Behandelter Abschnitt Mk 1
Einleitung
Es ist auffallend, wie sehr die Überlieferung dem Verständnis über die Schreibweise des Markusevangeliums geschadet hat. Denn die landläufige Ansicht, die uns die alten Schreiber mitgeteilt haben und die mit dem Namen eines Mannes, der kurze Zeit nach den Aposteln gelebt hat, besiegelt ist, legt dar, dass das Markusevangelium die Ereignisse im Leben unseres Herrn nicht in der Reihenfolge ihres Geschehens, sondern außerhalb derselben beschreibt. Dabei hält Markus diese Reihenfolge in ganz besonders strenger Weise ein. Und dieser Irrtum hat von den frühesten Tagen an seinen Einfluss ausgeübt. Darum hat er natürlich auch seitdem in großem Maß das rechte Verständnis dieses Buches beeinträchtigt. Ich bin davon überzeugt, dass der Geist Gottes wollte, dass wir unter den Evangelien eines haben, welches bei der Wiedergabe der Geschichte unseres Herrn an der einfachen Reihenfolge der Ereignisse festhält. Sonst befänden wir uns nämlich in absoluter Ungewissheit über diese Reihenfolge, und zwar nicht nur bezüglich eines bestimmten Evangeliums.
Wir könnten nämlich auch die Abweichungen von der historischen Reihenfolge in den anderen Evangelien nicht richtig abschätzen. Denn es ist offensichtlich, dass wir, wenn nicht in einem der Evangelien die richtige Reihenfolge eingehalten wird, keine Möglichkeit haben, in irgendeinem bestimmten Fall festzustellen, wann die Ereignisse wirklich geschahen, die in den verschiedenen Evangelien unterschiedlich angeordnet sind. Das bedeutet in keinster Weise, dass man nach einer so genannten „Evangelienharmonie“ trachtet, welche in Wirklichkeit nur das Wahrnehmungsvermögen für die besonderen Gegenstände in den Evangelien verdunkelt. Gleichzeitig steht fest, dass der wahre Autor der Evangelien, nämlich Gott, alles genau wusste. Darum kann auch nicht, wenn wir den einfachsten Grund annehmen, die Unwissenheit der verschiedenen Evangelisten hinsichtlich der Reihenfolge der Ereignisse ein vernünftiger Schlüssel zu den Besonderheiten der Evangelien sein.
Der Heilige Geist hat absichtlich verschiedene Ereignisse und Predigten umgestellt. Aber das geschah nicht aus Nachlässigkeit, und noch weniger aus Launenhaftigkeit, sondern aus Gründen, die Gottes würdig sind. Die einleuchtendste Reihenfolge ist, die Ereignisse so zu schildern, wie sie geschahen. Es scheint mir, dass der Geist Gottes in einem dieser Evangelien die richtige Reihenfolge als Regel gegeben hat. Dadurch können wir mit Sicherheit und Bestimmtheit die Abweichungen von der chronologischen Reihenfolge in den übrigen beurteilen. In welchem Evangelium ist diese Reihenfolge zu finden, fragst du? Ich zweifle nicht, dass die Antwort trotz der Überlieferung lautet: Im Markusevangelium. Und das stimmt genau mit dem geistlichen Charakter dieses Evangeliums überein. Denn dieser hat auch ein großes Gewicht bei der Bestätigung unserer Antwort, falls er die Frage nicht sogar eindeutig entscheidet.
Jeder, der das Markusevangelium nicht nur in isolierten Abschnitten betrachtet, obwohl auch das schon an einigen Stellen aufschlussreich ist, sondern mit mehr Befriedigung als ein Ganzes, wird sich von dieser Untersuchung mit der vollsten Überzeugung erheben, dass uns der Heilige Geist hier die Geschichte Christi in seinem Dienst vorstellt. Diese Wahrheit ist inzwischen so allgemein bekannt, dass ich nicht dabei zu verweilen brauche. Ich will mich bemühen aufzuzeigen, wie die ganze Darstellung zusammenpasst und diese wohlbekannte und einfache Wahrheit herausstellt. Alle Besonderheiten bei Markus das, was er uns gibt, und das, was er auslässt, und natürlich auch die Unterschiede zu den anderen Evangelien - sind darauf zurückzuführen. Ich denke, dass diese Wahrheit im weiteren Verlauf unserer Betrachtung für jeden klar und einsichtig wird, auch wenn er sich bisher noch nicht damit beschäftigt hat. Hier möchte ich nur dazu bemerken, wie der Charakter des Evangeliums völlig damit übereinstimmt, dass Markus an der historischen Reihenfolge festhält. Denn er zeigt uns den Dienst des Herrn Jesus Christus, insbesondere seinen Dienst am Wort, und die wunderbaren Zeichen, die den Dienst veranschaulichen und äußerlich bestätigen. Es ist klar, dass die Reihenfolge, in der die Ereignisse geschahen, genau die Anordnung ist, die insbesondere ein wahres und angemessenes Bild von seinem Dienst geben kann. Das trifft auf das Matthäus- und das Lukasevangelium nicht zu.
