Mt 25,1
Behandelter Abschnitt Mt 25,1-5
Bei den Gleichnissen, die unser Herr und Meister uns in den Evangelien gegeben hat, dürfen wir nie aus den Augen verlieren, dass in einem solchen Gleichnis auch Züge sind, die sich nicht auf die Vergleichung beziehen, und wir müssen da vor allem ins Auge fassen, um was es sich bei unserem Herrn im betreffenden Gleichnis handelt. Der Grundgedanke beim Gleichnis von den törichten und klugen Jungfrauen ist offenbar: die klugen Jungfrauen hatten Öl in ihren Gefässen mitgebracht, so dass sie nachfüllen konnten — die törichten hatten nur so viel Öl, als in ihren Lampen war, und das ging bald zu Ende.
Ich denke, damit will uns der Herr wohl sagen, dass es hauptsächlich darauf ankommt, dass wir mit ihm in Verbindung sind — also mit der Quelle. Die Quelle fliesst fortwährend. Unser Vorrat ist bald erschöpft. Mit unserer Frömmigkeit — Glaube, Liebe und Hoffnung — mit dem, was der Herr in uns geweckt hat, ist es bald aus in den Erfahrungen des Lebens, wenn wir nicht mit der Quelle in Verbindung stehen. Ist man mit der Quelle in Verbindung, so kann man immer nachschöpfen und der Vorrat geht nie aus. Der Geist Gottes hat unergründliche Tiefen. Wenn wir Geisteskinder sind und im Geiste wandeln, so bleiben wir durch den Geist immer in Verbindung mit der Quelle — mit dem Herrn Jesus Christus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Darin liegt alles, was wir brauchen bis hinein in die Herrlichkeit.
Wir können einander wohl Handreichung tun, aber Geistesmitteilung können wir einander nicht geben — da muss jeder von uns an die Quelle gehen und selbst schöpfen. „Aus seiner Fülle haben wir alle geschöpft Gnade um Gnade." „Die Jungfrauen schlafen alle ein" — das heisst — die Erwartung des Herrn trat bei ihnen in den Hintergrund. Sie schliefen ein, ohne dass sie damit aufhörten, Geisteskinder zu sein — auch wenn das Kommen des Herrn momentan in den Hintergrund trat. Sie waren mit der Quelle in Verbindung, und da mag der Herr noch so lang mit dem Kommen verziehen. Sind wir in Verbindung mit ihm, so reifen wir auch durch das Warten auf die Zukunft des Herrn.
Behandelter Abschnitt Mt 25,1-13
Die beiden Kapitel Matthäus 24 und 25 reden von der Endzeit. Veranlassung zu diesen Reden gaben dem Herrn die Frage, mit der die Jünger Kapitel 24, 1 und 3 zu ihm herangetreten waren. Die Jünger hatten ihren Meister aufmerksam gemacht auf die Steine des Tempels, und er hatte geantwortet: „Es wird kein Stein auf dem andern bleiben . . ." Das führte die Jünger auf die Frage: „Wann wird das alles geschehen, und welches wird das Zeichen sein deiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters?" Das sind nun ganz verschiedene Perspektiven: die Zerstörung des Tempels, das Zeichen seiner Ankunft und die Vollendung des Zeitalters. Aus der Ferne liegt alles noch auf dem gleichen Sehfeld der Weissagung, und je näher man der Zukunft des Menschensohnes und der Vollendung des Zeitalters kommt, umso mehr zerlegen sich die Sehfelder. Der Herr greift in seinen Gleichnissen hinaus bis auf die Zeit, die jenseits des tausendjährigen Reiches liegt und je näher er sich mit dieser befasst, umsomehr redet er auch von der Zukunft des Menschensohnes in der Herrlichkeit, wenn seine Heiligen mit ihm kommen und alle Völker zum Weltgericht versammelt sind.
Bleiben wir einen Augenblick stehen bei diesem Gleichnis von den zehn Jungfrauen, das auch beginnt mit einem „dann". „Dann" — zur Zeit des Kommens des Herrn — „wird das Himmelreich gleich sein zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen" — die aber äusserlich miteinander verbunden und nebeneinander hergehend, sich in zwei ganz verschiedene Klassen teilten und erst offenbar wurden, als der Herr kam. Die einen waren nämlich klug, die andern töricht. Die Törichten hatten auch geschmückte Lampen — das heisst — sie hatten Lampen mit Öl, aber sie hatten keinen Vorrat von Öl, um nachgiessen zu können — kein Öl, das geflossen wäre.
