Behandelter Abschnitt Mt 21,1-2
Je näher der Herr dem Ziel seiner Menschwerdung, der Kreuzigung, kam, desto mehr öffnete sich ihm nicht nur der Weg, sondern es wurde alles in seinen Dienst gestellt. Alles muss ihm dienen ohne Widerrede. Er verfügt. Und sobald wir ihm nach den Weg des Gehorsams gehen, muss auch uns alles dienen. Es gibt Konflikte, Schwierigkeiten, Kämpfe, wo jemand seinen eigenen Willen durchsetzen will — es kreuzt sich da leicht ein Wille mit dem andern, aber wenn alles sich in den Dienst des Herrn stellt, kommt Einheitlichkeit in alles. Da muss sich alles fügen, wie sich in einer Heeresleitung von oben herab eins ins andere fügen muss.
Behandelter Abschnitt Mt 21,1-7
Es ist eine alte Sitte in der Christenheit, dass man vor Weihnachten Advent feiert, so wenig beide Ereignisse geschichtlich zusammenfallen. Der Einzug unseres Herrn in Jerusalem, den unser heutiger Bibelabschnitt beschreibt, fällt ja bekanntlich in die letzte Abendstunde des Lebens Jesu, während Weihnachten den Anfang seines Lebens, seine Menschwerdung, seine Geburt feiert. So wollen wir denn einen Blick werfen auf diese wunderbare Geschichte des Einzugs unseres Heilandes in die Stadt der Väter, in die Stadt Gottes, in jenes Jerusalem, das die Propheten tötete und steinigte, die zu ihm gesandt wurden, in das sich aber noch einmal alle Völker der Erde versammeln werden, und das ein Vorbild von dem neuen Jerusalem ist, von welchem die Offenbarung spricht.
Wie überall in Gottes Tun, so berührt sich auch hier das Erhabenste und Höchste mit dem Einfachsten und Natürlichsten. Die ewige Majestät zieht ein auf einem Esel, immer noch in tiefer Niedrigkeit, und doch welche Herrlichkeit offenbart sich in der Niedrigkeit! Die ganze Stadt gerät in Aufregung. Die Pharisäer und Schriftgelehrten können trotz aller Wut über das törichte Volk — wie sie dasselbe betrachten — nichts machen. Alles ist in Bewegung, nur sie nicht. Sie werden sich später rächen, aber bei allem, was sie dem Heiland noch antun in ihrem wütenden Hasse, können sie dem einfachen Bilde des Einzugs in Jerusalem nichts von seinem Hoheitsstempel nehmen. Einfachheit und Hoheit gehen hier Hand in Hand — eins hebt das andre nicht auf. Jener herrliche und hoheitsvolle Einzug war die Vorbereitung für das Leiden. Hat sich in ersterem Herrlichkeit geoffenbart, so hat sich noch viel mehr Herrlichkeit geoffenbart in dem tiefen Leiden dort auf Golgatha, wo der Herr Jesus, mit unsern Sünden beladen ans Fluchholz hinunter- und hinaufgestiegen ist. So verschieden die beiden Bilder sind, so eng gehören sie doch innerlich zusammen und sind sie innerlich miteinander verbunden.
Das Königtum und die majestätische Herrlichkeit erscheinen hier äusserlich in höchster Einfachheit und Schmucklosigkeit vereinigt, wie sie bei David im Hirtengewande vereinigt erschienen . . . „Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt; daselbst werdet ihr finden eine Eselin angebunden . . . löset sie auf und bringet sie zu mir." Es ist der Herr der Herrlichkeit, der dieses sagt, — er, dem die ganze Schöpfung gehört und der über alles in der Schöpfung, über alles, was geschaffen ist im Himmel und auf Erden, gebieten kann und gebietet. Was immer wir an irdischer Habe, an Gold und Silber, oder auch an geistlichen Dingen besitzen mögen, ist nur Geliehenes. Es gehört alles dem Herrn, und er kann es jeden Augenblick in seine majestätische Hand zurückfordern. Er hat das Recht, über alles zu verfügen, ohne uns irgendwie Rechenschaft geben zu müssen.
