Behandelter Abschnitt 1Mo 2,10
Der Strom Gottes
Doch Gott sei gepriesen! Die Sünde beendete nicht das Wirken Gottes, sondern bot seiner Tätigkeit nur einen neuen Bereich, und wo irgend man Gott wirken sieht, da spürt man auch das Fließen des „Stromes“. Wenn Er mit starker Hand und ausgestrecktem Arm seine erlösten Scharen durch die Wüste führt, sehen wir auch den Strom fließen, nicht aus Eden, sondern aus dem geschlagenen Felsen - eine passende und schöne Darstellung der Grundlage, auf der die freie Gnade dem Bedürfnis des Sünders entspricht. Hier ist es Erlösung und nicht bloß Schöpfung. „Der Fels aber war der Christus“ (1Kor 10,4), Christus, geschlagen, um dem Bedürfnis seines Volkes zu begegnen. Der geschlagene Felsen stand in Verbindung mit dem Platz des Herrn in der Stiftshütte, und in dieser Verbindung liegt eine große Schönheit. Gott wohnt „unter Teppichen“ und Israel trinkt aus dem geschlagenen Felsen - welch eine Sprache für jedes offene Ohr, und welch eine Unterweisung für jedes „beschnittene Herz“! (2Mo 17,6).
Wenn wir die Geschichte der Wege Gottes weiter verfolgen, so finden wir den Strom, wie er in einem anderen Bett fließt. „An dem letzten, dem großen Tag des Festes aber stand Jesus da und rief und sprach: Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke. Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Joh 7,37.38). Hier sehen wir also den Strom aus einer anderen Quelle hervorkommen und sich durch ein anderes Bett ergießen. Obwohl in einem Sinn die Quelle des Stromes stets dieselbe blieb, nämlich Gott selbst, wurde Gott doch jetzt in einer neuen Beziehung und auf einem neuen Grundsatz erkannt.
Der Herr Jesus nahm daher in der eben angeführten Stelle im Geist seinen Platz außerhalb der bestehenden Ordnung ein und stellte sich als die Quelle des Stromes des lebendigen Wassers, und den Gläubigen als den Kanal dieses Stromes dar. Einst war Eden als Schuldner der ganzen Erde bestimmt, die befruchtenden Ströme von sich ausgehen zu lassen. In der Wüste wurde der Felsen, nachdem er geschlagen war, ein Schuldner der dürstenden Israeliten. So ist jetzt jeder, der an Jesus glaubt, ein Schuldner seiner Umgebung, um auf sie „Ströme lebendigen Wassers“ von sich ausfließen zu lassen.
Der Christ sollte sich stets als Kanal betrachten, durch den sich die vielfältige Gnade Christi zum Besten einer hilfsbedürftigen Welt ergießen will, und je reichlicher er austeilt, umso reichlicher wird er empfangen. „Da ist einer, der ausstreut, und er bekommt noch mehr; und einer, der mehr spart, als recht ist, und es ist nur zum Mangel“ (Spr 11,24). Dies ist für den Gläubigen ein herrliches Vorrecht, zugleich aber auch eine ernste Verantwortung. Er ist berufen, der beständige Zeuge und Darsteller der Gnade dessen zu sein, an den er glaubt.
Je mehr er in das Vorrecht eindringt, umso mehr wird er der Verantwortlichkeit entsprechen. Wenn er gewohnt ist, sich von Christus zu nähren, so kann er gar nicht anders als ihn darstellen. Je mehr der Heilige Geist das Auge des Christen auf Jesus gerichtet hält, umso mehr wird dessen Herz mit der anbetungswürdigen Person des Herrn beschäftigt sein, und umso mehr werden sein Leben und sein Charakter ein eindeutiges Zeugnis von seiner Gnade ablegen. Der Glaube ist die Kraft des Dienstes und zugleich die Kraft des Zeugnisses und die Kraft der Anbetung. Wenn wir nicht leben „durch den Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20), so werden wir weder wirksame Diener noch treue Zeugen noch wahre Anbeter sein.
Wir mögen dann viel wirken, aber es ist kein Dienst für Christus. Wir mögen viel reden, aber es ist kein Zeugnis für Christus. Wir mögen viel Gottseligkeit und Hingabe zur Schau tragen, aber das ist keine geistliche und wahre Anbetung. Schließlich sehen wir den Strom Gottes im letzten Kapitel der Offenbarung5: „Und er zeigte mir einen Strom von Wasser des Lebens, glänzend wie Kristall, der hervorging aus dem Thron Gottes und des Lammes“ (Off 22,1). „Ein Strom - seine Bäche erfreuen die Stadt Gottes, das Heiligtum der Wohnungen des Höchsten“ (Ps 46,5). Das ist die letzte Stelle, in der wir den Strom finden. Sein Wasser kann nie wieder getrübt, und sein Kanal nie wieder zerstört werden. Der „Thron Gottes“ drückt eine ewige Beständigkeit aus, und die Gegenwart des Lammes zeigt uns seine unmittelbare Gründung auf eine vollbrachte Erlösung. Es ist nicht der Thron Gottes in der Schöpfung oder in der Vorsehung, sondern in der Erlösung. Wenn ich das Lamm sehe, so erkenne ich seine Verbindung mit mir als Sünder. „Der Thron Gottes“ als solcher würde mich erschrecken, aber wenn Gott sich in der Person des Lammes offenbart, so zieht Freude in das Herz und Ruhe in das Gewissen ein.
Das Blut des Lammes reinigt das Gewissen von jedem Makel und Flecken der Sünde und stellt es mit Freimütigkeit in die Gegenwart einer Heiligkeit, die keine Sünde dulden kann. Auf dem Kreuz sind alle Forderungen der göttlichen Heiligkeit vollkommen befriedigt worden, so dass ich das Kreuz umso mehr schätzen werde, je mehr ich die Heiligkeit Gottes verstehe. Je höher unsere Würdigung der Heiligkeit ist, umso höher wird auch unsere Würdigung des Werkes am Kreuz sein. „Die Gnade herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,21). Darum fordert der Psalmist die Heiden auf, dem Gedächtnis der Heiligkeit Gottes Dank zu opfern. Dies ist eine kostbare Frucht einer vollkommenen Erlösung. Bevor ein Christ bei der Erinnerung an die Heiligkeit Gottes danken und loben kann, muss er fähig sein, sie durch den Glauben von der Auferstehungsseite des Kreuzes aus zu betrachten.
5 Vergleiche Hesekiel 47,1-12 und Sacharja 14,8.↩︎