Im nächsten Ereignis wendet sich ein ähnlicher Geist der Unredlichkeit und des Übelwollens, welcher auch die Jünger Johannes verwirrte, an Jesus wegen seiner Jünger (V. 18); denn die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten üblicherweise. Und jetzt kamen sie zu Jesus und fragten, warum seine Jünger nicht auch fasteten. Ihr Lehrer trat jedoch für sie ein und zeigte, dass eine Weisheit, welche die der Jünger des Johannes übertraf, seine Jünger in ihrer Schwachheit leitete. Was für einen Sinn hatte es, in der Gegenwart des Bräutigams zu fasten? War es angebracht? Johannes der Täufer hatte eigentlich Besseres angekündigt (vgl. Joh 3,29). Doch der Pharisäismus verachtete Jesus und hatte kein Herz für die Freuden seiner Gegenwart. Mochten sie alle lernen, dass Tage kommen sollten, an denen Er weggenommen sein würde; dann sollten sie fasten.
In Wahrheit zeigte diese ganze Szene jenen, die Ohren hatten zu hören, den großen, bevorstehenden Wechsel der Haushaltung und die Wahrheit an, dass die Anwesenheit des Messias nur vorübergehend war. Seine Berufung des Levi und sein Essen und Trinken mit Zöllnern war kein verstecktes Anzeichen dafür, dass das Volk Israel als solches verloren war. Die Freude der Jünger an seinem kurzen Aufenthalt hier, bevor Er wieder weggenommen wurde, deutet klar auf die plötzliche, drohende Katastrophe hin. Scheinbar war es seine Katastrophe, in Wirklichkeit aber ihre.
Die folgenden Verse 21 und 22 bezeugten den neuen Charakter der Wege Gottes in dieser Umwälzung und die Unvereinbarkeit dieser Wege mit dem Judaismus. Weder ihre sichtbare Form, noch ihre innere Kraft konnten mit den alten Dingen vermischt werden. Das Reich Gottes erschien nicht in Worten, sondern in Kraft und brauchte ein neues und passendes Medium, um darin zu wirken. Wo die Energie des Heiligen Geistes wirkt, erweisen gesetzliche Formen nur ihre Schwachheit. Die abgetragene jüdische Kleidung und die alten Schläuche verschwinden. Neuer Wein erfordert neue Schläuche. Das Christentum in seinem Grundsatz und in seiner Praxis ist eine neue und volle Entfaltung des göttlichen Segens. Es ging nicht darum, das Alte zu flicken, sondern das Neue anzunehmen.
Das Geschehen am ersten Sabbattag wird hier berichtet, weil es wirklich zu diesem Zeitpunkt stattfand; denn wir müssen ständig im Bewusstsein behalten, dass Markus dem Faden der Geschichte folgt. Unser Herr kündigte den Bruch mit dem Judentum, der bald vollzogen werden sollte, und die Einführung des neuen Charakters und der neuen Macht des Reiches Gottes an. Das ist immer eine bedeutsame Wahrheit, doch sie war besonders ernst für Israel. Was konnte eine gottesfürchtige Person mehr verwirren als der Gedanke, dass Gott seine Meinung ändert? Welche Schwierigkeit könnte größer sein als die Vorstellung, dass Gott sozusagen das, was Er früher festgelegt hatte, widerrufen und zurücknehmen könnte? Ich denke, es erfordert großes Zartgefühl, wenn wir mit Seelen zu tun haben, die diesbezüglich viel frommen Eifer zeigen, selbst wenn sie unwissend und nicht ohne Vorurteile sind. Es war eine offenkundige Tatsache, dass das, was Gott zu einem bestimmten Zweck in Israel eingesetzt hatte, niemals alle seine Gedanken widerspiegelte. In der Person Christi leuchtete die ewige Wahrheit und brach durch die Wolken des Judentums. Sie wird jetzt durch die Wirksamkeit des Geistes in der Erfahrung und dem Glauben der Kinder Gottes verwirklicht.