Im ersteren zeigt uns der Heilige Geist die Verwerfung Jesu; und diese wird von Anfang an eindeutig bewiesen. Um uns die Verwerfung richtig deutlich zu machen, gruppiert der Heilige Geist bestimmte Ereignisse zusammen, und zwar, wie wir bemerkt haben, häufig so, dass die Zeit, zu der sie geschahen, völlig missachtet wird. Es sollte ein klares, lebendiges Bild von der schamlosen Verwerfung des Messias durch sein eigenes Volk aufgezeichnet werden. Darauf aufbauend, war es nötig darzulegen, was Gott als Folge der Verwerfung tun würde, d. h. den anschließenden unermesslichen Wechsel in seiner Haushaltung. Die Verwerfung einer göttlichen Person, die gleichzeitig „der Große König“ und der verheißene und erwartete Messias Israels war, musste notwendigerweise das schwerwiegendste Ereignis in dieser Welt sein und bleiben. Aus diesem Grund wäre die chronologische Anordnung der Ereignisse nicht ausreichend, um dem Gegenstand des Heiligen Geistes im Matthäusevangelium das nötige Gewicht zu verleihen. Deshalb handelt der Heilige Geist hier so, wie selbst ein Mensch mit seinem geringen Verstand es tun würde, wenn er einen ähnlichen Gegenstand darzustellen hätte. Die verschiedenen Orte, Personen und Zeitpunkte in der Geschichte, die großen hervorstechenden Tatsachen werden zusammengestellt, um die völlige Verwerfung des Messias und den herrlichen Wechsel, den Gott nun als Folge dieser Verwerfung zugunsten der Nationen einführen konnte, offenbar zu machen. Das ist der Gegenstand des Matthäusevangeliums und erklärt die Abweichungen von der chronologischen Reihenfolge.
Im Lukasevangelium gibt es einen anderen Grund, den wir ausreichend bestätigt finden, wenn wir uns demselben im Einzelnen zuwenden. Denn dort stellt uns der Heilige Geist Christus als denjenigen vor, der alle sittlichen Quellen des Menschenherzens und zugleich die vollkommene Gnade Gottes in seiner Handlungsweise mit dem Menschen, wie er ist, an das Licht bringt. Wir finden auch die göttliche Weisheit in Christus, die ihren Weg durch diese Welt geht. Dazu kommt die liebliche Gnade, die den Menschen anzieht, wenn er, völlig verwirrt und zusammengebrochen, sich auf Gott wirft. Folglich finden wir, ebenso wie bei Matthäus, im ganzen Lukasevangelium, dass in gewisser Hinsicht die bloße zeitliche Reihenfolge der Ereignisse missachtet wird. Wenn wir zwei Ereignisse nehmen, die sich gegenseitig erklären, aber zu ganz verschiedenen Zeiten stattfanden, dann können in einem solchen Fall diese beiden Ereignisse direkt nebeneinander gestellt sein. Wenn der Heilige Geist zum Beispiel in der Geschichte unseres Herrn den Wert des Wortes Gottes und des Gebetes zeigen will, dann kann Er zwei bemerkenswerte Beispiele eindeutig zusammenbringen: In dem einen offenbart der Herr die Gedanken Gottes über das Gebet, im anderen beurteilt Er den Wert des Wortes Gottes (vgl. Lk 10,38-42 und 11,1-13). Es ist dann völlig unwichtig, ob die beiden Ereignisse zur gleichen Zeit stattfanden.
Egal, wann sie geschahen sie werden zusammen gesehen. Tatsächlich kann durch die Herausnahme der Ereignisse aus ihrem zeitlichen Umfeld am eindeutigsten die Wahrheit beleuchtet werden, die der Heilige Geist uns mitteilen möchte.
Diese allgemeinen Bemerkungen mache ich hier, weil ich denke, dass sie gut in die Einleitung zum Markusevangelium passen.
