Vers 5: „Jesus aber hatte Martha lieb und ihre Schwester und Lazarus." Aus diesen Worten geht hervor, was für ein Opfer es für den Herrn Jesum war, daß Er nach Empfang der Botschaft der Schwestern nicht sofort zu ihnen eilte. Es war das nicht Gleichgültigkeit. Der natürliche Mensch geht dahin, wo er sich hingezogen fühlt, und bleibt fern von einem Orte, wo Grund zu irgend einer Befürchtung vorhanden ist; er läßt sich durch Anziehendes und Abschreckendes in seinem Tun und Lassen beeinflussen. Wenn es den Herrn Jesum irgendwohin zog, so war es an die Stätte, wo Er sich daheim fühlte, wo die drei Geschwister weilten, wo man Ihm diente und Ihn erquickte, soviel man konnte — und unsereiner hätte wohl alles liegen und stehen lassen, um den Geschwistern zu Hilfe zu eilen, es sei denn, daß wir wirkliche Geistesmenschen wären, die Augenblick für Augenblick unter göttlicher Leitung stehen. Der Herr hatte immer Zeit, einen Blick emporzurichten und zu fragen: „Vater, was willst du? Was soll ich tun?" So dringend Seine Anwesenheit begehrt wurde, war das noch lange kein Grund für Ihn, stehenden Fußes nach Bethanien zu eilen. Er mußte zuerst Befehl aus dem oberen Kabinett haben. Da haben wir viel zu lernen, denn es gilt natürlich vor allen Dingen in Verbindung stehen mit dem oberen Kabinett. Dringende Not oder dringende Wünsche seitens anderer sind noch kein Grund für Kinder Gottes, dahin oder dorthin zu eilen. „Das kannst du mir überlassen", kann der Herr sagen. In kritischen Augenblicken ist es viel wichtiger, zum Herrn aufzusehen, als aus eigner Initiative vorwärtszustürmen — aber, wie gesagt, dazu bedarf es der Verbindung mit der oberen Welt. Steht man nicht mit der oberen Welt in Verbindung, wenn der Notschrei oder Hilferuf an einen gelangt, so wird man von der dringenden Notlage fortgerissen, und es kommt nichts dabei heraus als fleischliche oder seelische Teilnahme, die den von Not Betroffenen in entscheidenden Augenblicken keine wirkliche Hilfe bringt, sondern ihnen vielleicht eher schadet als nützt. Der Herr Jesus war nicht fieberhaft erregt. Er war stille und blieb stille — und ich denke — Er senkte die Wurzeln Seines Lebens nur tiefer ein in die obere Welt, aus der Er gekommen war. Wir müssen durch Seinen Geist Widerstandskraft haben gegen alles Aufhaltende sowohl wie gegen alles Drängende. Der Herr muß über unser Kommen und Gehen, über unsere Zusage oder Weigerung bestimmen können. Um Seine Herrlichkeit zu offenbaren, kann Gott es manchmal zum äußersten kommen lassen und kann — menschlich betrachtet — über den Zeitpunkt hinausgehen, wo noch Hilfe möglich ist. Wenn sich aber die unteren Hilfsquellen schließen, öffnen sich die oberen. Er muß oft die unteren Quellen versiegen und uns zusehen lassen, wie bei den Kranken die Kräfte immer mehr abnehmen. Wenn es sich um unsere Nächsten und Liebsten handelt, wird es sich in einem solchen Falle auch ausweisen, ob wir wirklich Glauben haben, und ob wir unsere Liebsten im Glauben dem Herrn anvertrauen und warten können. Das konnte unser Herr und Meister.