Behandelter Abschnitt Röm 3,10-18
Die Zitate aus dem Alten Testament als Beweis der Schuld des Menschen
„‚Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer.‘ ‚Ihr Schlund ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen handelten sie trügerisch.‘ ‚Schlangengift ist unter ihren Lippen.‘ ‚Ihr Mund ist voll fluchen und Bitterkeit.‘ ‚Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen; Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt.‘ ‚Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen‘“ (3,10–18).
Als erstes zitiert Paulus Psalm 14. In diesem Psalm ist das Zitat mit der Aussage verbunden, dass „der Herr vom Himmel auf die Menschenkinder herniedergeschaut hat, um zu sehen, ob ein Verständiger da sei, einer, der Gott suche“. Die Aussage, die darauf folgt, gibt das Ergebnis des suchenden Blickes Gottes an. Die Wahrheit, die uns vorgestellt wird, ist daher keine Beschreibung, wie wir voreinander dastehen, sondern wie wir vor Gott stehen als gefallene Kinder Adams. Wir sind im Fleisch. In den Zitaten dieses Psalms nimmt Gott uns alles weg, worin wir uns rühmen wollen als natürliche Menschen – die Dinge, mit Hilfe derer wir uns normalerweise vor Gott rechtfertigen wollen.
Zuerst nimmt uns Gott unsere Selbstgerechtigkeit weg. Es ist geschrieben: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer.“ Es ist hart für uns anzunehmen, dass alle unsere Gerechtigkeiten wie dreckige Lumpen sind, und dass es in den Augen Gottes keinen einzigen Gerechten gibt. Wir mögen vielleicht dafür plädieren, dass es wenigstes einige wenige gibt.
Aber Gott sagt: „Nicht einer.“ Das heißt nicht, dass es nicht ehrenwerte Leute unter den Menschen gibt. Aber es gibt keinen einzigen von uns, der Gott die Ihm zustehenden Rechte gegeben hätte. Es wäre nur recht, wenn wir Gott mit unserem ganzen Herzen, mit unserer ganzen Seele und mit unserem ganzen Verstand lieben würden. Aber keiner hat das getan. Daher ist auch niemand gerecht vor Gott.
„Da ist keiner, der verständig ist.“ Die Intelligenz des Menschen ist sehr groß. Aber mit all seiner Kenntnis kann er Gott nicht verstehen. Es ist bekannt, dass die intellektuellsten Menschen im Allgemeinen am wenigsten mit Gott zu tun haben wollen. Es waren die intellektuellen Fürsten dieses Zeitlaufs, die den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt haben (1Kor 2,8). Die Wahrheit ist, dass weder natürliche Weisheit noch Vernunft uns zu einer echten Erkenntnis über Gott oder uns selbst führen werden.
„Da ist keiner, der Gott sucht.“ Die Religion des natürlichen Menschen hat den Schein, als ob nach Gott gesucht würde. Dennoch ist eine Religion der Werke, unfruchtbarer Moral und ritueller Formen weit entfernt davon, Gott zu suchen. In Wirklichkeit handelt es sich um den Versuch, das Gewissen zu beruhigen und Gott auf Distanz zu halten. Der gefallene Mensch mag äußerst religiös sein, aber er sucht nicht wirklich nach Gott.
„Alle sind abgewichen.“ Diese Aussage beschreibt den Eigenwillen des Fleisches, der sich bewusst von dem Weg Gottes abwendet und einen eigenen Weg wählt. Es handelt sich nicht einfach darum, dass wir von dem Weg abkommen, sondern dass der natürliche Mensch Gott ganz bewusst den Rücken zukehrt und einen Weg eigener Wahl beschreitet. Der sogenannte verlorene Sohn verließ das Haus seines Vaters ganz bewusst, um seinen eigenen Weg zu gehen.
„Sie sind allesamt untauglich geworden.“ Das Fleisch wählt jedoch nicht nur seinen eigenen Weg. Die Menschen ziehen einander auch gegenseitig nach unten. Der Mensch versucht, Gott in seinem sozialen Umfeld auszugrenzen. Als der verlorene Sohn aufgrund seines Eigenwillens einen eigenen Weg geht und so in ein weit entferntes Land reist, stürzt er sich in ein soziales Milieu, um in Gesellschaft böser Menschen seinen Vater zu vergessen.
„Da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer.“ Der Mensch mag viele menschenfreundliche Taten vollbringen, die zum Nutzen seiner Mitmenschen sind. Letztlich ist aber das eigene Ich oder der Mensch als solcher das Motiv dafür, nicht Gott. Wenn das Motiv aber nicht gut ist, gibt es nichts, was diese Handlungen in den Augen Gottes gut macht.
Auf diese Weise entblößt Gott das Fleisch und nimmt jede „Bekleidung“ weg, durch die der Mensch versucht, seinen wahren Zustand vor seinen Mitmenschen und vor Gott zu verstecken. Selbstgerechtigkeit, intellektuelle Bemühungen, das religiöse Fleisch, der fleischliche Wille, die sozialen Anstrengungen und auch Wohltaten sind nichts als ein Feigenblatt, mit dem der Mensch versucht, seine Nacktheit zu bedecken. So geben die Menschen voreinander vor, etwas zu sein, was sie nicht sind.
Nachdem der gefallene Mensch dieser Feigenblätter entblößt worden ist, steht er in seinem wahren Charakter da, wie Gott ihn sieht. Die Schriftstellen, die jetzt folgen – Schlund, Zunge, Lippen, Mund und Füße – werden genannt, um die unterschiedlichen bösen Eigenschaften des Fleisches zu zeigen.