Vergessen wir das nie: Was wir haben, ist sein, die Erde ist sein, alles Geschaffene ist sein, ist da zu seiner Ehre und zu seiner Verherrlichung. Unser inneres und äusseres Leben, unsre Sinne, unser Ausgang und unser Eingang sind für ihn und müssen je eher desto lieber zurückkehren. Alles muss Zinsen tragen für ihn, und wenn wir die Zinsen, d. i. das uns von ihm Geliehene, in die eigne Tasche stecken, so kommen Würmer hinein, verborgene Würmer. Das gilt sowohl für unsre geistliche, wie für unsre äussere Habe. „Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt . . . und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer; alsobald wird man sie euch lasten." Königtum und Prophetentum. Königlich tritt er auf, aber wahrer König kann nur ein Prophet sein.
Der König sieht die Dinge nicht voraus, der Prophet sieht sie voraus. Propheten, die sich königlich stellen, gebieten über alle Dinge. Die ganze Umgebung Jerusalems liegt offen vor dem Geistesauge unsers Herrn, — und offen liegt auch vor ihm der ganze Leidensweg mit der dahinterliegenden Herrlichkeit. Er war der Prophet, der sich später als Hohenpriester selbst opferte auf dem Altar. „Niemand," sagte er, „nimmt mein Leben von mir. Ich laste es von mir selbst. Ich habe Macht, es zu lasten und es wieder zu nehmen." Da können die Pharisäer und der Hohe Rat noch so sehr wüten und die Zähne knirschen, das ändert daran nichts.
Der Teufel hat Jesum nicht ausgeliefert — Gott hat seinen Sohn ausgeliefert. Und wie der Meister, so der Jünger. Seien wir einmal ganz in Gottes Hand, so kann niemand mit uns machen, was er nicht will, — dann gilt es aber auch für uns, alles aus seiner Hand zu nehmen, was Freunde und Feinde uns geben oder verweigern, fördern oder hindern; beten wir dann aber keine Kreaturen mehr an, — andrerseits bleiben wir aber auch nicht bei dem stehen, was wir seitens andrer zu leiden haben mögen. Es ist alles von einer Hand in unser Leben hineingeordnet, damit unser Her; gebeugt werde und es mit uns dahin komme, dass Freude und Leid aufsteigen in Danksagung zu dem, von dem alles kommt und zu dem alles zurückkehrt. Und wie freundlich vom Herrn!
Wenn er seine Befehle gibt, überraschende Befehle, so geht er dabei ein auf alle Schwachheiten und Bedenken, die seinen Jüngern angesichts solcher Befehle kommen können, ja er kommt ihnen zuvor. Es ist das eben doch ein seltsamer Befehl, dass man da einfach eine Eselin losbinden soll, die einem andern gehört, und es hat doch damals auch eine Polizei gegeben, die da ein Wort mitzusprechen hatte. Der Herr sieht alles voraus, denkt an alles und beruhigt die Seinen. „So jemand etwas wird sagen, spricht er, „so saget: Der Herr bedarf ihrer, sobald wird man sie euch lassen."
Jede Eselin hat zwei Herren: einen, der, — menschlich gesprochen — Eigentumsrechte an sie hat, weil er ihr Besitzer ist, — aber darüber steht ein andrer, der keinem Menschen Rechenschaft dafür zu geben hat, wenn er die Eselin für sich in Anspruch nimmt. „Sagt nur: Der Herr bedarf ihrer" — dieses wunderbar majestätische Wort. Meint ihr denn, es kenne uns, nach Gottes Bild Geschaffenen, irgend etwas gefangen halten — irgend eine Sünde, — irgend eine Kreatur und Gewohnheit, die öffentliche Meinung oder irgendwelche äusseren Verhältnisse, nachdem uns der Herr mit seinem Blute losgelöst hat?
Nur müssen wir endlich einmal aufwachen für die majestätische Stellung, die wir als Gebundene unsers Herrn haben. O wie einfach und hoheitsvoll ist diese Stellung, es nur mit Gott zu tun zu haben! Dann geht alles, dann wird alles ganz klar und einfach, dann läuft alles wie von selbst, so gross auch vorher die Hindernisse erscheinen mochten, die im Wege standen. Man hat einen wunderbaren Pass, wenn man sagen kann: „Der Herr macht Anspruch aus dies und das." Nur darf man nichts Phantastisches, nichts Eingebildetes dahinein bringen. Wenn aber einem Kranken das aufgeht, wenn ihm der Geist Gottes sagt: „Ich, der Herr bedarf deiner, stehe auf und wandle"! so ist das doch etwas andres. Und meint ihr etwa, der Herr könne das nicht heute noch sagen?
