„Er aber beteuerte über die Maßen: Wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen“ (V. 31).
Es war jedoch nicht nur Petrus, der seine Treue so selbstgefällig vorbrachte; denn es wird hinzugefügt: „Ebenso aber sprachen auch alle“. Sie kannten ihre Schwachheit nicht. Sie wussten nicht, was es bedeutet, wenn die Macht des Todes über ihnen hing. Sie hatten einer vollständigen Verwerfung seitens der Welt noch nicht ins Angesicht gesehen. Was immer von der alten Natur in unserem Herzen noch lebt, wird durch solche Umstände an das Licht gestellt. Der Mensch als solcher zuckt vor der Prüfung zurück und meidet sie. Es ist immer so, bis wir durch die Kraft des Heiligen Geistes unsere völlige Trennung von der Welt durch und in dem Tod Christi verwirklichen. Aber die Jünger kannten noch nicht, was es heißt, mit Ihm gestorben zu sein. Folglich konnte nicht einer von ihnen in der Prüfung bestehen. Später war auch dieses ihr Vorrecht. Sie waren jedoch bisher noch keinen solchen Weg gegangen. Jesus musste ihn zuerst gehen. Nach seinem Kreuz sollten Ihm die Schafe durch den Heiligen Geist folgen. Jesus musste notwendigerweise der Erste sein. Zur rechten Zeit sollten auch sie Gott in ihrem Tod verherrlichen, indem sie durch seine Gnade als Folge seines Todes gekräftigt wurden. Ihr Tod geschah dann wirklich um Christi willen.
Unser Herr hatte die ganzen folgenden Ereignisse vor Augen und begann sein Gebet zum Vater. Nun ist die Wirkung eines Gebets angesichts einer harten Prüfung derart, dass sie diese noch empfindlicher fühlbar macht. Die Gegenwart Gottes lässt uns die Bosheit des Menschen keineswegs weniger empfinden. Wir werden dann auch nicht gleichgültiger gegen das Versagen, die Gefahren und das Verderben seines Volkes. Im Fall des Herrn Jesus konnte es sich natürlich nicht um irgendeine Art von Zukurzkommen, kein Leid wegen irgendeiner persönlichen Schuld handeln. Dafür vergegenwärtigte Er sich umso mehr den Zustand, in welchen sich jene befanden, die Gott angehörten.
Fühlte Er nicht den Verrat des Judas, die Verleugnung des Petrus und die Flucht aller anderen? Sogar die Abtrünnigen in Israel waren Ihm nicht gleichgültig, wie viel weniger die Heiligen, die Jünger, die zu einer solchen Zeit vor der Gefahr zurückschreckten! Er vergegenwärtigte sich die schreckliche Krise, die das Volk Gottes erwartete. Er fühlte auch, was es für Ihn, den Messias, bedeutete, gänzlich vom Volk zu dessen Schaden und Untergang verworfen zu werden. Was war es für Ihn, der das Leben war, durch den Tod zu gehen, und zwar einen solchen Tod, wie er nur von Ihm im vollen Ausmaß gekannt werden konnte! Was war es, als der Eine, der Ihn am meisten liebte, sein Angesicht vor Ihm verbarg – als Er der Gegenstand des göttlichen Gerichts wurde und die ganze Empörung und aller Abscheu Gottes gegen das Böse sich gegen Christus zusammenballte! Und außerdem, welche Gefühle des Mitleids erstanden in seinem Herzen über das Volk, welches seine Barmherzigkeit und das Licht Gottes im Tausch gegen dichte Finsternis und Leiden aufgab, durch welche es zu gehen hat als Vergeltung für das Verbrechen, dass sie an Ihm begehen wollten!
All dieses, und noch unendlich viel mehr, stand vor dem Herrn. Er fühlte und erwog es in seinem Herzen als Der, dessen Gnade sich mit dem Zustand des Volkes Gottes nicht allein stellvertretend, sondern auch in seinen Herzensverbindungen und in all ihrer Not eins machte. Bei der Sühne war Er völlig allein. Er bat dort niemand um ein Gebet und schaute auch nicht nach Mitleid von Seiten der Jünger aus. Es kam auch kein Engel, der Ihn stärkte. In jenen Umständen sagte Er: „Mein Gott“; denn Er erlitt dort das, was Gott gegen die Sünde empfand. Er konnte vorher und auch nachher „Vater“ sagen, und tat es auch; denn Er hörte niemals auf, der Sohn zu sein. Außerdem blieb Er der gesegnete und vollkommene und gehorsame Mensch. So sagte Er vor und nach dem Verlassensein am Kreuz „Vater“. Doch nur in jenen Stunden lautete, soweit die Schriften des Neuen Testamentes davon sprechen, seine Anrede an Ihn: „Mein Gott, mein Gott!“ ( Mk 15,34). Jetzt brach zum ersten Mal das ganze Wesen Gottes in Hass gegen das Böse ohne die geringste Erleichterung oder Rücksicht auf Schwäche über Ihn herein. Nichts stumpfte die Gewalt dieses Gerichts ab. Er war fähig, es zu ertragen; und Er allein ertrug das ganze ungebrochene und schonungslose Gericht Gottes, ohne auf Mitempfinden von einem Geschöpf, sei es Mensch oder Engel, zu rechnen.
Es war eine Frage zwischen Gott und Ihm allein, als Er am Kreuz zur Sünde gemacht wurde und die Herrlichkeit Gottes wiederherstellte, welche von der ganzen Welt missachtet worden war. Er allein ertrug alles in seiner Person. Das ist der Unterschied zwischen dem Kreuz und Gethsemane. In (Fortsetzung siehe Mk 14,33)