Gott hat jedoch dafür Sorge getragen, dass Er auf diese Weise noch einer anderen Frage begegnen kann. Der Mensch benutzt gerne solche Abweichungen von der historischen Reihenfolge in einigen Evangelien und das Beibehalten derselben in anderen, um die Schreiber und ihre Schriften in Verruf zu bringen. Ja, er ist schnell dabei, Widersprüche vorzuwerfen. Diese Anklage ist unsinnig. Gott hat eine sehr weise Methode benutzt, um den leichtgläubigen Unglauben des Menschen zu widerlegen. Es gibt vier Evangelisten; von diesen vier halten zwei an der historischen Reihenfolge fest, während zwei sie, wo es nötig ist, verlassen. Außerdem war jeweils einer in diesen beiden Evangelistenpaaren ein Apostel und der andere nicht. Von den beiden Evangelisten, Markus und Johannes, die im Allgemeinen die historische Reihenfolge einhalten, war derjenige, der die Folge der Ereignisse am genauesten wiedergibt, nicht der Apostel. Nichtsdestoweniger hält Johannes, der ein Apostel war, bei seinen lückenhaften Ereignisfolgen, die er hier und da aus dem Leben Christi gibt, an der historischen Anordnung fest. Allerdings will das Johannesevangelium keinen Überblick über den ganzen Lebensweg Christi liefern. Dagegen beschreibt Markus uns den ganzen Lauf seines Dienstes mit mehr Einzelheiten als jeder andere.
Folglich kann das Johannesevangelium praktisch als eine Art Ergänzung nicht nur zum Markusevangelium, sondern zu allen Evangelien dienen. So erhalten wir durch ihn von Zeit zu Zeit ein Bündel reichhaltigster Ereignisse, die aber die historische Reihenfolge einhalten. Dabei spreche ich nicht nur von seinem wunderbaren Vorwort, sondern auch von seiner Einleitung, die den Berichten der anderen Evangelien vorausgeht und einen gewissen Zeitraum nach der Taufe des Herrn vor seinem öffentlichen Dienst ausfüllt. Und später finden wir eine Anzahl Predigten, die der Herr insbesondere für seine Jünger hielt, nachdem sein öffentliches Auftreten beendet war. Diese sind, wie mir scheint, in der genauen Reihenfolge ihres Vortragens ohne eine zeitliche Abweichung überliefert worden. Nur ein- oder zweimal finden wir im Johannesevangelium eine Einschaltung, die, wenn sie nicht als Einschaltung erkannt wird, den Eindruck einer Abweichung von der Zeitenfolge macht. Aber eine Einschaltung gehört natürlich nicht zur gewöhnlichen Struktur eines richtigen Satzes oder einer Folge von Ereignissen.
Ich glaube, dass diese Erklärung zu einem allgemeinen Verständnis der jeweiligen Stellung eines jeden Evangeliums beitragen wird. Wir haben Matthäus und Lukas, einer ist ein Apostel und der andere nicht, die gewöhnlich von der geschichtlichen Reihenfolge ziemlich weit abweichen. Wir haben Markus und Johannes, einer ist ein Apostel und der andere nicht, die beide genauso grundsätzlich an der geschichtlichen Reihenfolge festhalten. Gott hat auf diese Weise alle berechtigten Vernunftschlüsse vonseiten der Menschen abgewehrt, welche sagen, dass es sich um eine Frage der Kenntnis oder Unkenntnis der Ereignisse, so wie sie geschahen, handle. Einige waren Augenzeugen; die anderen erfuhren von den Geschehnissen usw. auf andere Weise. Von denen, welche die geschichtliche Reihenfolge einhielten, war einer ein Augenzeuge, der andere nicht. Von denen, die eine andere Anordnung wählten, gilt genau das Gleiche. So hat Gott alle Versuche seiner Feinde, das geringste Misstrauen auf die Werkzeuge, die Er benutzte, zu werfen, zunichte gemacht.
Nichts liegt ferner, als die Struktur der Evangelien in irgendeiner Weise der Unwissenheit des einen Evangelisten und der hinreichenden Kenntnis der Tatsachen eines anderen zuzurechnen. Es erscheint deshalb umso auffälliger, dass derjenige, der uns die vollständigste, genaueste, lebendigste und anschaulichste Skizze vom Dienst des Herrn hienieden liefert, kein Augenzeuge war. Diese Genauigkeit liegt in der kleinsten Einzelheit, was, wie jeder weiß, immer der große Prüfstein für die Wahrheit ist. Menschen, die gewöhnlich nicht die Wahrheit sagen, können nichtsdestoweniger manchmal in großen Dingen sehr wahrhaftig sein. Aber in den unwichtigen Worten und Wegen verrät das Herz seine Treulosigkeit und das Auge seinen Mangel an Beobachtungsgabe. Und gerade darin triumphiert Markus so vollständig - oder lasst mich besser sagen, der Geist Gottes, indem Er Markus benutzt.
