Behandelter Abschnitt 2. Mose 32,7-34
Die Fürsprache Moses
Die Israeliten haben mit vollem Bewusstsein das Verhältnis zu ihrem Gott gekündigt. Infolgedessen begegnete ihnen Gott nun auf dem Boden, auf den sie sich gestellt hatten. „Da sprach der Herr zu Mose: Geh, steige hinab! Denn dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, hat sich verdorben. Sie sind schnell von dem Weg abgewichen, den ich ihnen geboten habe . . . Ich habe dieses Volk gesehen, und siehe, es ist ein hartnäckiges Volk; und nun lass mich, dass mein Zorn gegen sie entbrenne und ich sie vernichte; dich aber will ich zu einer großen Nation machen“ (V. 7–10).
Mit diesen Worten wurde Mose eine weite Tür geöffnet, aber er zeigt hier eine ungewöhnliche Gnade und eine sehr ähnliche Gesinnung wie jener Prophet, gleich ihm, den der Herr in späteren Tagen erwecken wollte (5Mo 18,15). Er weigerte sich, etwas zu sein oder etwas zu empfangen ohne dieses Volk. Er verhandelt mit Gott auf dem Boden seiner eigenen Herrlichkeit und wirft das Volk auf ihn zurück mit den rührenden Worten: „Warum, Herr, sollte dein Zorn entbrennen gegen dein Volk, das du aus dem Land Ägypten herausgeführt hast mit großer Kraft und mit starker Hand? Warum sollten die Ägypter also sprechen: Zum Unglück hat er sie herausgeführt, um sie im Gebirge zu töten und sie von der Fläche des Erdbodens zu vernichten? Kehre um von der Glut deines Zorns und lass dich des Übels gegen dein Volk gereuen. Gedenke Abrahams, Isaaks und Israels, deiner Knechte, denen du bei dir selbst geschworen hast, und hast zu ihnen gesagt: Mehren will ich eure Nachkommen wie die Sterne des Himmels; und dieses ganze Land, von dem ich geredet habe, werde ich euren Nachkommen geben, dass sie es als Erbteil besitzen auf ewig“ (V. 11–13). Das war eine gewaltige Verteidigung. Die Herrlichkeit Gottes, die Ehre seines heiligen Namens, die Erfüllung seines Eidschwurs – das waren die Gründe, auf die Mose sich stützte, um den Zorn seines Herrn abzuwenden. In Israel konnte er nichts finden, worauf er seine Fürsprache hätte gründen können. Er fand alles in Gott selbst.
Der Herr hatte zu Mose gesagt. „Dein Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast“, aber Mose antwortet dem Herrn: „Dein Volk, das du herausgeführt hast“. Trotz allem war und blieb Israel das Volk Gottes; sein Name, seine Herrlichkeit und sein Eidschwur standen mit dem Schicksal Israels unmittelbar in Verbindung. Wenn Gott sich mit einem Volk einsmacht, dann ist Er in seiner ganzen Herrlichkeit mit ihm verbunden, und auf dieser unerschütterlichen Grundlage ruht auch der Glaube. Mose verliert sich selbst ganz und gar aus dem Auge. Seine ganze Seele ist erfüllt mit der Herrlichkeit Gottes und mit dem Volk Gottes. Welch ein Diener! Wie wenige gleichen ihm! Und doch, wie unendlich weit war er selbst in diesem Dienst von unserem Herrn Jesus entfernt! Mose stieg vom Berg herab, und als er das Kalb und die Reigentänze sah, „da entbrannte der Zorn Moses, und er warf die Tafeln aus seinen Händen und zerbrach sie unten am Berg“ (V. 19). Der Bund war gebrochen, die Zeugnisse davon lagen in Stücken am Boden, und dann, nachdem Mose in gerechtem Zorn das Gericht vollzogen hatte, sagte er zu dem Volk: „Ihr habt eine große Sünde begangen: und nun will ich zu dem Herrn hinaufsteigen, vielleicht kann ich Sühnung für eure Sünde tun“ (V. 30).
Etwas völlig anderes sehen wir bei Christus. Er war aus der Gegenwart des Vaters gekommen, nicht mit Gesetzestafeln in seiner Hand, sondern mit dem Gesetz in seinem Herzen. Er brauchte den Zustand des Volkes nicht erst kennenzulernen, sondern Er kam in vollkommener Kenntnis dieses Zustandes. Anstatt die Zeugnisse des Bundes zu zerstören und Gericht auszuüben, verherrlichte Er das Gesetz und ertrug am Kreuz an sich selbst das Gericht seines Volkes; und nachdem alles vollbracht war, ging Er in den Himmel zurück, und zwar nicht mit einem: „Vielleicht kann ich Sühnung für eure Sünde tun“, sondern um vor dem Thron Gottes Zeugnis davon zu geben, dass die Erlösung vollbracht ist. Das ist ein unermesslicher und herrlicher Unterschied. Gott sei Dank! Wir haben nicht nötig, ängstliche Blicke auf unseren Mittler zu richten, um zu erfahren, ob Er Sühnung für uns tun und der beleidigten Gerechtigkeit Gottes Genüge tun werde. Nein, Er hat alles vollbracht. Seine Gegenwart in den Himmeln ist für uns die Garantie, dass das ganze Werk vollendet ist.
Am Ende dieses Kapitels stellt Gott die Grundsätze fest, nach denen Er künftig das Volk regieren wird: „Wer gegen mich gesündigt hat, den werde ich aus meinem Buch auslöschen. Und nun geh hin, führe das Volk, wohin ich dir gesagt habe. Siehe, mein Engel wird vor dir herziehen; und am Tag meiner Heimsuchung, da werde ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen“ (V. 33.34). Hier sehen wir Gott in seiner Regierung und nicht im Evangelium. Hier redete Er von dem Auslöschen des Sünders, während Er im Evangelium die Sünde auslöscht. Das ist ein großer Unterschied.
Das Volk sollte also unter der Mittlerschaft Moses durch einen Engel weitergeführt werden. Auf dem Weg von Ägypten bis zum Sinai war es noch ganz anders gewesen. Aber nun stand Israel auf dem Boden des Gesetzes und konnte daher keine Gnade mehr erwarten. Auch für Gott blieb nichts anderes übrig, als in seiner Unumschränktheit zu sagen: „Ich werde begnadigen, wen ich begnadigen werde, und werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde“ (Kap. 33,19).