Behandelter Abschnitt 1Mo 4,14
Kain und seine Nachkommen
Die Mordtat Kains war die Folge und naturgemäße Frucht seines falschen Gottesdienstes. Die Grundlage war schlecht, und das darauf aufgerichtete Gebäude war nicht weniger schlecht. Auch blieb er nicht bei der Mordtat, sondern nachdem er das Urteil darüber vernommen hatte, entfernte er sich aus der Gegenwart Gottes, indem er durch Unwissenheit über Gott hinsichtlich einer Vergebung verzweifelte. Er baute eine Stadt, und in seiner Familie finden wir die Pfleger der nützlichen und verschönernden Künste: Ackerbauer, Musiker und Metallarbeiter.
Aus Unwissenheit über den Charakter Gottes hielt er seine Sünde für zu groß, um vergeben werden zu können. Nicht dass er wirklich seine Sünde erkannt hätte, sondern er war unwissend über Gott. Gerade in seinen Gedanken über Gott offenbarte er die schreckliche Frucht des Sündenfalls. Er verlangte nicht nach Vergebung, weil er nicht nach Gott verlangte. Er hatte kein Gefühl von seinem wirklichen Zustand, kein Verlangen nach Gott und keine Einsicht darüber, wie ein Sünder Gott nahen kann. Er war durch und durch verdorben und auf einem ganz verkehrten Weg. Er hatte nur den einen Wunsch, aus der Gegenwart Gottes wegzugehen und sich in der Welt und ihrem Treiben zu verlieren. Er meinte, gut ohne Gott leben zu können und begann daher so gut er konnte, die Welt zu verschönern, um sie zu einem angenehmen Ort und sich selbst zu einem angesehenen Mann zu machen, obwohl die Welt in den Augen Gottes unter dem Fluch lag, und er selbst „unstet und flüchtig“ war (V. 14).
Das war „der Weg Kains“, und auf diesem Weg eilen auch jetzt Millionen dahin, die in ihrem Charakter keineswegs das religiöse Element entbehren, sondern die Gott gern etwas opfern, gern etwas für ihn tun und es für richtig halten, ihm die Ergebnisse ihrer Arbeit darzubringen. Aber Hand in Hand damit geht die Anstrengung, die Welt zu veredeln und das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Das Heilmittel Gottes kann reinigen, aber man hat es verworfen, die Anstrengung des Menschen will verbessern und an dessen Stelle treten. Das ist „der Weg Kains“ (Jud 11).
Wir brauchen nur um uns her zu blicken, um zu sehen, wie dieser Weg heute die Oberhand gewinnt. Obgleich die Welt mit dem Blut eines Größeren als Abel, mit dem Blut Christi selbst, befleckt ist, versucht der Mensch doch, einen angenehmen Aufenthaltsort aus ihr zu machen. Wie in den Tagen Kains die Klänge „der Lautenspieler und Pfeifer“ den Schrei des Blutes Abels erstickten, so hört auch jetzt das Ohr des Menschen lieber andere Laute, als die Sprache Golgathas, und sein Auge blickt lieber auf andere Dinge, als auf den gekreuzigten Christus. Nicht nur wird den Bedürfnissen des Menschen als Geschöpf entsprochen, sondern der menschliche Erfindungsgeist ersinnt auch unaufhörlich Dinge, die ihm begehrenswert erscheinen.
Ja, er begehrt sie nicht nur, sondern bildet sich ein, dass das Leben ohne sie unerträglich sein würde. So kann z. B. eine Reise, die vor einigen Jahrzehnten noch Tage und Wochen dauerte, heute in Stunden gemacht werden, und doch beklagt man sich, wenn sich die Ankunft verzögert. Der Mensch will keine Beschwerden mehr auf sich nehmen. Er benutzt die Errungenschaften der Zivilisation und Technik, als könnte er in seiner eigenen Weise jenes herrliche Zeitalter herbeiführen, wo „das Meer nicht mehr ist“ (Off 21,1).
In Verbindung hiermit gibt es eine Fülle so genannter Religion. Der Mensch will im Allgemeinen nicht ohne Religion sein. Viele sind daher bereit, ein Siebtel ihrer Zeit der Religion, oder, wie sie meinen, ihren ewigen Interessen, zu widmen. Es bleiben ihnen dann ja noch sechs Siebtel für zeitliche Interessen zur Verfügung. Aber ob sie für die Zeit oder für die Ewigkeit arbeiten, sie tun es in Wirklichkeit für sich selbst. Das ist „der Weg Kains“.
Wie ganz anders ist der Weg des Mannes des Glaubens! Abel fühlte den Fluch und erkannte ihn an. Er sah die durch die Sünde entstandene Verunreinigung, und in heiliger Glaubensenergie opferte er das, was der Sünde in Gott entsprechender Weise begegnete. Er suchte und fand einen Zufluchtsort in Gott selbst, und anstatt eine Stadt auf der Erde zu bauen, fand er nur ein Grab in ihr. Die Erde, die nach außen den Geist und die Wirksamkeit Kains und seiner Familie zeigte, war mit dem Blut eines gerechten Mannes befleckt, und heute ist die Erde, auf der wir leben, befleckt mit dem Blut des Sohnes Gottes. Das gleiche Blut, das die Versammlung rechtfertigt, verdammt die Welt. Der Gläubige sieht den dunklen Schatten, den das Kreuz Jesu über all den Glanz dieser vergänglichen Welt wirft. „Die Gestalt dieser Welt vergeht“ (1Kor 7,31). Schon bald wird alles vorüber sein. Dem „Weg Kains“ wird der „Irrtum Balaams“ in vollendeter Form folgen, diesem wiederum der „Widerspruch Korahs“, und dann? Der Abgrund wird seinen Mund öffnen, um die Gottlosen zu verschlingen, und sich wieder schließen, um sie dem „Dunkel der Finsternis in Ewigkeit“ zu übergeben (Jud 11-13).