Man kann auch nicht sagen, dass Markus früher ein würdiger Diener war. Weit davon entfernt! Wer weiß nicht, dass er, als er seinen Dienst begann, nicht immer eifrig im Dienst des Herrn stand? In der Apostelgeschichte erfahren wir, dass er den großen Apostel verließ, als er ihn und seinen Vetter Barnabas begleitete (Apg 13,13); (denn das war wohl eher das Verwandtschaftsverhältnis und nicht das eines Neffen zum Onkel; vgl. Kol 4,10; Fußnote). Er verließ sie und kehrte zu seiner Mutter und nach Jerusalem zurück. Die natürlichen Beziehungen und der große Sitz der religiösen Überlieferung fesselten ihn noch und verderbten ihn - natürlich nur eine Zeit lang. Aber jeder Diener Gottes, der in gleicher Weise betört wird, nimmt Schaden. Nichtsdestoweniger überwindet die Gnade Gottes alle Schwierigkeiten. So geschah es auch im persönlichen Dienst des Markus. Wir sehen das an dem herrlichen Werk, welches Markus später übertragen wurde, und zwar sowohl in anderem Dienst (Kol 4,10; 2Tim 4,11) als auch in der außerordentlichen Ehre, dass er einen der inspirierten Berichte von seinem Meister schreiben durfte. Markus besaß nicht die volle Bekanntschaft mit den Ereignissen, deren einige der anderen Schreiber sich erfreuen konnten.
Er ist jedoch derjenige, durch den der Heilige Geist sich herabließ, die genauesten und zur gleichen Zeit eindrucksvollsten Züge, wenn ich so sagen darf, von dem zu übermitteln, was uns irgendwo von dem wirklichen, lebendigen Dienst unseres Herrn Jesus gewährt wird. Das war also der Verlauf der persönlichen Geschichte des Markus, welche ihn für das Werk, das er später tun sollte, vorbereitete. Zuerst lag zweifellos ein schlechter Anfang vor; später wird er allerdings von Paulus trotz seiner früheren Enttäuschung und seines Tadels sehr herzlich anerkannt. Denn damals lehnte Paulus seine Begleitung entschieden ab, obwohl er dadurch Barnabas verlor (Apg 15,37-39), dem der Apostel wegen verschiedener Anlässe persönlich besonders zugetan war. Barnabas war es, der Saulus von Tarsus zuerst nachgegangen war (Apg 9,27). Denn er war gewiss ein guter Mann und voll Heiligen Geistes (Apg 11,24). Deshalb erkannte er umso mehr die große Gnade Gottes gegen Saulus von Tarsus an, als der Neubekehrte mit Misstrauen betrachtet wurde und für eine Zeit allein gelassen wurde. So hatte Saulus in seiner eigenen Lebensgeschichte buchstäblich erfahren, wie wenig die Gnade Gottes in einer sündigen Welt Vertrauen auf andere fordert. Nach all diesem war es also jener Markus, der dem Tadel des Paulus verfallen war und die Ursache der Trennung zwischen Barnabas und Paulus wurde, welcher später den verlorenen Platz wieder erhielt. Und der Apostel Paulus musste bei weitem mehr Mühe aufwenden, um ihn wieder in das Vertrauen der Heiligen einzuführen, als früher bei der Ablehnung seiner Begleitung im Dienst des Herrn.
Wer war demnach so geeignet, uns den Herrn Jesus als den wahren Diener vorzustellen? Suche dir einen aus! Durchsuche das ganze Neue Testament! Finde jemand, dessen Lebenslauf ihn so passend machte, sich des vollkommenen Dieners Gottes zu erfreuen und das zubereitete Gefäß für den Heiligen Geist zu sein, uns diesen vollkommenen Diener zu schildern! Es war der Mann, der zuerst ein mangelhafter Diener war. Es war der Mann, den die Gnade wiederhergestellt und zu einem treuen Diener gemacht hatte. Er hatte erfahren, wie verführerisch das Fleisch und wie gefährlich die Verbindung mit der menschlichen Überlieferung und der Heimat ist. Aber auf diese Weise wurde er, der zuerst unnütz zum Dienst war, später so nützlich, dass Paulus Sorge trug, es öffentlich und für immer im unvergänglichen Wort Gottes bekannt zu machen. Das war also das Werkzeug, welches Gott durch den Heiligen Geist benutzte, um uns die großen Linien des Dienstes der Herrn Jesus Christus mitzuteilen. Sicherlich wurde auch der Apostel Matthäus in der Zeit, als er noch der Zöllner Levi war, durch die Vorsehung auf seine Aufgabe vorbereitet. Doch die Gnade, die sich herablässt, alle Umstände zu berücksichtigen, erlaubt niemals, dass dieselben sie beherrschen.
