Behandelter Abschnitt 4. Mose 30,1-17
Die Gelübde
Die Bedeutung dieses kurzen Abschnitts steht in Verbindung mit der damaligen Haushaltung Gottes. Er bezieht sich auf Israel und behandelt die Frage der Gelübde und Eide. Der Mann und die Frau nehmen im Hinblick auf dieses Thema eine unterschiedliche Stellung ein. „Wenn ein Mann dem Herrn ein Gelübde tut oder einen Eid schwört, eine Verpflichtung auf seine Seele zu nehmen, so soll er sein Wort nicht brechen: Nach allem, was aus seinem Mund hervorgegangen ist, soll er tun“ (V. 3).
Hinsichtlich der Frau war die Sache anders. „Und wenn eine Frau dem Herrn ein Gelübde tut oder eine Verpflichtung auf sich nimmt im Haus ihres Vaters, in ihrer Jugend, und ihr Vater hört ihr Gelübde oder ihre Verpflichtung, die sie auf ihre Seele genommen hat, und ihr Vater schweigt ihr gegenüber, so sollen alle ihre Gelübde bestehen, und jede Verpflichtung, die sie auf ihre Seele genommen hat, soll bestehen. Wenn aber ihr Vater ihr gewehrt hat an dem Tag, als er es hörte, so sollen alle ihre Gelübde und alle ihre Verpflichtungen, die sie auf ihre Seele genommen hat, nicht bestehen; und der Herr wird ihr vergeben, weil ihr Vater ihr gewehrt hat“ (V. 4–6). Dasselbe galt, wenn es sich um eine verheiratete Frau handelte. Ihr Mann konnte alle ihre Gelübde entweder bestätigen oder aufheben.
So lautete das Gesetz hinsichtlich der Gelübde. Der Mann durfte sein Gelübde nicht aufheben. Er war verpflichtet, alles zu tun, was er gesagt hatte. Was er sich auch zu tun vornahm, er war feierlich und unwiderruflich gehalten, es auszuführen. Für ihn gab es keine „Hintertür“, kein Ausweichen.
Nun, wir wissen, wer in vollkommener Gnade diese Stelle einnahm und sich freiwillig verpflichtete, den Willen Gottes zu erfüllen, ganz gleich, worin er bestehen mochte. Wir wissen, wer es ist, der da sagt: „Ich will dem Herrn meine Gelübde bezahlen, ja, in der Gegenwart seines ganzen Volkes“ (Ps 116,14). Es ist „der Mensch Jesus Christus“, der, nachdem Er die Gelübde auf sich genommen hatte, sie zur Ehre Gottes und zur ewigen Glückseligkeit seines Volkes vollkommen erfüllte. Es gab keine Möglichkeit des Zurückweichens für ihn. Wir hören ihn in der tiefen Angst seiner Seele im Garten Gethsemane rufen: „Wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber!“ (Mt 26,39). Aber es war nicht möglich. Er hatte das Werk der Errettung des Menschen auf sich genommen und musste deshalb durch die tiefen und finsteren Wasser des Todes, des Gerichts und des Zorns Gottes gehen und alle Folgen des Zustandes der Menschen erfahren. Er musste mit einer Taufe getauft werden und war beengt, bis sie vollbracht war. Mit anderen Worten: Er musste sterben, um durch den Tod die Schleusen öffnen und den mächtigen und göttlichen Strom der ewigen Liebe in seiner ganzen Fülle auf sein Volk fließen lassen zu können.
Was nun die Frau betrifft, mochte es eine Jungfrau oder eine Ehefrau sein, so ist sie das Bild des Volkes Israel, und zwar in zweierlei Hinsicht: unter der Regierung und unter der Gnade. Vom Gesichtspunkt der Regierung aus betrachtet, hat der Herr, der zugleich Vater und Ehemann des Volkes Israel ist, zu den Worten des Volkes geschwiegen, so dass seine Gelübde bestehen und das Volk bis auf diesen Tag die Folgen trägt und die Bedeutung der Worte fühlen muss – „Besser, dass du nicht gelobst, als dass du gelobst und nicht bezahlst“ (Pred 5,4).
Betrachten wir aber die Sache von dem Gesichtspunkt der Gnade aus, so sehen wir, dass der Vater und Ehemann alles auf sich selbst genommen hat, so dass Israel Vergebung erlangen und später den vollen Segen erfahren kann; nicht aufgrund erfüllter Gelübde und bestätigter Verpflichtungen, sondern aufgrund der unumschränkten Gnade und Barmherzigkeit Gottes und durch das Blut des ewigen Bundes.
Ich glaube, dass hiermit der Hauptgedanke dieses Kapitels genannt ist. Zweifellos kann es in zweiter Linie auch auf einzelne Personen angewendet werden, denn es ist wie alle Schrift zu unserer Belehrung geschrieben. Es ist für einen aufrichtigen Christen immer eine Freude, die Wege Gottes, sei es in Gericht oder in Gnade, zu erforschen. Das gilt für seine Wege mit Israel, für die mit der Versammlung sowie für die Wege mit allen insgesamt und mit jedem Einzelnen persönlich. Möchten wir mit weitem Herzen und erleuchtetem Verständnis in der Heiligen Schrift forschen!