Die Klugen nahmen Öl in den Gefässen samt ihren Lampen, also einen Vorrat von Öl. Sie konnten ja nicht wissen, wenn sie nachdachten, zu welcher Zeit der Nacht der Bräutigam kommen werde. Dieser verzog, und da wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Man muss in den Gleichnissen unterscheiden, was zur Vervollständigung des Bildes gehört und was eine besondere Anwendung zulässt, worauf der Nachdruck liegt und was uns der Herr damit sagen will. Sie schliefen alle ein — das heisst — sie erwarteten den Bräutigam nicht mehr, aber sie waren bereit, ihn zu empfangen. Und als sich um Mitternacht, zu einer Zeit, da alle schliefen, der Schrei erhob: „Der Bräutigam kommt; stehet auf und gehet ihm entgegen," da wachten alle zehn Jungfrauen auf. Sie bereiteten alle ihre Lampen, aber die törichten Jungfrauen merkten sofort: es geht nicht; unsere Lampen verlöschen — und nun sollen ihnen die anderen mit ihrem Vorrat aushelfen. Letztere weigern sich aber ganz entschieden. „Niemals", sagen sie — „geht hin und kaufet bei den Krämern, auf dass nicht uns und euch gebreche." Die Zeit war jedoch vorüber, wo man noch Öl kaufen konnte.
Es war nicht mehr Zeit. Die törichten Jungfrauen hatten auch etwas von Geistesleben — sie waren angehaucht, mehr oder minder berührt vom Geiste Gottes, aber sie hatten kein Geistesleben, das sich Tag für Tag fortwährend an der Quelle erneuert. Sie waren von anderen abhängig. Das wahre Kind Gottes, das geistgesalbte Kind Gottes steht unabhängig von anderen in Verbindung mit Gott durch seinen Geist, und diese Verbindung muss eine ununterbrochene werden. Es wird durch Unterbrechungen hindurchgehen, aber diese Unterbrechungen müssen schliesslich aufhören. Wir müssen versiegelt werden mit dem Heiligen Geiste, so dass wir allem Beengenden, Verführerischen widerstehen können in der Kraft Gottes, in der Gnade Gottes durch den heiligen Geist — denn das heilige Öl ist ja gewiss nichts anderes als der heilige Geist.
Nicht dass wir nicht von anderen lernen könnten — nicht dass es nicht eine grosse Stärkung wäre, wenn wir mit anderen geistgesalbten Kindern Gottes zusammensein dürfen, und dass sich da nicht Geistesmacht entfalten wird mit neuen Blicken, die der einzelne nicht so ohne Gemeinschaft erfährt, aber die Gemeinschaft mit dem Herrn an sich ist nicht abhängig davon, ob wir in der Welt stehen oder mitten unter gläubigen Gotteskindern. Dennoch ist es sehr schwer, in gewissen weltlichen Kreisen ungestört und ungetrübt die Gemeinschaft mit dem Herrn zu unterhalten und sich nicht durch kalte Luftzüge von aussen her aus der Gemeinschaft bringen zu lassen. Da gilt es wachen, aber es gilt auch wachen mitten in der Gemeinschaft mit Gläubigen, dass man sich nicht auf andere verlässt, sonst fetzt sich leicht Fäulnis an. Wir verlassen uns nicht auf andere; wir können anderen nur nützlich sein, und es kann nur dann Geistesleben zirkulieren, wenn wir uns einzig und allein auf den Herrn verlassen, der durch seinen heiligen Geist sowohl in der Dürre wie in der Fülle, sowohl in der Einsamkeit wie mitten in der Gemeinschaft reguliert, bewahrt, auferbaut. Wenn der Herr kommt, so gehen diejenigen mit ihm, die bereit sind.
Öl zu kaufen, Geistesausrüstung zu bekommen, ist dann nicht mehr möglich. Man ist versucht, sich zu sagen — und ich habe mir das seinerzeit auch gesagt — wenn hier von zehn Jungfrauen die Rede ist, so sind das die Brautjungfrauen, und dann müssen dahinter die Braut und der Bräutigam sein; denn zwischen Braut und Brautjungfrauen ist ein grosser Unterschied, aber wir haben uns wohl alle schon überzeugen können, dass in den Gleichnissen immer Züge sind, die nur eine besondere Bedeutung haben, wenn man ihnen Gewalt antut — sie gehören zum Bilde, finden in der Auslegung aber keine besondere Verwendung. Sie gehören zur Vervollständigung des Bildes. Somit dürften wir völlig berechtigt sein, nicht neben den zehn Jungfrauen noch eine Braut zu suchen, die die wahre Gemeinde darstellt, sondern anzunehmen, dass die zehn Jungfrauen selbst ein Bild sind von der Gemeinde.
