Behandelter Abschnitt 4. Mose 1,2-3
Abstammung und Banner
Wir beginnen jetzt mit der Betrachtung des vierten Buches Mose; dabei werden wir hier den Leitgedanken ebenso stark ausgeprägt finden wie in den anderen drei Büchern, die wir schon behandelt haben. Im ersten Buch Mose finden wir nach dem Bericht über die Schöpfung, die Sintflut und die Sprachverwirrung und Zerstreuung von Babel die Berufung Abrahams und seiner Nachkommen; im zweiten Buch sehen wir die Erlösung; das dritte Buch zeigt uns den priesterlichen Dienst und die Gemeinschaft; das vierte Buch zeigt uns Weg und Kampf in der Wüste. Das sind die auf den ersten Blick auffallendsten Themen dieser wertvollen Teile der Heiligen Schrift. Der Herr hat uns in seiner Gnade bei der Betrachtung der ersten drei Bücher Moses begleitet, und wir können darauf vertrauen, dass Er uns auch durch das vierte Buch führen wird. Möge sein Geist die Gedanken leiten, damit nichts niedergeschrieben wird, das nicht mit seinem heiligen Willen übereinstimmt! Möge jede Seite den Stempel seines Einverständnisses tragen und so sowohl zu seiner Ehre als auch zum bleibenden Gewinn des Lesers beitragen!
Das vierte Buch Mose beginnt mit folgenden Worten: „Und der Herr redete zu Mose in der Wüste Sinai im Zelt der Zusammenkunft, am Ersten des zweiten Monats, im zweiten Jahr nach ihrem Auszug aus dem Land Ägypten, und sprach: Nehmt die Summe der ganzen Gemeinde der Kinder Israel auf nach ihren Familien, nach ihren Vaterhäusern, nach der Zahl der Namen, alle Männlichen nach ihren Köpfen; von zwanzig Jahren und darüber, jeden, der zum Heer auszieht in Israel, die sollt ihr mustern nach ihren Heeren, du und Aaron“ (Kap. 1,1–3).
Wir sind hier von vornherein „in der Wüste“, wo nur die zählen, die „zum Heere“ ausziehen können. Das wird betont. Im ersten Buch Mose war Israel noch in den Lenden seines Vaters Abraham, im zweiten Buch sahen wir das Volk bei den Ziegelöfen Ägyptens, im dritten Buch waren die Israeliten um das Zelt der Zusammenkunft versammelt, und hier im vierten Buch werden sie in der Wüste gesehen. Entsprechend hören wir auch im ersten Buch Mose vom Ruf Gottes in der Auserwählung, begegnen im zweiten Buch dem Blut des Lammes in der Erlösung und sehen dann im dritten Buch schon fast ausschließlich die Anbetung und den Dienst am Heiligtum; sobald wir aber das vierte Buch aufschlagen, lesen wir von den Kriegsleuten, Heeren, Bannern (Standarten), Lagern und Lärm blasenden Trompeten.
Das alles ist sehr charakteristisch und zeigt uns, dass wir hier ein Buch vor uns haben, das für einen Christen von besonderem Interesse und großer Wichtigkeit ist. Jedes Buch der Bibel hat seinen eigenen Platz und seinen bestimmten Gegenstand. Wir dürfen nicht auf den Gedanken kommen, einzelne Teile der Bibel für wichtiger, ursprünglicher oder wertvoller zu halten als andere. Dagegen können wir mit sehr viel Nutzen Inhalt, Absicht und Zweck der verschiedenen Bücher miteinander vergleichen, und je tiefer wir darüber nachdenken, umso mehr werden wir von der Schönheit, der unendlichen Weisheit und der Genauigkeit der Bibel als Ganzes wie auch ihrer einzelnen Teile beeindruckt sein. Der Schreiber entfernt sich nie von dem eigentlichen Gegenstand eines Buches, was dieser Gegenstand auch immer sein mag. Man wird in keinem Buch der Bibel etwas finden, das nicht zu seinem Generalthema passt. Wenn wir das jetzt beweisen wollten, müssten wir die ganze Bibel durchgehen, aber dazu ist hier nicht der Ort.
Ein Mann, der die Bibel sehr gut kannte, sagte einmal dazu: „Die Schriften haben eine lebendige Quelle, und eine lebende Kraft hat ihre Zusammensetzung bewirkt und durchdringt sie. Daher rührt ihre unendliche Tragweite, und daher ist es unmöglich, irgendeinen Teil aus seiner Verbindung zum Ganzen zu lösen. Der eine Gott ist der lebende Mittelpunkt, um den alle Wahrheiten dieses Buches kreisen und auf den sie sich beziehen (wenn auch in unterschiedlicher Weise), obwohl sie verschiedene Herrlichkeiten offenbaren; ein Geist dringt von seiner Quelle in Gott aus bis in die kleinsten Zweige der alles vereinigenden Wahrheit, indem Er von der Herrlichkeit, der Gnade und der Wahrheit dessen zeugt, den Gott als Objekt, Mittelpunkt und Haupt alles dessen vorstellt, was mit ihm selbst in Verbindung steht, und der zugleich Gott über alles ist, gepriesen in Ewigkeit! . . . Je mehr wir – angefangen bei den äußersten Blättern und Zweigen der Offenbarung der Gedanken Gottes, von denen wir erreicht wurden, als wir noch fern von ihm waren – diese Offenbarung verfolgen bis in ihren Mittelpunkt und von dort noch einmal auf ihre Ausdehnung und ihre Vielfalt sehen, je mehr wir das tun, umso mehr lernen wir ihre Unendlichkeit kennen, umso mehr aber auch die Schwäche unserer Auffassungskraft.