Du musst dir nur klar machen, was du begehrst, — du musst dir nur klar darüber sein, dass du für ihn, deinen Herrn, da zu sein hast. Weil er dein bedarf, hat er dich krank werden lassen, doch die Krankheit ist nicht sein letztes Wort. Sein letztes Wort ist, dass du gesund werdest, um ihm zu dienen, anstatt eine mit einem Strick an den Stall festgebundene Eselin zu bleiben. Der Herr hat jene Eselin in Bethphage gelöst, — ein einziges Wort genügte, so musste der Eigentümer sie ziehen lassen. Du hast dich selbst verkauft, — sei es nun mit Sünden der Jugend oder mit andern Sünden, und du hast noch nicht begriffen, dass dieses oder jenes Schwere in deinem Leben nur eine Vorschule ist für die Freiheit, eine Erziehungsschule in der Hand deines Gottes, damit du nachher nur noch für ihn da seist und auch deine Zeit nur noch ihm zur Verfügung stehe.
Aber bleibe nicht in einer solchen Vorschule stecken und wundere dich auch nicht, wenn es da zehn Klaffen gibt, wie in den Gymnasien. Es ist etwas so unendlich Grosses, nur noch für den Herrn da zu sein, dass es wohl der Mühe wert ist, alle Klaffen, eine nach der andern durchzumachen, damit ein ordentlicher Grund vorhanden sei — ein Untergrund von Selbstverleugnung, Demütigung, kurz, von allen Schulen aller Art: Krankheitsschulen, Missverständnisse, Verkennung usw., ehe der Herr seine ganze Herrlichkeit offenbaren kann. „Der Herr bedarf ihrer, und alsobald wird er sie euch lasten?' Die Bande fallen, wie dort in Petri Gefängnis. Da war eine eiserne Tür nach der andern, und der Apostel selbst war gefesselt und an einen Soldaten gekettet, — da kam der Bote des Herrn. Derselbe verlangte keinen Schlüssel, sondern die Türen sprangen auf vor ihm, und die Ketten fielen. Man hat uns nicht — der Herr hat uns. Er kann auch vom Tode erretten; aber darum soll er uns auch haben. Er bedarf unser, — nicht eines Streitrosses, sondern einer Eselin.
Die ist gerade gross genug, um den Herrn tragen zu können, aber zugleich klein genug, um von niemand gesehen zu werden, um unter ihm zu verschwinden, — ein verachtetes oder wenigstens gering geachtetes Tier. Es ist keine Ehre, auf einer Eselin zu reiten. Der Herr hat auch niemals Ehre gesucht hienieden, — er, der Herr der Herrlichkeit. Er wird einmal auf einem Schlachtross mit den Heeren der unsichtbaren Welt einherziehen, wie es in den Gesichten der Offenbarung geschrieben steht. So lasten wir es uns denn auch gefallen, liebe Geschwister, mit unserm Herrn hier unten ungesehen, ungekannt durch die Welt zu gehen und zu lernen, je länger, je mehr, den Blicken der Kreaturen eher auszuweichen, als sie auf uns ziehen zu wollen.
Lernen wir immer besser, dem Herrn so zur Verfügung zu stehen, dass man nicht uns, sondern ihn sieht, dass wir hinter ihm verschwinden, dann werden wir Wunder Gottes sehen, — dann werden wir sehen, wie jedes einzelne Kind Gottes die Herrlichkeit des Herrn in eigentümlicher Weise widerstrahlt. In jedem Kinde Gottes, das in seinem Herrn aufgeht, wird ein besonderer Strahl göttlicher Schöne offenbar. Je mehr wir im Herrn verschwinden, um so mehr kann unser Leben den Herrn offenbaren. Das alles hat Gott von weither vorausgesehen, und das alles stand schon im alten Bunde geschrieben, im prophetischen Worte des Sacharja: „Saget der Tochter Zion, siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin."
Was für ein König? Ein sanftmütiger König, der nicht wieder schalt, sondern sich in allen Stücken als König auswies, sich königlich benahm, wie ein Lamm alles tragend. Das ist der höchste Adel im Weltall. „Sanftmütig und reitend auf einem Esel . . ." Wie man erwarten konnte, ging die Sache nicht so einfach vor sich. Der Eigentümer der Eselin fragt: „Was macht ihr da?" „Der Herr bedarf ihrer", antworten die Jünger nach der Weisung des Meisters, und da lassen die Besitzer das Tier los.