Behandelter Abschnitt 1Kor 11
Danach kommen wir mit Kapitel 11 zu einem anderen Gegenstand. Es scheint so, als machten die Schwestern in Korinth große Schwierigkeiten und als hätten sie ihren richtigen Platz unter den Geschwistern völlig vergessen. Natürlich waren die Männer auf jeden Fall genauso zu tadeln. Es ist kaum möglich, dass Frauen sich in der Kirche (Versammlung) in den Vordergrund drängen, es sei denn, dass die christlichen Männer ihre wahre, verantwortliche Stellung und die Ausübung ihrer öffentlichen Aufgaben vernachlässigen. Der Mann hat zu führen. Sicherlich können Frauen in gewissen Fällen viel nützlicher tätig sein als Männer. Aber falls der Mann nicht führt welch eine offensichtliche Abweichung von der Ordnung, welche Gott beiden Geschlechtern zugewiesen hat! Wie vollständig werden die Stellungen beider Geschlechter zueinander, in welche Gott sie von Anfang an hineingestellt hat, verlassen! So war es in Korinth. Unter den Nichtjuden spielten Frauen eine sehr wichtige Rolle und vielleicht nirgendwo sonst auf der Welt wie in der Gegend von Korinth.
Muss gesagt werden, dass dies zu ihrer tiefsten Schande war? Es gab keine Stadt, in der sie sittlich so verdorben waren wie hier, wo sie eine so auffallende und unnatürliche Wichtigkeit erlangt hatten. Wie begegnet der Apostel diesem neuen Charakterzug der Korinther. Er führt Christus ein. Das entscheidet alles. Er bestätigt die ewigen Grundsätze Gottes und fügt das hinzu, was so strahlend in und durch Christus offenbart worden ist. Er stellt heraus, dass Christus das Bild und die Herrlichkeit Gottes ist und dass der Mann auf einem ähnlichen Platz in Bezug auf die Frau und im Unterschied zu ihr steht. Das bedeutet, dass die Frau einen Platz der Zurückhaltung einnehmen soll; und tatsächlich ist sie am wirkungsvollsten, wenn am wenigsten von ihr gesehen wird. Der Mann hingegen muss in der Öffentlichkeit auftreten zweifellos eine rauhere und robustere Aufgabe. Dabei darf er im Allgemeinen nicht die feineren Empfindungen zeigen. Stattdessen wird von ihm ein besonnenes und umfassendes Urteil gefordert. Des Mannes Pflicht erstreckt sich auf Herrschaft und Verwaltung in den äußeren Dingen.
Folglich bemerkt Paulus das erste Abweichen von dem, was recht ist, in dem Ablegen des Zeichens der Unterwürfigkeit vonseiten der Frau. Sie hat ihr Haupt zu bedecken. Sie sollte das tragen, was anzeigte, dass sie jemand anderem untergeordnet war. Der Mann hat anscheinend in der entgegengesetzten Richtung versagt. Dies alles scheint von geringer Bedeutung zu sein. Dennoch erkennen wir hier, wie wunderbar es ist und welche sittliche Kraft sich darin zeigt, wenn Paulus in ein und demselben Brief ewige Dinge und die einfachsten Einzelheiten des persönlichen Schmuckes das Tragen langer oder kurzer Haare, das Bedecken oder Nichtbedecken des Hauptes zu verbinden vermag. Wie wahrhaftig kennzeichnet dies Gott und sein Wort! Der Mensch würde es als unwürdig ablehnen, beide Themen in dieser Weise zu verbinden. Es erscheint ihm zu engstirnig und ungereimt. Doch es ist die Kleinheit des Menschen, welche große Dinge fordert, damit sie ihm wichtig werden. Die unscheinbarsten Dinge Gottes hingegen sind voller Bedeutung, wenn sie zur Verherrlichung Christi beitragen und das tun sie immer. An erster Stelle also war es nicht in Ordnung, dass eine Frau mit unbedecktem Haupt weissagte. Dies gehört zur Stellung des Mannes. Er ist das Bild und die Herrlichkeit Gottes. Der Apostel verbindet seine Ausführungen mit den ersten Grundsätzen. Er geht in gesegneter Weise bis zur Schöpfung von Adam und Eva zurück und stellt vor allem den Zweiten Menschen, den Letzten Adam, vor die Blicke. Dachten die Korinther, es besser machen zu können?