Mit einem Wort gesagt, war es niemals die Absicht Gottes, sich und alle seine Gedanken in Verbindung mit dem Judentum anstatt mit der Kirche (Versammlung) herauszustellen. Das Christen- und nicht das Judentum ist der Ausdruck der Gedanken Gottes. Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes (Kol 1,15); und das Christentum ist das gegenwärtige, praktische Ergebnis. Das Christentum ist die Anwendung des Lebens, der Gedanken und der Zuneigungen Christi auf das Herz und den Wandel derer, die zu Gott gebracht worden sind. Es wurde auf sein Werk gegründet und entspricht seinem Platz im Himmel durch den hernieder gesandten Heiligen Geist. Während der ganzen Zeit des jüdischen Systems, sowie auch schon vorher, gab es Seelen, die auf Christus warteten. Und die einzigen Personen, die Gott jemals in dem jüdischen System ehrten, waren jene, die durch den Glauben über diesem System standen. Nur solche wandelten untadelig in den verschiedenen Anordnungen des Gesetzes, die den Messias erwarteten.
Diese durch den Geist Gottes mitgeteilte Erwartung hob sie über irdische Gedanken und die niedrigen Begierden und die Selbstsucht der menschlichen Natur. Sie erhob sie über sich selbst, wenn man so sagen darf, sowie auch über ihre Volksgenossen; denn in Christus ist immer göttliche Kraft. Und obwohl diese erst vollständiger entfaltet wurde, nachdem Christus gekommen war, gab es doch schon Vorzeichen davon; denn auch im natürlichen Leben sieht man vor dem Sonnenaufgang eine Dämmerung und Wolkenstreifen, welche den kommenden Tag ankündigen. So gab es auch in Israel solche, die durch den Glauben Christi über die einfachen vorübergehenden Schatten, welche der Religiosität der Natur begegneten und genügten, hinaussahen. Nur letztere ehrten Gott in den äußeren Anordnungen des Gesetzes.
Derselbe Grundsatz gilt heute wie immer, nur jetzt in einem volleren Maß; denn nichts ist sicherer, als dass die Gerechtigkeit des Gesetzes in uns, den Heiligen Gottes, in den Christen, erfüllt wird (Röm 8,4). Doch wie wird sie erfüllt? Niemals durch das Bemühen, das Gesetz zu halten! Auf diese Weise wurde es nie erfüllt, weil das unmöglich ist. Tatsächlich waren, wie wir wissen, die Eiferer für das Gesetz die größten und erbittertsten Feinde des Herrn Jesus. Fleischlicher Stolz auf das Gesetz verblendete sie zu der Täuschung, dass sogar unser gesegneter Herr das Gesetz nicht genügend ehre. Wir können leicht erkennen, dass Paulus dem gleichen Tadel ausgesetzt war. Und auch Stephanus wurde wegen dieses regen und verhängnisvollen Irrtums zu Tode gesteinigt.
Wir können es deshalb als einen Grundsatz aufstellen, dass die Menschen, welche die Anordnungen oder äußeren Regeln Gottes an die Stelle von Gott oder Christus setzen, niemals das Gesetz halten. Stephanus sagte den Juden, dass sie das Gesetz durch Anordnung von Engeln empfangen und nicht beachtet hatten (Apg 7,53). Das waren die Menschen, die am lautesten ihre Stimme für das Gesetz erhoben gegen jene, die wirklich Gott im Gesetz sowie im Glauben an den Messias ehrten.