Im Gegenteil, sie beherrscht immer die Umstände, auch wenn sie in ihnen wirkt. Markus war genauso passend für die Aufgabe, die Gott ihm aufgetragen hatte, wie der erste Evangelist, der von der Zolleinnahme weg berufen wurde. Die Wahl eines in Israel so verachteten Mannes wie Levi sollte den verhängnisvollen Lauf jener Nation zu einer Zeit zeigen, als der Herr sich der großen Epoche des Wechsels der Haushaltung zuwandte, um Heiden und die Verachteten in Israel hereinzurufen. Aber wenn Matthäus offensichtlich für sein Werk so geeignet war, dann erschiene es seltsam, wenn es bei Markus nicht auch so wäre. Und das finden wir in seinem Evangelium. Es werden keine großartigen Ereignisse zur Schau gestellt. Sogar der Herr Jesus Christus wird in diesem Evangelium ohne Pomp eingeführt. Ja, nicht einmal der Stil entspricht dem, welchen wir anderswo rechtmäßig finden. Der Messias Israels konnte nicht ohne angemessenes Zeugnis und eindeutige Zeichen, die seiner Ankunft vorausgingen, zu seinem auserwählten Volk und in das Land Israel kommen. Und der Gott, der Verheißungen gegeben und das Königtum eingesetzt hatte, wollte seine Ankunft ausdrücklich kundtun. Denn die Juden verlangten Zeichen; und Gott gab ihnen Zeichen in Überfluss, bevor das allergrößte Zeichen geschah.
Darum fanden wir im Matthäusevangelium ausführlich die Beglaubigungen des Messias durch Engel und unter den Menschen, als Er damals als König der Juden im Land Emmanuels geboren wurde. Im Markusevangelium fehlt dieses alles mit gleicher Schönheit. Und plötzlich, ohne andere Vorbereitung als die Predigt und Taufe des Johannes, der „Stimme eines Rufenden in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn“, wird der Herr Jesus auf einmal im Land nicht geboren, sondern - gefunden. Er ist hier nicht ein Gegenstand der Huldigung, sondern Er predigt, indem Er sozusagen die Arbeit aufnimmt, die Johannes nicht viel später abgibt, weil er ins Gefängnis gehen muss. Die Beiseitesetzung des Täufers (Vers 14) wurde das Zeichen für den Herrn, in den öffentlichen Dienst einzutreten. Dieser Dienst wird von nun an in unserem Evangelium verfolgt. Zunächst handelt es sich um seinen Dienst in Galiläa, welcher bis zum Ende des 10. Kapitels dauert. Ich beabsichtige nicht, den ganzen galiläischen Dienst heute Abend zu betrachten, sondern ich will den Stoff so einteilen, wie es meine Zeit erfordert. Darum möchte ich mich jetzt nicht auf die natürliche Einteilung des Evangeliums beschränken, sondern folge ihm kapitelweise, wie es die Umstände verlangen. Wir wollen es in zwei Teilen betrachten.
Kapitel 1
Im ersten Abschnitt oder der Einleitung (Verse 1-13) finden wir also kein Geschlechtsregister, sondern nur kurz die Ankündigung Johannes‘ des Täufers. Wir sehen dann, wie unser Herr in seinen öffentlichen Dienst eingeführt wurde, und zwar zuerst in seine Arbeit in Galiläa. Als Er am See wandelte, erblickte Er Simon und Andreas, seinen Bruder, wie sie ein Netz in den See warfen. Diese berief Er in seine Nachfolge. Es war nicht das erste Mal, dass der Herr Jesus diesen beiden Aposteln begegnete. Es mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen, dass ein Wort, selbst wenn es sich um das Wort des Herrn handelt, die beiden Männer von ihrem Vater und aus ihrem Beruf wegrufen konnte. Aber niemand kann das als beispiellos bezeichnen, wie die Berufung Levis, auf die wir schon hingewiesen haben, klarmacht. Nichtsdestoweniger waren Andreas und Simon sowie die Söhne des Zebedäus, die ungefähr zur gleichen Zeit berufen wurden, schon vorher mit dem Heiland bekannt geworden.