Der letzte Teil des Kapitels beschäftigt sich nicht mehr mit der Stellung, welche die Geschlechter im Verhältnis zueinander einzunehmen haben, sondern mit dem Mahl des Herrn und dem Zusammenkommen der Heiligen. Offensichtlich hat der erste Teil nichts mit der Versammlung zu tun und stellt folglich nicht die Frage, ob eine Frau dort weissagen darf. Tatsächlich wird in den früheren Versen nichts von der Versammlung gesagt und auch nicht auf dieselbe angespielt. Der Gegenstand, der dort in erster Linie erörtert wurde, war, dass Frauen in gleicher Art weissagten wie Männer; und das geschah mit größtmöglicher Weisheit. Das Weissagen der Frau wird nicht vollständig ausgeschlossen. Falls eine Frau die Gabe der Weissagung besitzt und sicherlich kann sie ihr in derselben Weise zuteilwerden wie einem Mann, ist sie ihr nicht vom Herrn gegeben worden, damit sie diese ausübe?
Gewisslich sollte eine solche Frau weissagen. Wer wollte sagen, dass die Gabe der Weissagung, die einer Frau gegeben wurde, in einem Schweißtuch verwahrt werden muss? (Vergl. Lk 19,20). Sie muss allerdings aufpassen, wie sie diese gebraucht. Zunächst rügt Paulus die unziemliche Weise, in der dies geschieht, nämlich indem die Frau vergisst, dass sie eine Frau ist, und der Mann die Verantwortlichkeit missachtet, nicht wie eine Frau handeln zu dürfen. In Korinth haben die Gläubigen anscheinend in engstirniger Weise erörtert, dass eine Frau, wenn sie genauso wie ein Mann eine Gabe empfangen hat, sie in derselben Weise ausüben darf wie ein Mann. Das ist grundsätzlich falsch; denn letzten Endes ist eine Frau kein Mann und ihm auch offiziell nicht gleichgestellt du magst sagen, was du willst. Der Apostel setzt die ganze Grundlage ihrer Beweisführung als falsch beiseite; und wir dürfen nie auf Erwägungen hören, welche die Anordnungen Gottes umwälzen. Sogar die Natur hätte sie Besseres lehren können. Paulus verweilte indessen nicht bei dem Thema. Sein Hinweis auf ihre Vergesslichkeit in Bezug auf natürliche Schicklichkeit war als Tadel vernichtend genug.
Danach lesen wir also in den letzten Versen vom Mahl des Herrn; und dort wird ausdrücklich gesagt, dass die Heiligen sich versammelten. Dies leitet auf natürliche Weise zu den geistlichen Gaben, die in Kapitel 12 besprochen werden. Über das Mahl des Herrn brauche ich euch glücklicherweise nicht viel zu sagen. Durch die große Barmherzigkeit Gottes ist es den meisten von uns wohlbekannt. Wir leben sozusagen in seinem Genuss und wissen, dass es eines der lieblichsten Vorrechte ist, welche Gott uns hienieden gewährt hat. Aber ach!, gerade dieses Fest lieferte dem fleischlichen Zustand der Korinther die Gelegenheit zu einem sehr demütigenden Missbrauch. Zur Vorbereitung diente ein „Liebesmahl“ („Agape“; vergl. Jud 12), wie es allgemein genannt wird; denn in jenen Tagen nahmen die Christen gemeinsam eine Mahlzeit ein.
Tatsächlich kann der gesellschaftliche Charakter des Christentums niemals ohne Verlust vernachlässigt werden. Aber in einem schlechten Zustand ist er offen für viel Missbrauch. Alles Gute kann verdorben werden. Andererseits war nie beabsichtigt, Missbrauch dadurch auszuschließen, dass man dasjenige aufgibt, welches nur in der Kraft des Geistes Gottes in der rechten Weise bewahrt werden kann. Keine Regeln, keine Enthaltsamkeit, keine verbietenden Maßregeln vermögen Gott zu verherrlichen oder seine Kinder geistlich zu machen. Ausschließlich durch die Macht des Heiligen Geistes, der in den Erlösten ein Bewusstsein ihrer Verantwortung gegen den Herrn und von seiner Gnade erweckt, werden dieselben in der rechten Weise bewahrt. So war es damals in Korinth üblich geworden, das Zusammenkommen zum Mahl des Herrn mit einer gewöhnlichen Mahlzeit zu verbinden, indem die Christen gemeinsam aßen und tranken. Sie freuten sich, zusammen zu sein.
