„Er aber spricht zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Geht hin und seht nach. Und als sie es erfahren hatten, sagen sie: Fünf, und zwei Fische“ (V. 38). Diese Einzelheit ist, denke ich, gut zu beachten, denn sie ist in praktischer Hinsicht bedeutsam. Obwohl der Herr wirklich in seiner Macht wirkt, liebt Er, das zu nutzen, was menschliche Weisheit verachten würde. Mose mochte seine Unfähigkeit geltend machen (2Mo 4); doch der Herr wollte jenen Mann schwerer Zunge benutzen. Wenn Gott außerdem Aaron gebrauchte, dann wollte Er das Urteil des Todes auf alles prägen, auf das der Mensch sich stützen könnte. So nahm unser Herr auch hier die Hilfsmittel in Anspruch, die sich schon in den Händen der Jünger befanden. Ohne Ihn hätten ihre Mittel natürlich nichts genützt. Unser Vertrauen liegt darin, dass Er immer auf die eine oder andere Weise bei uns und bereit ist, entsprechend seiner allmächtigen Kraft und Güte zu wirken und zu segnen.
Als sie Ihm die Nachricht brachten, dass fünf Brote und zwei Fische zur Verfügung standen, taten sie es zweifellos mit der Überzeugung, dass keine Antwort weniger zufriedenstellend sei. Wie weise waren sie in ihrer Überzeugung, dass unmöglich eine solche Volksmenge durch irgendetwas ernährt werden konnte, was sie besaßen! Es ist jedoch genauso die Weise Gottes, das Schwache und Geringe zu nutzen, wie das in seiner Größe auf sich selbst Vertrauende herabzusetzen. Da der Herr im Begriff stand, in Zukunft nach diesem Grundsatz mit den Zwölfen zu handeln, lehrte Er sie schon jetzt diese Wahrheit in der Speisung der Volksmenge um sie herum. Er setzte seine schöpferische Macht auf dasjenige an, was äußerst verächtlich war – jedenfalls in menschlichen Augen. Fünf Brote und zwei Fische erschienen lächerlich für eine solche Volksmenge. Aber was waren sie in den Händen Jesu?
Er tut allerdings zuerst noch etwas anderes. Er befiehlt, dass die Volksmenge sich in Gruppen auf das grüne Gras setzen sollte; und sie lagerten sich in Abteilungen zu fünfzig und hundert Personen. Der Herr ist nicht gleichgültig gegen äußere Ordnung und gesittetes Benehmen bei seinen Anordnungen. Er wollte ein überwältigendes Wunder wirken, deshalb ordnete Er das Volk sorgfältig, um es vor aller Augen davon zu überzeugen, was zur Befriedigung der Not des Menschen in Ihm war. Er, der Verheißene, der seine Armen mit Brot sättigen sollte (Ps 132,15), war wirklich da. Wer waren sie, dass sie niemals an Ihn gedacht hatten – dass sie nicht mit solch einer Liebe für ein noch größeres Bedürfnis als das Brot für den Leib, der vergeht, gerechnet hatten? (Joh 6,27)?
Es war jedoch der Herr, der aus seiner eigenen Güte heraus handelte und nicht im Geringsten entsprechend den Vorstellungen selbst der Jünger. Die Volksmenge war auf dieses Wunder nicht vorbereitet; doch die Jünger waren genauso blind. Sie hatten das, was geschah, genauso wenig erwartet wie die Volksmenge. Die Tatsache, dass wir Gläubige sind, ist keinesfalls ein Beweis, dass wir den praktischen Glauben in Bezug auf eine bestimmte Notlage besitzen. Wir müssen in jenem Augenblick von Gott abhängig sein, um die Wege des Herrn richtig beurteilen zu können; anderenfalls sind wir genauso töricht, als wenn wir überhaupt keinen Glauben hätten. Wir können sicher sein, dass uns letzteres kennzeichnet, wenn wir die Schwierigkeiten nicht an der Person Jesu messen. Bringe Ihn in die Schwierigkeit, und diese ist zu Ende!
Außerdem benutzte der Herr die Jünger als Mittler zwischen sich und der Volksmenge. Wie oft vergalt der Herr ihnen Gutes für Böses. Er legte Ehre auf die armen Jünger, die so wenig seine Gefühle der Liebe und des Mitleids zu schätzen wussten. Er verteilte das Brot nicht direkt, als machte Er seine Knechte bedeutungslos. Damit wollte Er seinen Jüngern zeigen, dass die Liebe Christi gerne durch menschliche Kanäle wirkt. Der gleiche Unglaube, der auf der einen Seite in Jesus nichts besonderes sieht, neigt auf der anderen Seite dazu, den Gebrauch, den Christus von geeigneten Werkzeugen zur Verbreitung seines Segens in dieser Welt macht, zu übersehen und zu leugnen.
Jesus war die Quelle von allem, und die Jünger waren nur Kanäle, indem sie lernten und lehrten, was die Gnade für und durch sie tun konnte. Folglich nahmen die Jünger das Brot aus den Händen Jesu. Auf diese Weise wurde die große Volksmenge mit Nahrung versorgt. So handelte der Herr damals; und so handelt Er heute. Die Wunder seiner Gnade sind sozusagen nicht ausschließlich für seine Hände reserviert. Obwohl Er allein die beständige, unwandelbare Quelle der Gnade ist, wirkt Er gleichzeitig, durch wen Er will. Häufig wirft Er die meiste Ehre auf das am wenigsten einnehmende Glied seines Leibes.
Wir wissen aus der Natur, dass die lebensnotwendigsten und unentbehrlichsten Körperglieder am meisten geschützt und am wenigsten sichtbar sind. So ist es auch bei seinem Leib, der Kirche (Versammlung). „Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“ (1Kor 1,31). Er war in ihrer Mitte „wie der Dienende“ (Lk 22,27). Es geht keineswegs darum, dass der Herr die Würdigkeit des einen oder anderen zeigen will; Er entfaltet nur seine Gnade und Macht nach seinem eigenen unumschränkten Willen. Die Jünger sollten jedoch lernen, dass sich die Gnade des Herrn gegen sie, auch wenn sie getadelt und ihr Unglaube offen gelegt wurden, nicht änderte. Nein, seine Gnade konnte sie unmittelbar danach benutzen, um der hungernden Volksmenge das Brot seiner Vorsorge mitzuteilen. Was für eine Gnade gegen sie!