Zwei Jünger des Täufers, einer von ihnen Andreas, machten vor dessen Bruder Simon die Bekanntschaft des Herrn Jesus, wie wir aus Johannes 1 erfahren. Aber hier handelt es sich nicht um die gleiche Zeit oder die gleiche Begebenheit, die in jenem Evangelium beschrieben wird. Ich zögere nicht, zu sagen, dass Andreas und Simon vor Johannes und Jakobus in das Werk berufen wurden. Aber hinsichtlich der persönlichen Bekanntschaft mit dem Heiland, die wir im Johannesevangelium finden, ist es für mich klar, dass ein ungenannter Jünger ich denke, Johannes - dem Simon voraus war. Beide Berichte sind wahr. Wenn man die Schrift richtig versteht, gibt es keine Spur von Widerspruch. Jeder Bericht steht genau an seinem richtigen Platz. Hier in unserem Evangelium haben wir den Dienst Christi. Das ist nicht das Thema des Johannesevangeliums. Johannes schildert einen viel tieferen und persönlicheren Gegenstand, nämlich die Offenbarung des Vaters in dem Sohn an die Menschen auf der Erde. Es ist das ewige Leben, das - natürlich in dem Sohn Gottes - von den Seelen gefunden wird.
Deshalb zeichnet der Heilige Geist im Johannesevangelium die erste Begegnung mit dem Herrn für uns auf. Warum wird das alles im Markusevangelium weggelassen? Offensichtlich deshalb, weil das nicht sein Thema ist. Er soll nicht schildern, wie eine Seele zum ersten Mal mit Jesus und der Entfaltung der wunderbaren Wahrheit des ewigen Lebens in Ihm bekannt gemacht wird. Ein anderer Gegenstand liegt hier vor. Wir finden selbstverständlich in allen Evangelien die Gnade des Heilandes. Aber das große Thema im Markusevangelium ist sein Dienst. Deshalb wird hier nicht die persönliche, sondern vielmehr die amtliche Berufung vorgestellt. Im Johannesevangelium dagegen, wo der Sohn durch den Glauben unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes den Menschen bekannt gemacht wird, finden wir nicht die amtliche, sondern die vorausgegangene persönliche Berufung der Gnade zur Erkenntnis des Sohnes und des ewigen Lebens in Ihm.
Diese Worte mögen dazu dienen, uns zu zeigen, welche wichtigen Lehren da verborgen liegen, wo ein nachlässiges Auge einen vergleichsweise unbedeutenden Unterschied in diesen Evangelien sieht. Nun, wir wissen, dass in Gottes Wort nichts ohne Bedeutung ist. Doch das, was auf den ersten Blick bedeutungslos erscheint, ist reich an Wahrheit und steht außerdem in unmittelbarer Verbindung mit dem Ziel Gottes in jedem Buch der Bibel, in dem diese Besonderheiten gefunden werden.
Aufgrund des Rufes des Herrn verließen die vier Jünger jetzt alles. Es handelt sich hier nicht einfach um eine Frage des ewigen Lebens. Dieser Grundsatz gilt natürlich immer. Aber wir finden normalerweise nicht, dass man dazu alles in dieser Weise verlassen muss. Das ewige Leben wird den Seelen in dem Christus, der sie anzieht, mitgeteilt; und sie werden befähigt, Gott da zu verherrlichen, wo sie sich befinden. Hier wurde alles aufgegeben, um Christus nachzufolgen.
Der nächste Schauplatz war die Synagoge von Kapernaum. Dort zeigte unser Herr den Zweck Seines Dienstes hienieden in zwei Einzelheiten. Zuerst finden wir das Lehren: „Er lehrte sie“, wird gesagt, „wie einer, der Gewalt hat, und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Er lehrte keine Überlieferungen, keine Vernunftschlüsse, keine menschlichen Ideen oder die überredenden Worte menschlicher Weisheit. Es war die Kraft Gottes. Seine Worte waren einfach, aber voll Bestimmtheit. Das gab natürlich der Ausdrucksweise dessen Autorität, der in einer Welt der Unsicherheit und Verführung die Gedanken Gottes mit absoluter Sicherheit aussprach. Es verunehrt Gott und sein Wort, wenn man nur zögernd die Wahrheit Gottes verkündet, obwohl man sie persönlich recht gut kennt. Es ist Unglaube, zu sagen „Ich denke“, wenn ich mir ganz sicher bin. Ja, die offenbarte Wahrheit ist nicht nur das, was ich weiß, sondern das, was Gott mir kundgemacht hat. Es verdunkelt und schwächt die Wahrheit, es ist ein Unrecht an den Seelen, und es setzt Gott herab, wenn wir da nicht mit Autorität sprechen, wo wir nicht den geringsten Zweifel bezüglich Seines Wortes haben. Aber es ist natürlich klar, dass wir von Gott belehrt sein müssen, bevor wir die Freiheit haben, mit solcher Überzeugung zu sprechen.
