Behandelter Abschnitt Matthäus 21-23
Der Einzug des Königs in Jerusalem und die Verwerfung Seines Volkes
Dieser Teil des Evangeliums beginnt mit der dritten und letzten Vorstellung Christi gegenüber Israel. Dies geschieht nach den Worten des Propheten Sacharja:
„Frohlocke laut, Tochter Zion; jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König wird zu dir kommen: Gerecht und ein Retter ist er, demütig und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin.“ (Sach 9,9)
Alles dies geschieht in einem feierlichen Ernst. Die Erprobung des Herzens Israels soll unter jedem erdenklichen Vorzug geschehen; dies ist die Weise, so meine ich, wie Gott stets handelt.
Als Adam in den Garten Eden gesetzt worden war, um ihn zu bebauen, da gehörte ihm alles; es gab nichts in seinem ganzen Dasein was nicht zu seinen Gunsten gewesen wäre vor Seinem Schöpfer. Später, als Noah auf die neue Erde gestellt wurde, war er dort unter jedem Vorzug der Ehre und Freude; der Bogen in den Wolken war ein deutlicher Zeuge ihm gegenüber, dass Gott an ihn dachte und treu sein würde. Israel mangelte es im Land Kanaan an nichts. „Was war noch an meinem Weinberg zu tun, das ich nicht an ihm getan habe?“ (Jes 5,4), war der Anspruch Gottes angesichts Seines Volkes. Der Zaun war aufgerichtet, der Turm gebaut, die Kelter gegraben und die Edelreben gepflanzt. So war es nun ebenso in der Darstellung des Messias gegenüber Israel, dass es an nichts mangelte.
Der Bethlehemiter war nach den Worten des Propheten geboren und Er war „groß bis an die Enden der Erde“ (Micha 5,3), sodass selbst die fernen, östlichen Nationen nach Bethlehem kamen, um Ihm zu huldigen. Das Licht schien von Galiläa her, vom Land Sebulon und Naphtali, nach den Worten eines anderen Propheten (Jesaja 8,23) - und als ein großes Licht, zeigte es sich wahrhaftig, so wie der Prophet es gesagt hatte; aufgehend mit Heilung in seinen Flügeln über einem Volk das im Land des Todesschattens wohnte. Und nun erscheint der König, verheißen durch einen dritten Propheten, entsprechend dem Wort das vor Ihm her ausgegangen war und in vollkommener Würde. Der harmonische Einklang vielerlei prophetischer Stimmen der Schrift konnte nun vernommen werden. Psalm 8,24 und 118, sowie Sacharja 9, klingen in uns wider angesichts dieser erhabenen Begebenheit.
Der Augenblick war in der Tat voller Wunder. Die Worte „Des Herrn ist die Erde und ihre Fülle“ (Ps 24,1) vernehmen wir hier; denn der Besitzer des Esels erkannte die Herrschaft Jesu an und gab Seinem Verlangen den Vorrang. Der Esel selbst, sowie dessen Besitzer standen unter der Macht jenes Augenblicks; denn das Eselsfüllen begleitete die Mutter, oder die Mutter ihr Füllen; wir können wohl kaum sagen wie es war und es ist auch ohne Belang; beide wurden gebracht, zusammen wurden sie zu Jesus gebracht, denn es sollte keine Übertretung zu Lasten der Natur geschehen.
Das Kind konnte nicht, bei solch einem Moment, in der Milch seiner Mutter gekocht werden. Dieser Augenblick war wie der Anbruch des tausendjährigen Reiches und auch die Schöpfung muss ihren Anteil an der Freude und Macht dieses Augenblicks haben. Das Volk kündete durch das Hosanna und die Palmzweige von einem freudigen Tag, einem Fest der Laubhütten für die Stämme des Herrn; und wenn die Menge so jauchzte in ihrem Hosanna so sollten die Tiere von ihren Lasten frohlocken. In den Tagen Seiner Versuchung war Er unter den wilden Tiere (Mk 1,13), um zu bezeugen, dass durch Ihn Eden nicht verloren worden war. Ebenso hier nun, frohlockten die Lasttiere als ob das Königreich jetzt durch Ihn begonnen werden würde und die Schöpfung von ihrem Seufzen errettet werde.
Sicherlich, so möchte ich es noch einmal sagen, war es ein Augenblick voller Wunder, eine wahrhaftig strahlende und feierliche Stunde. In den Tagen Samuels war dies nicht so gewesen. Die Kühe brüllten als sie die Lade des Herrn nach Beth-Semes trugen, weil ihre Kälber zurückgelassen und eingesperrt worden waren (1Sam 6,10 ff). Die Schöpfung mag zu jener Zeit eine Wunde empfangen und in ihrem Seufzen geblieben sein; aber jetzt, in der Gegenwart des Herrn des Tausendjährigen Reiches, musste die Schöpfung frohlocken.
