Vers 47—49: „Da antworteten ihnen die Pharisäer: Seid ihr denn auch verführt? Glaubt auch irgend ein Oberster oder Pharisäer an ihn, sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht." Das Volk war ja damals noch in gewisser Beziehung an seine Führer gebunden, denn es hatte nicht jedermann das Wort Gottes, aber das schloß nicht aus, daß wirkliche Wahrheitskinder tiefer in die Wahrheit eindringen konnten als die Schriftgelehrten. Schon damals hat sicherlich der Geist gar manche geweckt. — Wieviel mehr haben wir Kinder des Neuen Bundes das Recht, direkt und unmittelbar mit dem Herrn zu verkehren! Das ist ja die Zentralwahrheit, welche die Reformation ans Licht gestellt hat, daß jeder einzelne das Wort Gottes selbst lesen darf. Das verdanken wir vor allem Luther, der die Bibel übersetzt hat — und wieviel ist seither geschehen, um die Bibel jedem einzelnen zugänglich zu machen! Jeder muß nun die Bibel mit eigenen Augen lesen lernen, nicht mit fremder Brille. Er muß durch die Schrift so mit Jesu bekannt werden, daß er von Ihm tiefer in die Wahrheit eingeführt werden kann als je zuvor. Das sind zwei verschiedene Stufen. Zuerst folgt man Jesu auf Grund der Schrift, und dann führt Er von Tag zu Tag tiefer in die Schrift ein. Hat jeder Tag seine besondere Plage, so will uns der Herr auch jeden Tag neues Licht geben über Seinen Willen und sein Wort. Da braucht man nicht mehr von Schriftgelehrten und Pharisäern abhängig zu sein. Man macht es wie die Leute von Beröa und sieht selbst in seiner Bibel nach, ob sich's also verhält, wie man uns sagt. Ist man irgendwie in Zweifel, so fragt man — nicht: wie sagt dieser und jener Schriftgelehrte?, sondern: Wie sagt die Schrift? O, wenn wir dem Herrn Zeit lassen, uns tiefer zu führen, so stellt es sich bald heraus, daß mancher Widerspruch nur scheinbar ist und auf einem höheren und tieferen Boden vollkommene Harmonie bildet! Die Wahrheit ist eine Königin, die angebetet werden will, die will, daß man ihr huldige und in den Staub vor ihr niedersinke, anstatt zu kritisieren. Wir lassen uns von der Schrift kritisieren, aber wir kritisieren die Schrift nicht — am wenigsten aber lassen wir es uns jemals einfallen, den Herrn zu kritisieren, das erfüllte Wort Gottes. Wie leicht vergreift man sich an der Wahrheit, wenn man sich nicht unter die Wahrheit beugen will! Das haben die Schriftgelehrten immer wieder bewiesen. Zuletzt wird es nur noch Anbeter Jesu und der Wahrheit und verfluchte Seelen geben, die sich der Wahrheit verschließen oder gar an ihr vergreifen. Es wäre wohl an der Zeit gewesen, daß die Herren vom Hohenrate von ihren Knechten gelernt hätten — und wie manche Herren und Frauen könnten von ihren Knechten und Mägden lernen, wenn sie demütig genug wären! Wie manche Knechte und Mägde könnten ihnen das aber andererseits erleichtern, wenn sie bescheiden in ihrer Stellung bleiben wollten, wo sie etwas mehr Licht und Erkenntnis vom Herrn empfangen haben!