Behandelter Abschnitt Dan 9,16-19
Daniels Flehen zu Gott um Barmherzigkeit
„Herr, nach allen deinen Gerechtigkeiten lass doch deinen Zorn und deinen Grimm sich wenden von deiner Stadt Jerusalem, deinem heiligen Berg! Denn wegen unserer Sünden und der Ungerechtigkeiten unserer Väter sind Jerusalem und dein Volk allen denen zum Hohn geworden, die uns umgeben. Und nun höre, unser Gott, auf das Gebet deines Knechtes und auf sein Flehen; und um des Herrn willen lass dein Angesicht leuchten über dein verwüstetes Heiligtum! Neige, mein Gott, dein Ohr und höre! Tu deine Augen auf und sieh unsere Verwüstungen und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist! Denn nicht um unserer Gerechtigkeiten willen legen wir unser Flehen vor dir nieder, sondern um deiner vielen Erbarmungen willen. Herr, höre! Herr, vergib!
Herr, merke auf und handle; zögere nicht, um deiner selbst willen, mein Gott! Denn deine Stadt und dein Volk sind nach deinem Namen genannt“ (9,16–19).
Nachdem er die Sünde und das Versagen des Volkes Gottes bekannt und darüber hinaus Gott in allen seinen Wegen gerechtfertigt hat, betet Daniel jetzt durch Flehen. Es ist, wie wir denken könnten, bemerkenswert genug, dass seine erste Bitte die Gerechtigkeit Gottes und später die „vielen Erbarmungen“ Gottes beinhaltet. Er erkennt, dass Gnade auf Gerechtigkeit basieren muss. Er hatte bereits die Gerechtigkeit Gottes besessen, indem dieser all dieses Unglück über dieses Volk gebracht hatte (9,14). Jetzt bittet er darum, dass Gott in Gerechtigkeit seinen Zorn und seinen Grimm von Jerusalem abwende.
Die Gegenstände seines Flehens sind die Stadt, der heilige Berg, das Heiligtum und das Volk Gottes. Er bittet nicht für sich selbst, seine eigenen persönlichen Interessen oder für die speziellen Bedürfnisse seiner Mitgefangenen. Sein ganzes Herz ist um die Interessen Gottes auf dieser Erde besorgt. Mögen wir doch mehr den Geist Daniels kennen, dass unsere Herzen so erfüllt sind von dem, was dem Herzen Christi am nächsten und am liebsten ist, dass wir uns lösen von allen persönlichen und örtlichen Bedürfnissen. Dass wir zu Gott rufen für seine Versammlung, seinen Namen, sein Haus und sein Volk, indem wir das gemeinsame Versagen bekennen und die gemeinsame Not spüren.
Es ist bemerkenswert, dass Daniel bei seinem Gebet für die Stadt, den Berg, das Heiligtum und das Volk dies nicht in Beziehung zu sich selbst oder der Nation sieht, sondern als Gott gehörig. Er spricht nicht von unserer Stadt, oder unserem Heiligtum, oder unserem Volk, sondern von „deiner Stadt“, „deinem heiligen Berg“, „dein[em] . . . Heiligtum“ und „dein[em] Volk“. Während er sich über alles Versagen erhebt, wendet er sich an Gott und macht geltend: „Wir sind dein.“
Zuerst bittet er um die Gerechtigkeit Gottes (9,16). Dann bittet er „um des Herrn willen“ (9,17). Anschließend erbittet er die „vielen Erbarmungen“ Gottes (9,18). Schließlich bezieht er sich auf den „Namen“ des Herrn (9,19). Da er sein Gebet auf solche Bitten stützt, kann er den Herrn durchaus bitten, zu hören, zu vergeben, zu handeln und nicht zu zögern unter seinem Volk zu wirken.
Es ist von größter Wichtigkeit zu sehen, dass die Grundlage des Flehens Daniels die immer wieder in seinem Bekenntnis betonte Tatsache ist, dass Gott selbst es war, der das Volk zu Fall gebracht hatte (9,7.12.14). Ehe diese Tatsache erfasst wird und man sich diese ohne Vorbehalte zu Eigen macht, kann es keine Wiederherstellung geben. Wenn wir es einmal erfasst haben, haben wir eine gute Grundlage, auf der wir uns zu Gott wenden und für Wiederherstellung und Barmherzigkeit bitten können. Aus diesem Grund ist Gott jemand, der nicht nur zu Fall bringen, sondern der auch heilen kann. Gott kann zerstreuen, aber Er sammelt auch (Psalm 147,2).
Wenn wir uns weigern anzuerkennen, dass Gott uns zerschlagen hat und nur sehen, was die törichten Menschen angerichtet haben, schließen wir alle Hoffnung auf Wiederherstellung für die aus, die den Wunsch haben, Gott treu zu sein. Den Menschen vor Augen denken wir an die, die zerstören, aber wir haben keine Kraft, wiederhergestellt zu werden, während Gott zerstören, aber auch wiederherstellen kann.
Dass man nur Menschen als Verursacher von Trennungen sieht, hat viele zu der falschen Schlussfolgerung geführt, dass die Menschen, wenn sie Trennungen verursacht haben, auch die Kraft hätten, diese zu heilen. Daher sind die Anstrengungen, die unternommen werden, um das Volk Gottes wieder zusammenzubringen, zum Scheitern verurteilt, und mehr als zum Scheitern, denn sie verstärken nur die Verwirrung unter dem Volk Gottes. Zusammenzubringen übersteigt den menschlichen Verstand, es ist Gottes Aufgabe. Wir können zerstören, wir können zerstreuen, wir können Herzen brechen; aber „der Herr baut Jerusalem, die Vertriebenen Israels sammelt er; der da heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und ihre Wunden verbindet“ (Ps 147,2.3).
Hier haben wir nun die Ausrichtung in Daniels Gebet, die das Volk Gottes in Tagen des Verfalls immer leiten sollte:
Wir sollten, wenn wir uns an Gott wenden, einen erneuten und vertieften Eindruck seiner Größe, Heiligkeit und Barmherzigkeit gegenüber denen bekommen, die drauf vorbereitet sind, sein Wort zu halten.
Wir müssen unser Versagen und unsere Sünde bekennen und erkennen, dass der Ursprung der ganzen Zerstreuung in dem schlechten moralischen Zustand liegt.
Wir machen uns die gerechten Regierungswege Gottes in all seinem Handeln und Züchtigen seines Volkes zu Eigen.
Wir stützen uns auf die Gerechtigkeit Gottes, die in Barmherzigkeit gegenüber seinem gefallenen Volk handelt, um seines Namens willen.