Behandelter Abschnitt 5. Mose 1,1-2
Rückblick auf die Reise vom Horeb nach Kades-Barnea
Aus Glauben leben
„Dies sind die Worte, die Mose zu ganz Israel geredet hat diesseits des Jordan, in der Wüste, in der Ebene, Suph gegenüber, zwischen Paran und Tophel und Laban und Hazerot und Di-Sahab. Elf Tagereisen sind es vom Horeb, auf dem Weg des Gebirges Seir, bis Kades-Barnea“ (V. 1.2).
Der Schreiber ist sorgfältig bemüht, uns genau die Lage des Ortes anzugeben, an dem die Worte dieses Buches zum Volk Israel gesprochen wurden. Israel hatte den Jordan noch nicht überschritten. Das Volk war an der östlichen Jordanseite angelangt, dem Roten Meer gegenüber, wo vor nahezu vierzig Jahren Gott seine große Macht so herrlich bewiesen hatte. Diese genaue Beschreibung zeigt, wie sehr Gott die Belange seines Volkes interessieren. Selbst die Lagerplätze werden erwähnt. Kein einziger, noch so unbedeutender Umstand in Verbindung mit seinem Volk entging ihm. Sein Auge ruhte beständig auf der gesamten Gemeinde wie auch auf jedem Einzelnen. Bei Tag und Nacht wachte Er über das Volk. Das Volk stand unter seiner Führung.
So war es damals mit Israel in der Wüste, und so ist es auch heute mit der Versammlung – und zwar sowohl was ihre Gesamtheit als auch was jeden Einzelnen betrifft. Sein Auge ruht beständig auf uns, und seine Arme umfassen uns bei Tag und Nacht. „Er zieht seine Augen nicht ab von dem Gerechten“ (Hiob 36,7). Er zählt die Haare unseres Hauptes und achtet auf alles, was uns betrifft. Er nimmt alle unsere Bedürfnisse und Anliegen auf sich. Er wünscht, dass wir alle unsere Sorgen auf ihn werfen in der Gewissheit, dass Er für uns sorgt. Er fordert uns auf, mit allem zu ihm zu kommen, mögen die Anliegen groß oder klein sein.
Das bewirkt in unseren Herzen wahren Trost und wahre Ruhe, was auch kommen mag. Doch sind unsere Herzen von dem Glauben daran ergriffen? Glauben wir wirklich, dass der allmächtige Schöpfer und Erhalter aller Dinge, Er, der die Säulen des Weltalls trägt, es sich zur Aufgabe gemacht hat, für uns zu sorgen auf der Reise durch diese Welt? „Er, der doch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat: Wie wird er uns mit ihm nicht auch alles schenken?“ (Röm 8,32). Was bedeuten diese Worte für uns? Wir unterhalten uns über diese Dinge und halten sie für wahr; dabei beweisen wir in unserem täglichen Leben, wie wenig wir sie verwirklichen. Wenn wir tatsächlich glaubten, dass unser Gott für alle unsere Bedürfnisse sorgt, wenn wir wirklich alle unsere Quellen in ihm fänden, könnten wir dann noch auf die armseligen menschlichen Quellen blicken, die doch so bald versiegen und uns enttäuschen? Unmöglich. Doch die Lehre von dem Leben aus Glauben zu kennen, ist etwas ganz anderes, als sie zu verwirklichen. Wir täuschen uns ständig selbst, wenn wir uns einbilden, aus Glauben zu leben und uns in Wirklichkeit nur auf eine menschliche Stütze lehnen, die früher oder später brechen muss.
Welch eine Zuversicht und Freude gibt es uns, zu wissen, dass der Schöpfer und Erhalter des Weltalls uns ewig und vollkommen liebt, dass sein Auge immer auf uns ruht und dass Er selbst für uns sorgen will, seien es leibliche oder geistliche Bedürfnisse. In Christus besitzen wir alles; Er ist die Schatzkammer des Himmels und das Vorratshaus Gottes, und das alles ist Er für uns.
