Behandelter Abschnitt 1. Mose 11,1-9
Der Turmbau zu Babel
„Und die ganze Erde hatte eine Sprache und dieselben Worte. Und es geschah, als sie nach Osten zogen, da fanden sie eine Ebene im Land Sinear und wohnten dort . . . Und sie sprachen: Wohlan, bauen wir uns eine Stadt und einen Turm, dessen Spitze an den Himmel reicht, und machen wir uns einen Namen, dass wir nicht zerstreut werden über die ganze Erde!“ (11,1-4). Das menschliche Herz sucht immer einen Namen, ein Teil und ein Zentrum auf der Erde. Es kennt nicht die Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem Gott des Himmels oder nach der Herrlichkeit des Himmels. Wenn es sich selbst überlassen bleibt, sucht es immer seine Befriedigung in dieser niederen Welt, „unterhalb des Himmels“. Um das Herz des Menschen über die gegenwärtige Welt zu erheben, ist die Berufung Gottes nötig und seine Offenbarung und seine Macht.
In der Szene, die sich hier vor uns auftut, suchen wir vergeblich nach einer Anerkennung Gottes, da ist kein Aufschauen zu ihm oder ein Warten auf ihn. Auch kam der Mensch nicht auf den Gedanken, ein Haus zu bauen, in dem Gott wohnen konnte, oder zu diesem Zweck Material zu sammeln. Der Name Gottes wird nicht einmal erwähnt. Sich selbst einen Namen zu machen, das war die Absicht des Menschen in der Ebene von Sinear. Und seitdem haben sich die Ziele des Menschen nicht geändert. Ob wir ihn in der Ebene von Sinear oder an den Ufern des Tibers sehen, stets finden wir ihn als ein selbstsüchtiges Geschöpf, das sich selbst erheben und Gott ausschließen möchte. In allen seinen Absichten, Grundsätzen und Wegen zeigt sich eine traurige Übereinstimmung: Er will Gott ausschließen und sich selbst erheben.
Unter welchem Aspekt wir das babylonische Bündnis auch betrachten, es ist wichtig, darin die frühe Entwicklung der Fähigkeiten und Kräfte des von Gott entfernten Menschen zu sehen. Die Geschichte des Menschen gibt uns viele Beispiele für seinen ausgeprägten Hang nach Bündnissen und Vereinigungen. Fast in allen Fällen sucht der Mensch die Erfüllung seiner Absichten auf diesem Weg zu erreichen. Ob es sich um menschenfreundliche Bestrebungen, um Religion oder um Politik handelt, nichts kann ohne einen organisierten Zusammenschluss von Menschen geschehen. Es ist nützlich, diesen Grundsatz zu verstehen, den Beginn seiner Wirksamkeit in der Ebene von Sinear zu beachten, denn dort sehen wir das früheste Muster einer menschlichen Vereinigung.
Die Schrift teilt uns nicht umsonst so ausführlich den Plan und Zweck dieser Vereinigung sowie ihre Vernichtung mit. Auch heute gibt es überall Vereine und Vereinigungen, die so zahlreich sind wie die Pläne des menschlichen Herzens. Aber es ist aufschlussreich, dass die erste dieser Verbindungen jene Vereinigung in Sinear war, und dass sie zu dem Zweck geschlossen wurde, die menschlichen Interessen zu fördern und den Namen des Menschen groß zumachen, ein Zweck, dem auch die heutige Zeit ihre ganze Aufmerksamkeit widmet. Doch der Glaube entdeckt einen großen Fehler in allen diesen Vereinigungen: Gott wird ausgeschlossen. Und je höher sich der Mensch unter Ausschluss Gottes erhebt, umso tiefer wird er in Verwirrung und Verderben hinabstürzen.
Der Christ sollte nur eine Vereinigung kennen: Die Versammlung des lebendigen Gottes, die zu einem Leib gebildet ist durch den Heiligen Geist, der als Zeuge der Verherrlichung Christi vom Himmel herniederkam, um die Gläubigen zu einem Leib zu taufen und sie zu der Wohnstätte Gottes zu machen. Babylon steht in jeder Beziehung in schroffem Gegensatz hierzu und wird am Ende, wie wir in Offenbarung 18,2 lesen, „eine Behausung von Dämonen“ werden. „Und der Herr sprach: Siehe, sie sind ein Volk und haben alle eine Sprache, und dies haben sie angefangen zu tun; und nun wird ihnen nichts verwehrt werden, was sie zu tun ersinnen. Wohlan, lasst uns herab fahren und ihre Sprache dort verwirren, dass sie einer des anderen Sprache nicht verstehen! Und der Herr zerstreute sie von dort über die ganze Erde; und sie hörten auf, die Stadt zu bauen“ (V. 6-8). Das war das Ende der ersten Vereinigung des Menschen, und so wird es immer sein.