Wir lernen – und dafür sei Gott gepriesen – dass die Liebe als Quelle aller göttlichen Offenbarung in unverfälschter Vollkommenheit und völliger Entfaltung bereits darin zu sehen ist, dass wir in unserem verlorenen Zustand erreicht wurden. Derselbe vollkommene Gott der Liebe zeigt sich in allem. Aber die Entfaltung göttlicher Weisheit, seine Selbstoffenbarung in seinen Ratschlüssen, wird für uns doch etwas bleiben, über das wir immer nachdenken und das wir immer erforschen können, ohne damit ganz ans Ende zu kommen. Denn jede neue Entdeckung vergrößert unsere geistliche Einsicht und lässt uns mehr und mehr die Unendlichkeit des Ganzen erkennen, das unser Denken übersteigt.“
Es ist erfrischend, solche Zeilen von einem Mann zu lesen, der seit vierzig Jahren ein gründlicher Kenner der Heiligen Schrift ist. Gerade zu einem Zeitpunkt, in dem so viele über dieses Buch nur noch lächeln, sind sie ungemein wertvoll. Herz und Sinn müssen festhalten an der Wahrheit, dass die Heilige Schrift vollständig von Gott eingegeben ist und folglich göttliche Autorität besitzt, dass sie ausreicht für alle Probleme aller Menschen und zu jeder Zeit, insbesondere auch heute. Wir sind von zwei feindlichen Strömungen umgeben, die auf alles Einfluss zu gewinnen suchen: von Unglauben – aber andererseits auch von Irrglauben. Der Unglaube streitet ab, dass Gott in seinem Wort zu uns gesprochen hat; der Irrglaube gesteht zwar zu, dass Er geredet hat, behauptet aber außerdem, dass wir das, was Er gesagt hat, nur durch Auslegungen der Versammlung verstehen können.
Nun, sehr viele schrecken zurück vor der Verwegenheit völligen Unglaubens, sehen aber nicht, dass auch ein falscher Glaube, wie er eben erwähnt wurde, ihnen die Heilige Schrift entzieht. Denn was für einen Unterschied macht es, ob ich nun leugne, dass Gott geredet hat, oder ob ich leugne, dass wir verstehen können, was Er sagt? Ist uns nicht in jedem Fall das Wort Gottes genommen? Wenn Gott mich nicht verstehen lassen kann, was Er sagt, wenn Er mir nicht die Gewissheit geben kann, dass Er selbst es ist, der da redet, dann bin ich nicht besser dran, als wenn Er überhaupt nicht gesprochen hätte. Wenn Gottes Wort nicht hinreicht, wenn es nicht vollkommen ist ohne die Auslegung eines Menschen, dann kann es gar nicht Gottes Wort sein. Denn was unvollkommen ist, ist niemals Gottes Wort. Es gibt deshalb nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat Gott gar nicht geredet, oder aber Er hat geredet, dann ist sein Wort auch vollkommen. Hinsichtlich dieser Frage gibt es keine weitere – etwa eine neutrale – Möglichkeit. Hat Gott uns eine Offenbarung gegeben? Der Unglaube sagt: „Nein“, und ein falscher Glaube sagt: „Ja, aber wir können sie ohne eine menschliche Autorität nicht verstehen.“ So treffen sich Unglaube und jener Irrglaube, obwohl sie auf den ersten Blick so ungleich erscheinen, in dem einen Punkt: Beide nehmen uns die göttliche Offenbarung.
Doch Gott sei Dank – Er hat uns eine Offenbarung gegeben! Er hat gesprochen, und sein Wort kann das Herz erreichen und ebenso das Verständnis. Er kann die Gewissheit geben, dass Er es ist, der da redet, und wir benötigen keine menschliche Autorität, die hier vermitteln müsste. Wir müssen nur im Schein der Sonne stehen – dann werden wir auch überzeugt sein, dass die Sonne scheint. Wenn wir uns natürlich in einen Keller oder einen Tunnel verkriechen, spüren wir nichts von ihr. Und genau so ist es mit der Heiligen Schrift: Wenn wir uns den verfinsternden Einflüssen eines falschen Glaubens oder des Unglaubens öffnen, werden wir die belebende Kraft dieser göttlichen Offenbarung nicht erfahren.