Wie einfach und doch wie erhaben und herrlich ist dies alles! Es ist jedoch nur für einen Augenblick. Dies alles geschieht auf solche Weise damit, sei es dass sie hören oder sei es dass sie es unterlassen, Israel erkennen möge dass der Ruf eines Königs ihnen nahe gekommen war. Die Frage stellte sich ob sie den Ruf mitten unter sich hören würden? Doch nein, wiederum „wollten sie nicht“. Wenn schon der Bethlehemiter verbannt wurde und das Licht von Sebulon in der Finsternis schien und nicht erfasst wurde, so würde auch der König ein nicht-anerkannter, verworfener König sein. Er geht in die Stadt ein unter der Bewunderung der Volksmenge. „Wer ist dieser?“ (Mt 21,10) fragten sie. Er erfüllte den Eifer des Messias nach den Worten des Psalmisten (Ps 69,9). Er heilte indem Er die anerkannten Werke des Sohnes Davids tat. Doch binnen kurzer Zeit erwarteten Ihn Anschuldigungen und Anfechtungen in der königlichen Stadt statt Jubel und Frohlocken. Die Feindschaft der Häupter und Repräsentanten Israels offenbarte sich schon bald; sie erkannten den Hirten nicht an, den Stein Israels; sie waren voller Missgunst gegenüber dem Sohne Davids und dachten nur daran wie sie den Erben des Weinbergs zu töten vermochten.
Was bleibt Ihm nun zu tun übrig? Was sollte Er nun tun? Das ist die Verwerfung des Königs, der Errettung mit sich brachte, trotz der vorausgegangenen Verwerfung des Kindes von Bethlehem und des Lichtes von Galiläa. Was bleibt? „Warum solltet ihr noch weiter geschlagen werden, da ihr nur den Abfall mehren würdet?“ (Jes 1,5) „Ein Ochse kennt seinen Besitzer, und ein Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Erkenntnis, mein Volk hat kein Verständnis.“ (Jes 1,3)
Diese Stimmen konnten nun vernommen werden. „Das Ende kommt; es kommt das Ende“ (Hes 7,6), konnte ebenfalls gehört werden. Der unfruchtbare Feigenbaum ist deswegen verflucht entsprechend dem Gleichnis, er wird nun abgeschnitten. Er wurde drei Jahre lang verschont und er hatte die Geduld des Hausherrn erfahren, indem er ihn umgrub und pflegte; doch er war immer noch unfruchtbar. „Nie mehr komme Frucht von dir in Ewigkeit!“ (Mt 21,20) wird ihm nun gesagt. Der Fluch wird ausgesprochen, denn die Zeit der Langmut ist vergangen; „und“ so lesen wir, „sogleich verdorrte der Feigenbaum“.
Dies war die ernste Weise jener dritten und letzten Darstellung Seiner Selbst als ihr Messias, Jehova- Messias, gegenüber Israel und Israels Zurückweisung Seiner Person.
Die Jünger verwundern sich über den Feigenbaum den der Herr verflucht hat, dass er sogleich verdorrte; dann gibt Er den Ausspruch über das Beseitigen des Berges - ein Bild einer noch merkwürdigeren und schrecklicheren Sache, als das Verdorren des Feigenbaums. „Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt, werdet ihr nicht allein das mit dem Feigenbaum Geschehene tun, sondern selbst wenn ihr zu diesem Berg sagt: Werde aufgehoben und ins Meer geworfen!, so wird es geschehen.“ (Mt 21,21) Alles muss weichen. Die mächtigen Hindernisse, die die Menschen gegen die Aufrichtung der Macht des Herrn auf der Erde errichtet haben, werden beiseitegesetzt werden und der Mensch muss lernen, „dass Du allein, dessen Name Herr ist, der Höchste bist über die ganze Erde!“ (Ps 83,19) und „der Berg des Hauses des Herrn feststehen wird auf dem Gipfel der Berge und erhaben sein wird über die Hügel.“ (Jes 2,2)
Bethanien war zu jener Zeit Sein Zufluchtsort. Verworfen und daher als Fremdling hier, fand Er dort Seinen Platz in der Familie des Glaubens die Ihn liebte inmitten der Feindschaft der Welt. Wenn Er nun aber von dem Dorf in die Stadt kommt, von Bethanien nach Jerusalem, so ist es nicht wie es einst der Fall gewesen war - um Seinen Dienst der Liebe und Macht fortzuführen, sondern um Israel zu überführen und zu verurteilen und sie unter einen Fluch zu stellen. Dies sehen wir im Verlauf von Matthäus 21-23.