Anfangs, als die Liebe in der Gemeinschaft miteinander ihre Befriedigung fand, war es jedenfalls so. Da sie nicht allein junge Christen waren, sondern auch unwachsam und dann nachlässig, wuchs unter ihnen ein trauriger Missbrauch. Ihre alten Gewohnheiten machten wieder ihren Einfluss geltend. Sie waren die heidnischen Feste gewohnt, bei denen niemand daran Anstoß nahm, wenn man sich betrank. Übermäßiges Trinken wurde häufig sogar als verdienstvolles Werk angesehen. Bei einigen ihrer Mysterien3 galt es als Unrecht dem verehrten Gott gegenüber, wenn seine Anhänger sich nicht betranken. So verdorben jenseits aller Vorstellungskraft waren die Heiden in ihren Ansichten über Religion.
Folglich fielen diese korinthischen Geschwister nach und nach wieder in alte Gewohnheiten zurück bis hin zu Trunkenheit bei Gelegenheit der Eucharistie.4 Das geschah selbstverständlich nicht durch das Trinken des Weins am Tisch des Herrn, sondern bei der vorhergehenden Feier. So fiel die Schande ihrer Trunkenheit auf das Heilige Mahl. Daher ordnete der Apostel an, dass hinfort ein solches Fest nicht mehr mit dem Mahl des Herrn verbunden werden sollte. Falls sie essen wollten, dann sollten sie dies zuhause tun. Wenn sie zum Gottesdienst zusammenkamen, dann sollten sie daran denken, dass sie vom Leib des Herrn aßen und von seinem Blut tranken. Er benutzt die stärksten Ausdrücke. Er hielt es nicht für nötig oder angebracht, von dem „Sinnbild“ des Leibes des Herrn zu reden. Ihm ging es darum, dass die Gnade und heilige Ergriffenheit gebührend empfunden wurde. Zweifellos handelt es sich um ein Sinnbild. Aber indem Paulus an Menschen schrieb, die zumindest soviel Erkenntnis besaßen, um hier richtig urteilen zu können, gab er dem Geschehen sein volles Gewicht und benutzte er die stärksten Ausdrücke von dem, was es bedeutete.
Jesus hatte so zu ihm gesprochen. Darum ging es nach den Gedanken Gottes. Wer ohne zu unterscheiden und ohne Selbstgericht am Mahl des Herrn teilnahm, war des Leibes und Blutes des Herrn Jesus schuldig. Das war eine Sünde gegen den Herrn. Der Wunsch des Herrn und der wahre Grundsatz und die Praxis für den Erlösten bestehen darin, zum Mahl zu kommen, indem letzterer seine Wege untersucht, die Quellen seiner Handlungsweise prüft und sich selbst auf die Probe stellt. So soll er essen (und nicht wegbleiben, weil er so viel Demütigendes in sich selbst entdeckt). Darin besteht unsere Sicherheit. Deshalb lautet die Warnung: Wo das Selbstgericht fehlt, wird der Herr richten. Wie sehr neigen nicht allein die Korinther, sondern alle Heiligen dazu, in einen niedrigen geistlichen Zustand abzusacken! Wie ich vermute, sollte es zwischen dem Selbstgericht des einzelnen Christen und der Züchtigung durch den Herrn noch das zurechtbringende Urteil der Versammlung selbst gegeben haben. Aber ach!, die Ausübung ihrer Pflicht fehlte bei den Korinthern völlig. Das lag nicht am Fehlen von Gaben. Sie hatten einfach kein Empfinden für die Bedeutung, die Gott dem Selbstgericht beimisst. Der Herr versagt indessen niemals.
3 Mysterien (gr.): antike geheime religiöse Feiern (Übs.)↩︎
4 Eucharistie (gr.): christliches Abendmahl (Übs.)↩︎