Die Rache des Herrn an Midian
Dieses Kapitel zeigt gewissermaßen die Schlussszene des öffentlichen Lebens Moses, während wir in 5. Mose 34 den Abschluss seiner persönlichen Geschichte finden. „Und der Herr redete zu Mose und sprach: Übe Rache für die Kinder Israel an den Midianitern; danach sollst du zu deinen Völkern versammelt werden. Und Mose redete zum Volk und sprach: Rüstet von euch Männer zum Heer aus, damit sie gegen Midian ziehen, um die Rache des Herrn an Midian auszuführen.
Je 1 000 vom Stamm, von allen Stämmen Israels, sollt ihr zum Heere aussenden. Und es wurden aus den Tausenden Israels 1 000 von jedem Stamm ausgewählt: 12 000 zum Heer Gerüstete. Und Mose sandte sie, 1 000 von jedem Stamm, zum Heer aus, sie und Pinehas, den Sohn Eleasars, des Priesters, zum Heer; und die heiligen Geräte und die Trompeten zum Lärmblasen waren in seiner Hand. Und sie führten Krieg gegen Midian, so wie der Herr dem Mose geboten hatte, und töteten alles Männliche“ (V. 1–7).
Das ist eine bemerkenswerte Stelle. Der Herr spricht zu Mose: „Übe Rache für die Kinder Israel an den Midianitern“, und Mose sagt zu Israel: „Führt die Rache des Herrn an Midian aus.“ Das Volk war durch die Ränke der Töchter Midians verführt worden. Nun wird es aufgefordert, sich von all der Befleckung zu reinigen, die es aus Mangel an Wachsamkeit über sich gebracht hatte. Das Schwert muss gegen Midian gezogen werden, und alle Beute muss entweder durch das Feuer des Gerichts oder durch das Wasser der Reinigung gehen. Selbst nicht eine Spur des Bösen darf ungerichtet bleiben.
Wir können diesen Krieg regelwidrig nennen. Eigentlich hätte das Volk keinen Anlass haben sollen, ihn überhaupt zu führen. Er gehörte nicht zu den Kriegen Kanaans, sondern war einfach die Folge ihrer Untreue, die Frucht ihres gottlosen Umgangs mit den Unbeschnittenen. Daher wird auch Josua, der Sohn Nuns, obwohl er als Nachfolger Moses zum Führer der Gemeinde bestimmt war, in diesem Krieg gar nicht erwähnt. Pinehas, dem Sohn Eleasars, des Priesters, wird die Führung des Kriegszuges übergeben, und er unternimmt ihn „mit den heiligen Geräten und den Trompeten“.
Alles das ist sehr charakteristisch. Der Priester ist die Hauptperson, und die heiligen Geräte sind die Hauptwerkzeuge. Es handelt sich für Israel darum, sich von der Befleckung zu reinigen, der es sich durch seine unheilige Verbindung mit dem Feind schuldig gemacht hatte. Darum steht statt eines Feldherrn mit Schwert und Speer ein Priester mit heiligen Geräten im Vordergrund. Wohl ist das Schwert da. Aber nicht dies, sondern der Priester mit den heiligen Geräten ist die Hauptsache, und dieser Priester ist derselbe Mann, der über das Böse, das hier gerächt werden sollte, zuerst Gericht geübt hatte.
Die Belehrung, die in diesem allem für uns liegt, ist klar und von praktischem Wert. Die Midianiter sind ein Bild von dem besonderen Einfluss, den die Welt auf die Herzen der Kinder Gottes ausübt, von der bezaubernden und verführerischen Macht der Welt, die Satan benutzt, um uns am Genuss unseres wahren, himmlischen Teils zu hindern. Israel hätte nichts mit den Midianitern zu tun haben sollen; aber nachdem es einmal in einem unbedachten Augenblick mit ihnen in Verbindung gekommen war, blieb nichts anderes übrig als Krieg gegen sie mit dem Ziel, sie völlig auszurotten.
Genauso ist es mit uns als Christen. Es ist unsere Aufgabe, als Fremde und als Pilger durch diese Welt zu gehen, mit der wir nichts anderes zu tun haben sollen als in ihr die geduldigen Zeugen der Gnade Christi zu sein und so in der uns umgebenden Finsternis als Lichter zu scheinen. Leider halten wir nur allzu oft diese scharfe Trennung nicht aufrecht. Wir lassen uns in Verbindungen mit der Welt ein und kommen dadurch in Unruhe und in Kämpfe, die eigentlich gar nicht unsere Aufgabe wären. Der Krieg mit Midian gehörte, wie gesagt, an sich nicht zu dem Werk Israels in der Wüste. Sie hatten diesen Krieg sich selbst zuzuschreiben.
Gott aber ist gnädig. Daher wurden sie durch den besonderen priesterlichen Dienst in die Lage versetzt, nicht nur die Midianiter zu besiegen, sondern auch große Beute zu machen. Gott lässt in seiner unendlichen Güte aus dem Bösen Gutes erwachsen. Doch das Böse musste völlig gerichtet werden. „Alles Männliche“ musste getötet, die dem Bösen innewohnende Kraft musste vollständig zerstört werden. Danach aber hatten das Feuer des Gerichts und das Wasser der Reinigung ihr Werk an der Beute zu tun, bevor Gott oder sein Volk auch nur ein Stäubchen davon anrühren konnten.