In den Gleichnissen der beiden Söhne (Mt 21,28-32), der bösen Weingärtner (Mt 21,33-46) und der Hochzeit des Sohnes des Königs (Mt 22,1-14), die Er inmitten des Volkes sprach als Er von Bethanien zu ihnen kam, überführt Er Israel des Ungehorsams gegenüber all dem Wirken Gottes, sei es durch das Geben des Gesetzes, durch den Dienst des Täufers oder durch die Gnade Jesu. Er steht nun in völligem und unmittelbaren Widerspruch zu den großen Vertretern der Nation, den Herodianern, Sadduzäern und Pharisäern; ihnen Antwort gebend und sie fragend. Nachdem Er durch dies alles hindurchgegangen ist und sie zum Schweigen gebracht hat, fasst Er den Beweis ihrer Schuld zusammen und stellt das gerechte Urteil über sie aus. Israel wird gerichtet und verlassen. „Jerusalem, Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt, die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen.“ (Mt 23,37.38)
Daraufhin geht Er mit Seinen Aposteln hinaus zum dem Ölberg. In den Worten des Propheten Sacharja nimmt Er Seinen Stab „Huld“ und zerbricht ihn (Sach 11,10); d. h. Er zieht Sich Selbst von Israel zurück; denn Er ist, ob sie es wissen mögen oder nicht, ihre Huld, ihre Herrlichkeit, ihre Vollkommenheit.
Die Zeit dazu war nun gekommen. Der Stein war von den Bauleuten verworfen, nach den Worten des Psalmisten (Ps 118,22); die „drei Hirten“, Herodianer, Sadduzäer und Pharisäer, waren von Seinem Mund nun abgeschnitten, entsprechend den Worten des Propheten (Sach 11,8); der Herr würde die Herde daher nicht länger ernähren wie es derselbe Prophet ebenfalls sagte. (Sach 11,9: „Da sprach ich: Ich will euch nicht mehr weiden; . . . “ )
Es war auch in diesen Augenblicken, am Ende von Matthäus 23, als der Herr auf Israel und Seinen Dienst in deren Mitte zurückblickte, als wir Ihn gleichsam jene Worte des Propheten Jesaja sprechen hören: „Wo ist der Scheidebrief eurer Mutter? Oder welchem von meinen Gläubigern habe ich euch verkauft? Siehe, um eurer Ungerechtigkeit willen seid ihr verkauft, und um eurer Übertretungen willen ist eure Mutter verlassen. Warum bin ich gekommen, und kein Mensch war da, habe gerufen, und niemand antwortete? Ist meine Hand etwa zu kurz zur Erlösung? Oder ist in mir keine Kraft, um zu erretten? Siehe, durch mein Schelten trockne ich das Meer aus, mache Ströme zu einer Wüste. Ihre Fische stinken, weil kein Wasser da ist, und sie sterben vor Durst. Ich kleide die Himmel in Schwarz und mache Sacktuch zu ihrer Decke.“ (Jes 50,1-3)
Welch ein Urteil! Der Geist des Propheten scheint genau jenen Moment in Matthäus 23 empfunden zu haben. Jerusalem ist jetzt wie eine geschiedene Frau, hinweggetan wegen ihrer Ungerechtigkeiten. Ihr Schöpfer war ihr Ehemann gewesen, der Herr der Heerscharen. In den Tagen vor den Tagen des Evangeliums nach Matthäus, in den Tagen der Richter, der Könige und der Propheten, war sie als eine Frau die Geliebte ihres Freundes gewesen, jedoch eine Ehebrecherin. Die Götter der Nationen waren ihre Zuversicht gewesen. Jetzt war ihr eigener Gott abgelehnt. Er war gekommen und hatte gerufen, aber es gab dort keine Antwort. Und doch, sicherlich mochte Er fragen, „Ist meine Hand zu kurz zur Erlösung?“ Hatte Er die Macht dazu verloren oder die Liebe verloren, die seit je her auf sie gerichtet war in Ägypten als Er deren Wasser austrocknete und den Himmel verfinsterte?
Seine Heilungen und Fürsorge, all Sein Handeln in Gnade und Macht konnte für sie Antwort geben. Es war ihre Ungerechtigkeit und ihr Unglaube, der nun zwischen ihnen und ihrem Erlöser eine Trennung bewirkte. Er wendet Sich nun von ihnen ab, wie es dieses bemerkenswerte Kapitel Jesajas im weiteren Verlauf beschreibt, zunächst ein Wort zu seiner Zeit an Seinen Überrest richtend und dann Seinen Rücken den Schlagenden und Seine Wangen den Raufenden hingebend.