Denke an die ernste Zukunft und schreie zu Gott, dass nicht eine Seele ungesegnet und unberührt von dir weggehe!
O sprich von Ihm, von Seiner Liebe, Die all Erkennen übersteigt; Von Ihm, der von des Vaters Throne zu Sündern sich herabgeneigt; Der kam, vom Tode zu erretten, uns zu befrei‘n aus Satans Ketten!
Ja, sprich von Jesus, von der Gnade, Die allen, allen Hilfe bot;von Seinem Leben, Seinem Wirken, Von Seinem Leiden, Seinem Tod; Und Seine Taten, Seine Worte Verkünde laut an jedem Orte!“