Die zweite Schriftstelle, aus der Paulus zitiert, steht in Psalm 5,10, wo wir lesen: „Ihr Schlund ist ein offenes Grab; mit ihren Zungen handeln sie trügerisch.“ Der Schlund offenbart die vollkommene Verdorbenheit des Fleisches – es ist ein offenes Grab. Diese Verdorbenheit zeigt sich durch lügende Lippen.
Das dritte Zitat stammt aus Psalm 140,4: „Schlangengift ist unter ihren Lippen.“ Die Verdorbenheit des Fleisches führt zur Lüge. Und das Lügen führt zum Gift der Verleumdung, Beleidigung und Lästerung. Denn das Fleisch, das jemandem ins Gesicht lügen kann, wird hinter dem Rücken auch verleumden.
Das vierte Zitat steht in Psalm 10,7: „Ihr Mund ist voll Fluchen und Bitterkeit.“ Das Lügen führt zur Verleumdung und diese zum Fluchen. Denn der Mensch, der verleumdet wird, wird mit Fluch und Bitterkeit antworten.
Das fünfte Zitat stammt aus Sprüche 1,16: „Ihre Füße sind schnell, Blut zu vergießen.“ Vom Fluchen und der Bitterkeit ist es nur ein kurzer Weg zum Mord.
Das sechste Zitat findet man in Jesaja 59,7.8: „Verwüstung und Elend ist auf ihren Wegen, und den Weg des Friedens haben sie nicht erkannt.“ Mord bringt Verwüstung und Elend mit sich.
Das siebte Zitat kommt dann aus Psalm 36,2: „Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen.“ Ruin und Elend rauben dem Menschen seinen Frieden. Wenn er keinen Frieden mehr hat, fürchten sich die Menschen voreinander. Gottesfurcht allerdings wird dadurch nicht bewirkt.
Das Gesetz verurteilt jeden, der unter Gesetz steht
So ist der gefallene Mensch jeder Bekleidung beraubt, hinter der er sich verstecken möchte. Er steht da als verdorben, lügend, verleumdend und mordend. In seinem Kielwasser lässt er nur Ruin und Elend zurück. Er geht einen Weg, auf dem kein Friede und keine Gottesfurcht zu finden sind. Das ist das furchtbare Bild des gefallenen Menschen unter dem Auge Gottes. Es ist nicht so, dass jeder dieser Charakterzüge in jedem Einzelnen zu sehen ist, denn es gibt manche Anstrengungen, die volle Offenbarung des Fleisches in seinem ganzen Übel zu verhindern. Im normalen Lebenswandel gibt es beispielsweise Mäßigung durch Erziehung, Zivilisation und äußere Formen der Religion, die das Fleisch daran hindern, sich in seiner ganzen Bösartigkeit zu offenbaren. Wenn aber die passenden Gelegenheiten kommen, wird das Fleisch alle Beschränkungen überwinden und sich in seiner vollen Scheußlichkeit zeigen.
Das Kreuz ist der größte Ausdruck der Liebe Gottes. Und gerade dieses Kreuz wurde die Gelegenheit für den Menschen, die ganze Bosheit seines Herzens auszudrücken. Dort sehen wird die völlige Verderbtheit des Fleisches: Pilatus nennt Christus den „Gerechten“ (Mt 27,24). Er konnte hinzufügen: „Ich finde keine Schuld an diesem Menschen“ (Lk 23,4). Er gibt zu, dass dieser nichts Todeswürdiges getan hat (Lk 23,15), und überlieferte ihn dennoch den Juden, damit Er gekreuzigt würde. Kann es einen stärkeren Ausdruck der Verdorbenheit des Fleisches geben?
Dann denke man an die lügende Zunge. Das Verderbnis des Fleisches in Judas drückte sich in seiner Zunge aus, die er zum Betrug benutzte. Er handelte lügnerisch und sprach eine Lüge aus, als er Jesus verriet. Er sagte: „Sei gegrüßt, Rabbi!, und küsste ihn sehr“ (Mt 26,49). Dann sehen wir das Schlangengift in den Juden. Denn mit falschen Zeugnissen und falschen Worten verleumdeten sie den Herrn und versuchten, die Urteilsfähigkeit von Pilatus gegen den Herrn zu vergiften.
Sie sagten: „Diesen haben wir befunden als einen, der unsere Nation verführt und wehrt, dem Kaiser Steuer zu geben“ (Lk 23,2). Von dieser Verleumdung gehen sie über zu Fluch und Erbitterung, denn wir lesen weiter: „Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten aber standen da und klagten ihn heftig an“ (Lk 23,10). Es ist nur ein kleiner Schritt von Zorn zu Mord. So hören wir sie kurze Zeit später schreien: „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Ruin und Elend folgten diesem Schrei nach, denn diese Menschen begingen den furchtbarsten aller denkbaren Morde, wie der Herr es ihnen vorhergesagt hatte: „Tage kommen, an denen man sagen wird: Glückselig die Unfruchtbaren und die Leiber, die nicht geboren, und die Brüste, die nicht genährt haben! Dann werden sie anfangen, zu den Bergen zu sagen: Fallt auf uns!, und zu den Hügeln: Bedeckt uns!“ (Lk 23,29.30).
Zudem brachte dieser Mord Ruin über die Menschen und raubte ihnen jeden Frieden. Das wird durch die Worte deutlich, die wir im Blick auf das Kreuz lesen: „Und alle Volksmengen, die zu diesem Schauspiel zusammengekommen waren, schlugen sich, als sie sahen, was geschehen war, an die Brust“ (Lk 23,48). In ihrer Brust war kein Friede. Und das alles hatten diese Menschen ohne jede Gottesfurcht getan, denn das Volk sagte: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder!“ (Mt 27,25).