Die fünf klugen Jungfrauen aber sind die, die nicht nur einen gewissen Vorrat von Geistesleben haben, sondern die gefüllt sind mit dem Geiste Gottes, die ihr ganzes Leben dem Geiste Gottes unterworfen haben. Wenn Mitternachtsstunden kommen, so kommen sie daher nicht zu kurz; der Geist Gottes trägt sie durch alles hindurch, auch durch Zeiten der Wüste, der Dürre, der Verkennung, der Verwirrung. Die törichten Jungfrauen haben auch Öl. Das genügt für gewöhnliche Zeiten. Man kann sie auch nicht immer unterscheiden von geistgesalbten Jungfrauen, aber eö kommen Stunden und Zeiten, wo es sich ausweist, dass sie eben nicht vom Geiste Gottes beherrscht sind, und dass nicht ihr ganzes äusseres und inneres Leben dem Geiste Gottes unterworfen ist. Sie sind nicht durchleuchtet und nicht durchdrungen und nicht beherrscht vom heiligen Geiste. Es ist da ein tiefer Mangel — dann löscht das Licht dazwischen immer wieder aus und muss immer wieder angefacht werden; aber es ist kein regelmässig aufsteigendes Leben.
Der Pfad der Gerechten ist wie die Sonne, die aufsteigt bis zu ihren Höhepunkt. Es ist ein nicht in gerader Linie aufsteigender, sondern ein nach rechts und links hingehender Pfad, und wenn dann Zeiten der Schwierigkeiten kommen, so sind sie den Proben nicht gewachsen. Es ist ein furchtbares Wort, dieses Wort des Herrn: „ich sage euch, ich kenne euch nicht", und doch haben sie sicherlich eine gewisse Bekanntschaft mit dem Herrn gehabt. Sie wären ihm sonst nicht entgegengegangen. Sie waren aber nicht zu einer persönlichen Bekanntschaft mit ihm durchgedrungen. Er kennt sie alle mit Namen, und sie haben alle eine wunderbare Geschichte — keine jedoch dieselbe wie die anderen. Wir haben nicht die gleichen Namen — wir haben Familienähnlichkeit — haben aber in der Familie verschiedene Namen, die die einzelnen Familienglieder voneinander unterscheiden. „Ich kenne euch nicht", sagt Jesus.
Namen und Vornamen — das Geschlecht, aus dem wir kommen, und die persönliche Eigentümlichkeit ist nicht unter die Zucht der Gnade, nicht in die persönliche Hand des Herrn gekommen. Unsere Eindrücke, Gefühle, Stimmungen, Gedanken, innere und äussere Lebensbewegungen sind nie völlig unter die Herrschaft des Herrn gekommen. Er hat Erziehungen mit uns gehabt und wir mit ihm, aber ein wirkliches Kennen — das Kennen, durch das er uns besitzt und immer mehr von uns Besitz ergreift, das ist nicht zustande gekommen.
Da schwankt das Leben zwischen Gottesnähe und Gottesferne hin und her, ebne regelmässiges Wachstum in den Herrn hinein. Das zu-sammenfafsende Wort für das Gleichnis ist das Wort in Vers 13: „wachet. Ihr wisst weder Tag noch Stunde, wann des Menschen Sohn kommen wird" — ihr wisst weder Tag noch Stunde, wann er euch heimruft — ihr wisst nicht, wie lange ibr noch Zeit habt, eure Heiligung zu vollenden in der Furcht Gottes: denn vollendet muss sie werden, soll sie nicht ein Stümperwerk bleiben. Also wachet! Seid wachsam und nüchtern, lasst euch nicht berauschen, erschrecken, in fleischliche Bahnen bringen! Kommt nicht unter Stimmungen und Eindrücke, wandelt im Lichte — im Sonnenlichte der Gnade und des Wortes Gottes, dann seid ihr bereit dem Menschensohne entgegen zu gehen — dann seid ihr bereit, plötzlich durch den Tod abgerufen zu werden — dann seid ihr auch bereit, aus der Umgebung, in der ihr herangewachsen seid und euren Lebenszufluss gezogen habt, weggerückt zu werden in einsame Verhältnisse und doch in Lebensbeziehung mit der Lebensquelle zu bleiben und nur um so tiefer gegründet zu werden.