Zudem müssen wir beachten, dass dieses die erste Eigenschaft ist, die von der Lehrweise unseres Herrn erwähnt wird. Ich brauche nicht darauf hinzuweisen, dass das auch uns etwas zu sagen hat. Wo wir nicht mit Autorität sprechen können, sollten wir besser gar nicht reden. Das ist eine ganz einfache und überaus kurze Regel. Aber es bedeutet auch, dass ihre Beherzigung zu einem viel tieferen Erforschen des eigenen Herzens führt. Andererseits bin ich nicht wenig davon überzeugt, dass dieses von unermesslichem Gewinn für uns selbst und unsere Zuhörer sein würde.
Als zweites zeigte unser Herr in seinem Dienst neben der Autorität in der Lehre seine Macht in seinen Handlungen. Und unser Herr beschäftigte sich mit der Wurzel des Unheils im Menschen: Der Macht Satans, an die man heute so wenig glaubt - der Macht Satans über den Geist und den Körper des Menschen, bzw. über beide gleichzeitig. In der Synagoge, an dem allgemeinen Versammlungsort, wo Jesus sich jetzt aufhielt, befand sich ein Mensch mit einem unreinen Geist. Der Besessene schrie auf; denn unmöglich konnte die Macht Gottes in der Person Jesu dort anwesend sein, ohne den zu entlarven, der unter der Macht Satans stand. Der Zertreter der Schlange war da, der Befreier der gefesselten Söhne Adams. Die Maske wurde heruntergerissen. Der Mensch, der unreine Geist konnte in der Gegenwart Jesu nicht ruhig bleiben. „Er schrie auf und sprach: Lass ab! was haben wir mit dir zu schaffen, Jesu, Nazarener?“
In einzigartiger Weise wurde die Wirksamkeit des unreinen Geistes mit der des Menschen vermischt. „Was haben wir mit dir zu schaffen? . . . Bist du gekommen, uns zu verderben? Ich kenne dich, wer du bist: der Heilige Gottes.“ Jesus bedrohte ihn. Der unreine Geist zerrte ihn; denn es war richtig, dass sich die Wirksamkeit der bösen Macht offenbarte, obwohl sie vor Ihm, der den Versucher besiegt hatte, eingeschränkt wurde. Es war eine nützliche Lehre für die Menschen, damit sie erkannten, wie Satan wirklich wirkt. Wir haben also auf der einen Seite die unheilvolle Wirksamkeit der Macht Satans und auf der anderen die gesegnete, wohltätige Macht des Herrn Jesus Christus, der dem Geist befahl, aus dem Menschen auszufahren. Das erstaunte alle, die es sahen und hörten, dermaßen, dass sie sich untereinander befragten: „Was ist dies? was ist dies für eine neue Lehre? denn mit Gewalt gebietet er selbst den unreinen Geistern und sie gehorchen ihm.“ Wir sehen also hier die Autorität der Wahrheit und andererseits die Macht, welche in äußeren Zeichen, die die Wahrheit begleiteten, wirkte.
Die nächste Szene zeigt, dass Autorität und Macht sich nicht nur in solch auffälligen Handlungen offenbarten. Es gab unter den Menschen auch Not und Krankheit unabhängig von der direkten Besessenheit durch den Feind. Aber von der Person Jesu ging Kraft aus, wo immer die Not sich an Ihn wandte. Die Schwiegermutter des Petrus wird zuerst vorgestellt, nachdem Er die Synagoge verlassen hatte. Und die wunderbare Gnade und die Macht, die sich bei der Heilung von Petrus‘ Schwiegermutter vermengten, zogen Scharen von Kranken mit jedem Leiden an. Zuletzt war, wie wir erfahren, die ganze Stadt an der Tür versammelt. „Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten leidend waren; und er trieb viele Dämonen aus und erlaubte den Dämonen nicht zu reden, weil sie ihn kannten.“
Auf diese Weise hat der Dienst des Herrn Jesus Christus also sein volles Ausmaß erreicht - jedenfalls so, wie Markus ihn beschreibt. Es zeigte sich in Ihm eindeutig die Wahrheit Gottes verbunden mit Autorität. Gott hatte seine Macht über den Teufel und die Krankheiten einem Menschen übertragen. Das war die Art des Dienstes Jesu. Man braucht kaum zu sagen, dass in dem Dienst natürlich eine Fülle verborgen lag, welche der Person dessen entsprach, welcher der Anführer des Dienstes sowie das große Muster des Dienstes auf der Erde darstellte. Auch jetzt ist Er von seinem Platz der Herrlichkeit im Himmel aus die Quelle des Dienstes. Aber noch etwas muss hier beachtet werden, was das einführende Bild von dem Dienst unseres Herrn in seiner praktischen Ausübung vervollständigt. Unser Herr „erlaubte den Dämonen nicht zu reden, weil sie ihn kannten.“ Er wies ein Zeugnis, das nicht von Gott kam, ab. Es mochte der Wahrheit entsprechen - Er wollte jedoch kein Zeugnis des Feindes annehmen.