Zerstreuung und Vereinigung
Wie ganz anders ist es, wenn Gott eine Vereinigung bewirkt! In Apostelgeschichte 2 sehen wir den Heiligen Geist in unendlicher Gnade herabkommen, um dem Menschen dort zu begegnen, wohin die Sünde ihn gebracht hatte, Die Boten der Gnade wurden durch den Heiligen Geist befähigt, ihre Nachricht so zu verbreiten, dass jeder Zuhörer sie in seiner Muttersprache hören konnte. Welch ein Beweis von dem Verlangen Gottes, das Herz des Menschen durch den wunderbaren Bericht von der Gnade zu erreichen!
Das Gesetz wurde nicht in dieser Weise von dem „im Feuer brennenden Berg“ herab verkündigt. Als Gott erklärte, was der Mensch sein sollte, redete Er nur in einer Sprache, als Er aber offenbarte, was Er war, bediente Er sich vieler Sprachen. Die Gnade Gottes durchbrach die Schranken, die Hochmut und Torheit des Menschen aufgerichtet hatten, damit jeder die gute Nachricht vom Heil, die „großen Taten Gottes“ (Apg 2,11) hören und verstehen konnte. Und zu welchem Zweck geschah dies? Eben deshalb, um Menschen zu vereinigen, und zwar auf Gottes Grundlage, um Gottes Mittelpunkt und nach Gottes Prinzipien. Es geschah, um ihnen in Wirklichkeit eine Sprache, einen Mittelpunkt, eine Hoffnung und ein Leben zu schenken, um sie so zu versammeln, dass sie nie wieder zerstreut oder verwirrt werden könnten. Es geschah, um ihnen einen Namen und eine Wohnung von ewiger Dauer zu geben, um ihnen einen Turm und eine Stadt zu bauen, deren Spitze nicht nur bis an den Himmel reicht, sondern deren unerschütterliche Grundlage durch die Hand Gottes selbst im Himmel gelegt ist. Und es geschah, um sie um den auferstandenen und verherrlichten Christus zu sammeln und sie alle zu vereinigen zu dem großen Zweck, ihn zu verherrlichen und anzubeten.
In Offenbarung 7,9 sehen wir eine unzählige Menge „aus jeder Nation und aus Stämmen und Völkern und Sprachen“ vor dem Lamm stehen und alle bringen wie aus einem Mund ihm Lob und Anbetung dar. So gibt es eine lehrreiche und interessante Verbindung zwischen den drei Schriftstellen, die uns gerade beschäftigen. In 1. Mose 11 sind die verschiedenen Sprachen ein Ausdruck des Gerichts Gottes, in Apostelgeschichte 2 sind sie ein Beweis der Gnade, und in Offenbarung 7 sehen wir alle diese Sprachen in Herrlichkeit um das Lamm versammelt. Wie viel besser ist es daher, einen Platz in der Vereinigung Gottes zu finden, als in der Vereinigung des Menschen! Die Vereinigung Gottes endet in Herrlichkeit, die des Menschen in Verwirrung. Die eine hat die Verherrlichung Christi zum Zweck, die andere die Verherrlichung des Menschen in der einen oder anderen Form.
Möge der Herr uns schenken, alle diese Dinge in der Kraft des Glaubens zu erfassen! Denn nur so können sie unseren Seelen Gewinn bringen.
Die interessantesten Wahrheiten und die gründlichste Schriftkenntnis lassen das Herz kalt, wenn wir nicht Christus in den Schriften suchen und finden. Und wenn wir ihn gefunden haben und wir uns durch den Glauben von ihm nähren, so empfangen wir die Frische und Kraft, die wir in diesen Tagen der erstarrten Form so sehr brauchen. Was ist der Wert einer trockenen Orthodoxie, wenn nicht ein lebendiger Christus in der ganzen mächtigen Anziehungskraft seiner Person gekannt wird? Ohne Zweifel ist die gesunde Lehre unschätzbar wichtig, und jeder treue Diener Christi wird sich berufen fühlen, „das Bild gesunder Worte festzuhalten“ (2Tim 1,13), aber schließlich ist doch ein lebendiger Christus Seele und Leben, Wesen und Wirklichkeit aller gesunden Lehre. Möchten wir durch die Kraft des Heiligen Geistes mehr Schönheit und Herrlichkeit in Christus erblicken, um so völlig befreit zu werden von dem Geist und den Grundsätzen Babylons!
Den Rest des Kapitels werden wir in Verbindung mit dem nächsten Abschnitt unseres Buches betrachten.