Wir wenden uns so leicht mit unseren Anliegen an Menschen. Warum gehen wir nicht gleich zu Jesus? Brauchen wir Mitgefühl? Wer kann so mit uns fühlen wie unser barmherziger Hoherpriester, der alle unsere Schwachheiten kennt? Brauchen wir Hilfe? Wer kann uns so helfen wie unser allmächtiger Freund, der Besitzer unermesslicher Reichtümer? Brauchen wir einen Ratschlag oder eine Wegweisung? Wer kann uns das geben, wenn nicht unser Herr, der die Weisheit Gottes ist und der uns von Gott zur Weisheit gemacht worden ist (vgl. 1Kor 1,30)? Lasst uns sein liebendes Herz nicht verwunden und ihn nicht dadurch verunehren, dass wir uns von ihm abwenden! Lasst uns recht nahe bei der Quelle bleiben! Dann werden wir uns sicher nicht über Mangel an Wasser zu beklagen haben. Mit einem Wort, lasst uns aus Glauben leben und auf diese Weise Gott vor unseren Mitmenschen verherrlichen.
Elf Tage – vierzig Jahre
Der 2. Vers unseres Kapitels enthält eine sehr bemerkenswerte Mitteilung. „Elf Tagereisen sind es vom Horeb, auf dem Weg des Gebirges Seir, bis Kades-Barnea“. Elf Tage! Die Kinder Israel hatten vierzig lange Jahre dazu gebraucht! Wie kam das? Betrachten wir unser Leben!
Auch wir kommen nur langsam vorwärts! Wie viele Windungen und Krümmungen hat auch unser Weg aufzuweisen? Oft müssen wir zurückgehen und wieder und immer wieder neu anfangen. Wir sind träge Wanderer, weil wir träge Schüler sind. Vielleicht wundern wir uns, dass die Kinder Israel zu einem Weg von elf Tagereisen vierzig Jahre gebraucht haben. Doch wir haben Grund genug, uns über uns selbst zu wundern. Gleich ihnen lassen wir uns aufhalten durch unseren Unglauben und die Trägheit unserer Herzen. Dabei haben wir weit weniger Entschuldigung als sie, weil unsere Vorrechte viel erhabener sind, als ihre es waren.
Viele von uns müssen wohl beschämt sein über die lange Zeit, die wir nötig haben, um zu lernen, was Gott uns lehren will. Die Worte des Apostels passen nur zu gut auf uns: „Denn obwohl ihr der Zeit nach Lehrer sein müsstet, habt ihr wieder nötig, dass man euch lehre, welches die Elemente des Anfangs der Aussprüche Gottes sind; und ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise“ (Heb 5,12). Unser Gott ist nicht nur ein treuer und weiser Lehrmeister, sondern Er ist auch gnädig und geduldig. Er erlaubt uns nicht, über unsere Aufgaben flüchtig hinwegzugehen. Wir meinen oft, etwas gut gelernt zu haben und versuchen dann, eine andere Aufgabe zu lösen. Doch unser Lehrer weiß besser, wann wir noch gründlicher lernen müssen. Er will uns nicht zu Theoretikern oder Halbwissern ausbilden. Er übt uns, wenn es nötig ist, jahrelang in der Tonleiter, bis wir singen können.
Es ist demütigend für uns, dass wir im Lernen so träge sind, aber zugleich machen wir Erfahrungen mit der Gnade unseres Gottes. Wir dürfen ihm danken für die Methode seiner Unterweisung und die Geduld, in der Er immer wieder dieselbe Aufgabe mit uns übt, bis wir sie uns gründlich eingeprägt haben.3
3 Die Reise der Kinder Israel vom Horeb bis Kades-Barnea ist ein treffendes Bild von der Geschichte vieler auf dem Weg zum Frieden. Viele Kinder Gottes leben jahrelang in Zweifel und Furcht, ohne die Freiheit zu kennen, mit der Christus sein Volk freigemacht hat. Es ist betrübend für jeden, der wirklich um solche Menschen besorgt ist, den schlechten und krankhaften Zustand zu sehen, in dem so manche Gläubige ihr Leben lang bleiben. Es wird oft sogar als ein Zeichen echter Demut angesehen, ständig im Zweifel zu sein. Ein sicheres Wissen wird als Anmaßung verurteilt. Das Evangelium ist diesen Menschen unbekannt; sie stehen unter Gesetz anstatt unter der Gnade. Sie werden ferngehalten und nicht aufgefordert, nahe zu kommen (s. Heb 10,19-22).↩︎