Behandelter Abschnitt 2. Mose 5,3-9
Die Gedanken des Pharaos
Der Pharao war jedoch durchaus nicht gewillt, dem göttlichen Befehl Gehorsam zu leisten. „Wer ist der Herr „, fragt er, „auf dessen Stimme ich hören soll, um Israel ziehen zu lassen?“ (Kap. 5,2).
Diese Worte sind der Ausdruck seines moralischen Zustandes. Er zeigt Unkenntnis und Ungehorsam, und diese beiden Dinge gehen gewöhnlich zusammen. Wenn man Gott nicht kennt, so kann man ihm nicht gehorchen, denn Gehorsam gründet sich auf Erkenntnis. Eine Seele, die Gott kennt, macht die Erfahrung, dass diese Erkenntnis das ewige Leben ist (Joh 17,3). Leben aber ist Kraft; und wenn ich Kraft empfange, so kann ich handeln. Es ist einleuchtend, dass ein Mensch, der kein Leben hat, auch nicht tätig sein kann. Es ist daher unsinnig, einen Menschen aufzufordern, er solle sich eine Fähigkeit erarbeiten, die selbst erst Voraussetzung für jede Aktivität ist. Wie könnte ein kraftloser Mensch Kraft beweisen?
Aber der Pharao war über sich selbst ebenso unwissend wie über Gott. Er wusste nicht, dass er ein unbedeutender Erdenwurm und ausdrücklich zu dem Zweck erweckt war, die Herrlichkeit dessen bekannt zu machen, von dem er sagte, dass er ihn nicht kenne (2Mo 9,16; Röm 9,17). „Und sie sprachen: Der Gott der Hebräer ist uns begegnet. Lass uns doch drei Tagereisen weit in die Wüste ziehen und dem Herrn, unserem Gott, opfern, damit er uns nicht schlage mit der Pest oder mit dem Schwert. Und der König von Ägypten sprach zu ihnen: Warum, Mose und Aaron, wollt ihr das Volk von seinen Arbeiten abhalten? Geht an eure Lastarbeiten! . . . Schwer laste der Dienst auf den Männern, dass sie damit zu schaffen haben und nicht auf Worte des Truges achten“ (Kap. 5,3–9).
Hier zeigen sich die geheimen Motive des menschlichen Herzens und die Unfähigkeit, die Dinge Gottes zu verstehen. Alle göttlichen Rechte und Offenbarungen waren nach dem Urteil des Pharaos nichts als „Worte des Truges“. Was wusste er von den „drei Tagereisen in die Wüste“? Was kümmerte ihn ein „Fest des Herrn „? Wie hätte er die Notwendigkeit einer solchen Reise oder den Sinn eines solchen Festes begreifen können? Unmöglich! Er konnte das Lasttragen und das Ziegelbrennen verstehen, denn diese Dinge gehörten nach seinem Urteil der Wirklichkeit an. Wenn es sich aber um Gott handelte, um seinen Dienst oder seine Anbetung, so betrachtete er alles nur als ein Hirngespinst, hervorgerufen durch jene, die nur eine Ausflucht suchten, um den Beschwerden des Lebens entrinnen zu können.
Nur zu oft hat sich dieselbe Erscheinung bei den Weisen und Großen dieser Welt gezeigt. Sie sind schnell bereit, die göttlichen Zeugnisse als Torheit und Täuschung abzutun. Denken wir z. B. an die Meinung, die sich der „vortreffliche Festus“ über die zwischen Paulus und den Juden schwebende Streitfrage gebildet hatte. Er sagte zu dem König Agrippa: „Sie hatten aber einige Streitfragen gegen ihn wegen ihrer eigenen Religion und wegen eines gewissen Jesus, der gestorben ist, von dem Paulus sagte, er lebe“ (Apg 25,19). Wie wenig wusste er, was er sagte! Wie wenig verstand er die Wichtigkeit der Frage, ob Jesus tot sei oder lebe. Er dachte nicht an ihre unermessliche Tragweite für ihn selbst und seine Freunde Agrippa und Bernice. Jedoch änderte dies nichts an der Sache selbst. Sowohl er als sie wissen jetzt mehr darüber, obwohl sie es in den Tagen ihrer irdischen Herrlichkeit nur als eine alberne Streitfrage betrachteten, die nicht die Beachtung verständiger Menschen verdiente und ausschließlich geeignet war, das gestörte Gehirn von Schwärmern zu beschäftigen. Die große, das Schicksal jedes Menschen entscheidende Frage, auf der der gegenwärtige und ewige Zustand der Versammlung und der Welt beruht und an die sich alle Ratschlüsse Gottes knüpfen, war nach dem Urteil des Festus nur eitler Aberglaube.
Dasselbe finden wir bei dem Pharao. Er wusste nichts von dem „Gott der Hebräer“, von dem großen „Ich bin“, und daher beurteilte er alles, was Mose und Aaron ihm von einem Gott darzubringenden Opfer gesagt hatten, als „Worte des Truges“. Die Dinge Gottes müssen dem unheiligen Geist des Menschen immer nutzlos und töricht erscheinen. Der Name Gottes mag in der Ausdrucksweise einer kalten Formreligion seinen Platz finden; aber Gott selbst wird nicht gekannt. Sein kostbarer Name, in dem der Gläubige jeden Wunsch und jedes Bedürfnis seines Herzens eingeschlossen findet, hat für den Ungläubigen weder Bedeutung noch Kraft noch Wert; und darum wird alles, was mit Gott in Verbindung steht, seine Worte, seine Ratschlüsse, seine Gedanken und seine Wege als „Worte des Truges“ betrachtet.
Aber es wird nicht mehr lange so sein. Der Richterstuhl Christi, der Schrecken der zukünftigen Welt, die Wogen des Feuersees – sie alle werden nicht Worte des Truges sein. Nein, gewiss nicht; und alle, die durch die Gnade heute schon glauben, dass diese Dinge Wirklichkeiten sind, sollten sie auf die Gewissen derer legen, die wie der Pharao das „Ziegelstreichen“ als die einzig beachtenswerte Sache, als das einzig Wesentliche betrachten.
Leider leben selbst Christen so oft im Bereich der sichtbaren Dinge, im Bereich der Erde und der Natur, dass sie das bleibende und mächtige Bewusstsein von der Wirklichkeit der göttlichen und himmlischen Dinge verlieren. Was wir brauchen, ist ein ununterbrochenes Leben im Bereich des Glaubens, des Himmels und der „neuen Schöpfung“. Dann werden wir die Dinge sehen, wie Gott sie sieht, sie beurteilen, wie Er sie beurteilt, und unser ganzes Leben und Verhalten wird erhabener, gelassener und von der Erde und den irdischen Dingen vollständiger getrennt sein.