Behandelter Abschnitt 1. Mose 42,7 - 45,8
Die Wiederherstellung von Josephs Brüdern
Beschäftigen wir uns jetzt einen Augenblick mit Josephs Zusammentreffen mit seinen Brüdern. Wir werden darin verschiedene Punkte finden, die mit der Geschichte Israels in den letzten Tagen auffallend übereinstimmen. Während der Zeit, in der Joseph von seinen Brüdern getrennt war, hatten seine Brüder eine tiefe Prüfung und schmerzende Gewissensübungen durchzumachen. Eine dieser Übungen drücken sie mit folgenden Worten aus: „Wahrhaftig, wir sind schuldig wegen unseres Bruders, dessen Seelenangst wir sahen, als er zu uns flehte, und wir hörten nicht; darum ist diese Drangsal über uns gekommen. Und Ruben antwortete ihnen und sprach - Habe ich nicht zu euch gesprochen und gesagt: Versündiget euch nicht an dem Knaben? Aber ihr hörtet nicht; und siehe, sein Blut wird auch gefordert!“ (Kap. 42,21.22).
Weiter lesen wir in Kapitel 44,16: „Und Juda sprach: Was sollen wir meinem Herrn sagen? Was sollen wir reden und wie uns rechtfertigen? Gott hat die Ungerechtigkeit deiner Knechte gefunden.“ Keiner kann unterweisen wie Gott. Er allein kann im Gewissen ein wahres Gefühl von der Sünde wachrufen und die Seele zu dem tiefen Bewusstsein ihres Zustandes vor ihm bringen. Der Mensch eilt sorglos in seinen Sünden dahin, bis die Pfeile des Allmächtigen sein Gewissen durchbohren, und dann wird er durch schmerzhafte Übungen geführt, die nur in der Fülle der erlösenden Liebe leichter werden können. Josephs Brüder hatten keine Vorstellung davon, was aus ihrem Verhalten gegen Joseph für sie hervorgehen würde. „Sie nahmen ihn und warfen ihn in die Grube; . . . und sie setzten sich, um zu essen“ (Kap. 37,24.25). „Wehe denen. . . , die Wein aus Schalen trinken und mit den besten Ölen sich salben, und sich nicht grämen über die Wunde Josephs!“ (Amos 6,6).
Gott rief zu seiner Zeit Betrübnis und Gewissensübungen in ihnen wach, und zwar in wunderbarer Weise. Jahre gingen dahin, und die Brüder hätten sich einbilden können, dass alles in bester Ordnung sei. Dann aber kamen „die sieben Jahre des Überflusses und die sieben Jahre der Hungersnot“ (Kap 41). Was bedeuteten sie? Von wem kamen sie, und was war ihr Zweck? Wie wunderbar und unergründlich ist die Weisheit Gottes! Die Hungersnot erreicht das Land Kanaan, und der Hunger bringt die schuldigen Brüder nach Ägypten, vor die Füße dessen, den sie misshandelt hatten. Wie deutlich zeigt sich darin die Hand Gottes! Da stehen sie, in ihren Gewissen überführt und von einem tiefen Schuldbewusstsein erfüllt, in der Gegenwart des Mannes, den sie in die Grube geworfen hatten.
In der Tat, ihre Sünde hatte sie gefunden, aber gefunden in der Gegenwart Josephs. Gesegneter Platz! „Da konnte Joseph sich nicht mehr bezwingen vor allen, die um ihn standen, und er rief: Lasst jedermann von mir hinausgehen! Und es stand niemand bei ihm, als Joseph sich seinen Brüdern zu erkennen gab“ (Kap. 45,1). Keinem Fremden wurde gestattet, Zeuge dieser Begebenheit zu sein, denn welcher Fremdling hätte sie verstehen können? Wir dürfen hier in eine von Gott gewirkte Sünden-Überführung in Gegenwart göttlicher Gnade sehen, und wenn diese beiden Dinge sich begegnen, ist bald jede Frage geordnet. „Da sprach Joseph zu seinen Brüdern: Tretet doch zu mir her! Und sie traten herzu. Und er sprach: Ich bin Joseph, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Und nun betrübt euch nicht, und zürnt nicht über euch selbst, dass ihr mich hierher verkauft habt; denn zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt . . . Und Gott hat mich vor euch hergesandt, um euch einen Überrest zu setzen auf der Erde und euch am Leben zu erhalten für eine große Errettung. Und nun, nicht ihr habt mich hierher gesandt, sondern Gott“ (V. 4-8).
Das ist wirklich Gnade, eine Gnade, die das überführte Gewissen vollkommen zur Ruhe bringt. Da die Brüder sich selbst schon vorbehaltlos verurteilt hatten, konnte Joseph ihren traurigen Herzen wieder Frieden geben. Hier sehen wir ein schönes Bild von dem, was Gott mit Israel tun wird in den letzten Tagen, wenn sie auf ihn blicken, „den sie durchbohrt haben“ und wenn sie „über ihn wehklagen“ werden (Sach 12,10). Dann werden sie die Wirklichkeit der Gnade Gottes erfahren, sowie die reinigende Kraft des Quells, der dem Haus Davids und den Bewohnern von Jerusalem geöffnet sein wird für Sünde und für Unreinheit (Sach 13,1).
In Apostelgeschichte 3 finden wir, wie der Geist Gottes in Petrus bemüht ist, diese Überführungen in den Gewissen der Juden hervorzurufen. „Der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, der Gott unserer Väter, hat seinen Knecht Jesus verherrlicht, den ihr freilich überliefert und angesichts des Pilatus verleugnet habt, als dieser geurteilt hatte, ihn freizulassen. Ihr habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und gebeten, dass euch ein Mann, der ein Mörder war, geschenkt würde; den Urheber des Lebens aber habt ihr getötet, den Gott aus den Toten auferweckt hat, wovon wir Zeugen sind“ (V. 13-15).
Diese Worte hatten den Zweck, den Juden das Bekenntnis der Brüder Josephs in den Mund zu legen: „Wahrhaftig, wir sind schuldig!“ Dann fügt die Gnade hinzu: „Und jetzt, Brüder, ich weiß, dass ihr in Unwissenheit gehandelt habt, so wie auch eure Obersten. Gott aber hat so erfüllt, was er durch den Mund aller Propheten zuvor verkündigt hat, das sein Christus leiden sollte. So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn“ (V. 17-20).
Wir sehen hier zunächst, dass die Juden in der Ermordung Christi tatsächlich der Feindschaft ihres Herzens freien Lauf gelassen hatten, wie die Brüder in ihrem Verhalten gegenüber Joseph. Zugleich aber äußert sich die Gnade Gottes gegenüber jedem Einzelnen von ihnen darin, dass alles als von Gott zu ihrem Segen verordnet und zuvor verkündigt dargestellt wird. Das ist eine vollkommene Gnade, die alle menschlichen Begriffe übersteigt, und um sich dieser Gnade erfreuen zu können, ist nichts anderes nötig als ein durch die Wahrheit Gottes wirklich überführtes Gewissen. Diejenigen, die sagen konnten: „Wahrhaftig, wir sind schuldig!“ konnten auch die kostbaren Worte der Gnade verstehen: „Nicht ihr habt mich hierher gesandt, sondern Gott“. Die Seele, die das Verdammungsurteil über sich gefällt hat, ist imstande, das vergebende Erbarmen Gottes zu verstehen und zu würdigen.