Nimm den Gläubigen als Beispiel! Ich sage nicht: „Zu jeder Gelegenheit“. Denn es besteht – traurig zu sagen – die Gefahr, dass unsere eigene Natur wirkt. Und jene Natur glaubt weder an Jesus, noch hält sie das Gesetz. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie das Gesetz bricht und Christus verleugnet. Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott (Röm 8,7); und die menschliche Natur, wenn sie ihren eigenen Weg geht, verunehrt immer Gott. Auch wenn der Gläubige sich seiner verdorbenen Natur ausgeliefert hat, ist er als Beispiel nicht geeignet. Doch nimm ihn in dem Zustand, in dem man allein richtigerweise von einem Gläubigen sprechen kann, nämlich bei der Betätigung seines Glaubens und bei der Entfaltung des neuen Lebens, die die Gnade Gottes ihm gegeben hat. Und was ist der Charakter dieses Lebens? Es hängt Gott an, es freut sich an seinem Wort, es liebt seinen Willen und wird durch alles angezogen, was Ihn offenbart. Alles beweist, dass der Gläubige Gott in seinem Herzen und in seiner Seele liebt, und zwar mehr als sich selbst. Denn er hasst sich selbst und ist bereit, soweit der Glaube in Tätigkeit ist, seine Torheit und sein häufiges und schändliches Versagen anzuerkennen. Dabei sucht er, Gott zu rechtfertigen und Ihm anzuhangen, und freut sich, Ihn bekannt zu machen.
Wie kommt das? Es ist jenes göttliche Prinzip des Lebens, die Energie des Geistes Gottes, die in dem neuen Menschen wirkt. So erfreut es sich an allem, was von Gott ausgeht und Ihn enthüllt. Es ist die Ausübung der neuen Natur, die wir von Gott empfangen haben. Außerdem wandelt der Gläubige in dem Maß, wie er Christus vor seiner Seele hat, im Heiligen Geist nach dem Willen Gottes. Falls Christus nicht vor Ihm steht, ist es so, als hätte er keine neue Natur. Es ist zwar Leben da; doch nur Christus hält es aufrecht, offenbart es und bringt es zur Entfaltung. Er allein weist ihm seine rechte Tätigkeit und seine Reichweite zu.
Das Herz des Gläubigen wendet sich dem Elend, ja, armen, schuldigen Sündern zu. Das Fleisch hasst und verachtet oder ist gleichgültig. Die neue Natur geht jedoch unter der Kraft des Geistes in Mitleid und mit dem Wunsch des Segens für andere hinaus. Auch hier sehen wir wieder Liebe. Und auf diese Weise haben wir die beiden großen sittlichen Grundsätze, die Liebe zu Gott und die Liebe zum Menschen (Lk 10,27). Ausschließlich der Gläubige wandelt in ihnen. Wenn Christus vor seinem Auge steht, hat er jene im Herzen; und der Heilige Geist kräftigt ihn, um entsprechend zu wandeln. So wird die Gerechtigkeit des Gesetzes in denen erfüllt, die nach dem Geist wandeln (Röm 8,4). Der Geist Gottes gibt sich Mühe, zu zeigen, dass das Gesetz in denen erfüllt ist, die nach dem Geist wandeln und nicht einfach für das Gesetz eintreten.
Nimm den Juden, dem das Gesetz gegeben war! Offenbarte er wirkliche Liebe? Ich sage nicht, dass es unter ihnen nicht aufrechte Menschen gab, erfüllt mit natürlicher Güte. Es geht jetzt um die Entfaltung einer tätigen Liebe gegen Gott und den Menschen. Falls Menschen nur das Gesetz vor Augen haben, was ist dann? Der Jude ist das beste Beispiel und der Beweis dafür, dass das Fleisch zu nichts nütze ist. Er kümmert sich nur um seine eigenen Angelegenheiten in dieser Welt, ist überall auf einen ehrenvollen Platz versessen, liebt Geld, usw. Der Natur nach neigen wir alle dazu, dieses Verhaltens schuldig zu sein. Zweifellos gilt das insbesondere für den unbekehrten Israeliten oder den Namenschristen, in denen der Heilige Geist nicht wirkt. Wenn Christus nicht als ein Gegenstand der Hoffnung vor seinem Kommen oder jetzt, da Er gekommen ist, als Gegenstand des Glaubens vor den Herzen stand bzw. steht, gibt es keine geistliche Wirklichkeit. Es kann sie nicht geben, weil das Fleisch durch Falschheit und Hass gekennzeichnet ist. Wenn ein Mensch nicht eine neue Natur, verschieden von seiner eigenen und höher als dieselbe, empfangen hat, gibt es in ihm niemals wahre, d. h. göttliche, Liebe.
