Behandelter Abshnitt 1. Mose 32,1-21
Jakobs Rückkehr nach Kanaan
Jakobs Maßnahmen zur Versöhnung
„Und Jakob zog seines Weges, und es begegneten ihm Engel Gottes“ (V. 1). Trotz allem ist die Gnade Gottes mit ihm. Gott liebt mit einer unwandelbaren Liebe. Wen Er liebt, den liebt Er bis ans Ende. Seine Liebe entspricht seinem Wesen, sie ist „gestern und heute und in Ewigkeit“ dieselbe (Heb 13,8). Aber wie klein war die Wirkung, die das „Heerlager Gottes“ (V. 3) auf Jakob ausübte! „Und Jakob sandte Boten vor sich her zu seinem Bruder Esau, in das Land Seir, das Gebiet von Edom“ (V. 4). Er fühlte sich offensichtlich unbehaglich bei dem Gedanken an ein Zusammentreffen mit seinem Bruder, und das nicht ohne Grund. Er hatte sehr böse mit seinem Bruder gehandelt, und sein Gewissen war unruhig. Aber anstatt sich rückhaltlos in die Arme Gottes zu werfen, greift er von neuem zu seinen gewöhnlichen Mitteln, um den Zorn Esaus abzuwenden. Er macht Pläne. Er versucht Esau zu beschwichtigen, anstatt sich auf Gott zu stützen und seinen Beistand zu erbitten. „Und er gebot ihnen und sprach: So sollt ihr zu meinem Herrn, zu Esau, sprechen: So spricht dein Knecht Jakob: Bei Laban habe ich mich aufgehalten und bin geblieben bis jetzt“ (V. 5).
Diese Worte offenbaren eine Seele, die weit davon entfernt ist, Gott als ihren Mittelpunkt zu haben. „Mein Herr“ und „dein Knecht“, das sind nicht die Worte eines Bruders zu seinem Bruder, noch die Worte eines Mannes, der die Würde besitzt, die die Gegenwart Gottes verleiht. Es ist die Sprache Jakobs, der von seinem Gewissen gequält wird. „Und die Boten kehrten zu Jakob zurück und sprachen: Wir sind zu deinem Bruder, zu Esau, gekommen, und er zieht dir auch entgegen und vierhundert Mann mit ihm. Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm wurde angst“ (V. 7.8). Was wird er jetzt tun? Wird er sich in die Arme Gottes werfen? Nein, er beginnt Maßnahmen zu treffen. „Und er teilte das Volk, das bei ihm war, und das Kleinvieh und die Rinder und die Kamele in zwei Züge. Und er sprach: Wenn Esau gegen den einen Zug kommt und ihn schlägt, so wird der übrig gebliebene Zug entrinnen können“ (V. 8.9).
Der erste Gedanke Jakobs war immer ein Plan, und darin finden wir ein genaues Bild von dem Herzen des Menschen. Zwar wendet er sich an den Herrn, nachdem er seinen Plan gemacht hat, und fleht zu ihm, dass Er ihn von der Hand Esaus retten möge; doch kaum ist sein Gebet beendet, kehrt er auch schon wieder zu seinen Anordnungen zurück. Man kann nicht beten und gleichzeitig Pläne machen. Wenn ich einen Plan mache, so stütze ich mich mehr oder weniger darauf. Wenn ich aber bete, so sollte ich mich ausschließlich auf Gott stützen. Diese beiden Dinge sind daher völlig unvereinbar. Wenn ich auf meine eigene Tätigkeit blicke, bin ich nicht darauf vorbereitet, Gott für mich handeln zu sehen, und dann ist das Gebet nicht die Äußerung meines Anliegens, sondern nur eine Verrichtung, die ich tun zu müssen glaube, oder aber ich richte an Gott die Bitte, meine selbst gemachten Pläne zu billigen. Aber Gott will nicht, dass ich ihn bitte, meine Pläne und meine Mittel gutzuheißen und zu segnen, sondern Er will, dass ich mich seinen Händen ganz anvertraue, damit Er für mich alles tut. Wenn der Glaube Gott handeln lässt, wird Gott ohne Zweifel seine eigenen Mittel anwenden, aber das ist etwas ganz anderes als sein Anerkennen und Segnen der Pläne und Anordnungen des Unglaubens und der Ungeduld.
Obwohl Jakob zu Gott gebetet hatte, dass Er ihn von der Hand seines Bruders befreien möge, konnte ihn das doch offenbar nicht beruhigen, denn er versuchte, Esau durch „ein Geschenk“ zu versöhnen (V. 14). Er setzte sein Vertrauen auf das „Geschenk“ und nicht auf Gott allein. „Arglistig ist das Herz, mehr als alles, und verdorben ist es“ (Jer 17,9). Oft ist es schwer, den eigentlichen Grund unseres Vertrauens ausfindig zu machen. Wir bilden uns ein, oder möchten uns selbst gern einreden, dass Gott unsere Stütze ist, während wir in Wirklichkeit unser Vertrauen auf irgendeine von uns selbst erfundene Methode setzen. Hätte sich wohl jemand vorstellen können, dass Jakob kurz nach seinem Gebet „Rette mich doch aus der Hand meines Bruders, aus der Hand Esaus! Denn ich fürchte ihn, dass er kommen und mich schlagen könne, die Mutter samt den Kindern“ (V. 12), sagen konnte: „Ich will ihn versöhnen durch das Geschenk?“ (V. 21). Hatte Jakob sein Gebet ganz vergessen? Machte er aus seinem Geschenk einen Gott? Setzte er mehr Vertrauen auf einige Stück Vieh als auf Gott, dessen Händen er sich soeben noch anvertraut hatte?
Diese Fragen erheben sich, wenn wir betrachten, wie Jakob sich in dieser Situation verhielt, aber wir brauchen nur in unsere eigenen Herzen zu blicken, um die Antwort zu erhalten. In diesem Spiegel erkennen wir wie aus der Geschichte Jakobs, dass wir uns viel leichter auf unsere eigene Weisheit verlassen als auf Gott. Aber wir müssen früher oder später zu der Erkenntnis kommen, dass alle unsere Eigenleistungen ganz und gar Torheit sind, und dass der wahre Weg der Weisheit darin besteht, unser volles Vertrauen auf Gott zu setzen. Leider sind wir oft sehr zufrieden mit uns selbst, wenn wir alle erlaubten Mittel angewendet und den Segen Gottes auf sie herabgefleht haben. Aber wenn das der Fall ist, so gelten unsere Gebete nicht viel mehr als unsere Pläne, weil wir uns mehr auf sie als auf Gott stützen. Wir müssen wirklich mit allem, was aus dem eigenen Ich hervorkommt, am Ende sein, ehe Gott sich offenbaren kann, und wir werden nie unser eigenes Planen ablegen, so lange wir nicht mit uns selbst ein Ende gemacht haben. Wir müssen verstehen lernen, dass „alles Fleisch Gras ist, und alle seine Anmut wie die Blume des Feldes“ (Jes 40,6).