Das einzige Mittel zur Erfüllung des Gesetzes besteht darin, Christus vor und über uns zu haben, und zwar als unser Teil durch den Glauben. Darum konnten Henoch und Noah sowie die Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob, die niemals vom Gesetz gehört hatten, Gott gehorchen und Ihm gefallen. Waren sie nicht heilige und fromme Männer? Sicherlich! Was machte sie dazu? Der Glaube an den Samen der Frau, den verheißenen Sohn, den Messias! Als danach das Gesetz gegeben war – was machte Mose und Aaron zu Heiligen des Herrn? Das Gesetz? Niemals! Es war Christus. Sie hatten Ihn vor ihrer Seele stehen. Das heisst nicht, dass das Gesetz Gottes nicht geehrt wurde. Doch jene Männer hatten die Fähigkeit, sich an dem Ausdruck der Gedanken Gottes – was sie auch sein mochten – zu erfreuen. Das war eine Folge ihrer Erwartung der gesegneten Verheißung Gottes von dem kommenden Befreier, dem Verwandtenlöser (3Mo 25,25), und dem Glauben an Ihn. Und jetzt ist Er gekommen. Dasjenige, was uns vom Zorn und Gericht befreit hat, befreit uns auch in dem Verhältnis wie es der Gegenstand vor unserer Seele ist, praktisch vom ich und der Welt, von Verderbnis und Gewalttat jeder Art.
Wenn Christus von einem Gläubigen vergessen wird – was ist dann die Folge? Er zeigt den Stolz, die Eitelkeit, die Torheit und die Bosheit des alten Menschen. Das ist natürlich nicht das, was ihn als Gläubigen kennzeichnet, sondern was als Mensch zu ihm gehörte, bevor er glaubte. Wenn Christus nicht das einzige Banner und der einzige Gegenstand ist, der Herz und inneres Auge erfüllt, erlaubt man dem Ich, hervorzutreten und seine hassenswerten Farben zu zeigen.
Nun zeigt unser Herr gerade zu jener Zeit in seinen betonten Handlungen in Verbindung mit dem Sabbat ein Bild von dem, was wir gerade betrachtet haben. Ich ergreife darum die Gelegenheit, bei diesem Gegenstand etwas zu verweilen, und zwar sowohl in praktischer Hinsicht als auch in Bezug auf die Lehre, indem ich die Belehrung für unsere Seelen, die uns der Herr in diesen Vorfällen gibt, zu erkennen suche. Es stimmt natürlich, dass der erste und hauptsächliche Gesichtspunkt in der Lehre dieser Ereignisse darin liegt, das zu ergänzen, was der Herr gerade gezeigt hatte. Wenn man ein Stück neuen Stoff auf ein altes Kleid näht, dann wird ein Riss nur noch schlimmer. Genauso, wenn man neuen Wein in alte Schläuche füllt, riskiert man sowohl den Wein als auch die Schläuche.
Ein Versuch, die neuen Formen und den Geist des Reiches Gottes mit den alten Wegen des Judaismus zu mischen, würde nicht zu einer Verbesserung des Judaismus oder einer Bewahrung des Christentums führen, sondern zum Verderben von beiden. Und genau das ist in der Geschichte des Christentums geschehen. Das handgreifliche Versagen des äußeren christlichen Bekenntnisses ist der praktische Beweis davon. Satan beabsichtigte, die alten jüdischen Anordnungen mit christlichen Wahrheiten zu vermengen, und das Ergebnis ist eine solch schmerzliche Verwirrung, dass das Licht der Wahrheit und die Gnade Gottes völlig verdunkelt sind. Es ist ein solches Durcheinander, dass einfältige Seelen zu ihrem außerordentlichen Verlust und Schaden verwirrt werden. In diesem Zustand können sie den Unterschied zwischen Gnade und Gesetz und was es bedeutet, unter den Namen Christi gebracht worden zu sein, nicht erkennen. Alle diese Wahrheiten sind vor ihnen verdunkelt. Daraus folgen dann Unsicherheit der Seele und in der Praxis Kraftlosigkeit bei der Verherrlichung Gottes.