Zur aktiven Kraft gehört auch die Abhängigkeit von Gott. Deshalb wird uns gesagt: „Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging hin an einen öden Ort und betete daselbst.“ Wenn einerseits das Zeugnis des Feindes zurückgewiesen wurde, so stützte Er sich andererseits völlig auf die Macht Gottes. Weder seine persönliche Herrlichkeit, noch das Anrecht auf die Macht, welche zu Ihm gehörte, ließ Ihn im Geringsten in der gänzlichen Unterordnung unter seinen Vater nachlassen oder das Verlangen nach seiner Leitung Tag für Tag vernachlässigen. So wartete Er auf Gott, nachdem der Feind in der Wüste besiegt worden war und Er den Wert dieses Sieges durch die Heilung solcher, die vom Teufel geknechtet wurden, bewiesen hatte. Bei dieser Beschäftigung fanden Ihn Simon und die anderen, als sie Ihm folgten. „Und als sie ihn gefunden hatten, sagen sie zu ihm: Alle suchen dich.“
Aber diese öffentliche Aufmerksamkeit war für den Herrn Jesus ein ausreichender Grund, nicht zurückzukehren. Er suchte nicht Beifall von Menschen, sondern vonseiten Gottes. Gleich nachdem er anfing, offenbar zu werden, zog sich der Herr Jesus von diesem Schauplatz zurück. Wenn alle Ihn suchten, dann musste Er dahin gehen, wo Er Bedürfnisse vorfand und nicht Ehrungen. Folglich sagte Er: „Lasst uns anderswohin in die nächsten Flecken gehen, auf dass ich auch daselbst predige; denn dazu bin ich ausgegangen.“ Er blieb ständig der vollkommene, demütige und abhängige Knecht Gottes auf der Erde. Was könnte mehr Bewunderung hervorrufen?! Nirgendwo sonst finden wir das vollkommene Ideal des Dienstes eindeutiger verwirklicht.
Sollen wir dennoch annehmen, dass all dieses nur zufällig niedergeschrieben wurde? Wie können wir diese verschiedenen Einzelheiten, und keine anderen, die das Gemälde des Dienstes vergrößern, ohne eine bestimmte Absicht seitens des Schreibers erklären? Überhaupt nicht! Gott hatte Markus inspiriert. Der Geist Gottes wollte diesen Gegenstand durch ihn darstellen. Es sind unterschiedliche Absichten, wenn wir woanders andere Themen vorgestellt bekommen. Kein anderes Evangelium zeigt dieselben Ereignisse in der gleichen Weise; denn kein anderes Evangelium ist so mit dem Dienst des Herrn beschäftigt. Demnach ist der Grund für die Schreibweise klar. Es ist Markus - er allein -, der von Gott dazu angeleitet wurde, die Tatsachen zusammenzustellen, die sich mit dem Dienst Christi beschäftigen. Er hält an der einfachen natürlichen Folge der Ereignisse fest, indem er das weglässt, was sein Thema nicht veranschaulicht. Aber die Ereignisse, die seinem Ziel entsprechen, schildert er so, wie sie einander folgten. Christus wird als der vollkommene Diener erkannt. Er selbst zeigte am Anfang seines Dienstes, was der Dienst Gottes ist. Er bildete auch andere aus. Er berief Petrus und Jakobus und Andreas und Johannes. Er machte sie zu Menschenfischern, also auch zu Dienern. Und auf diese Weise zeigte Er ihren Augen, ihren Herzen und ihren Gewissen diese vollkommenen Wege der Gnade in seinem eigenen Weg hienieden. Er formte sie nach seinem Herzen.
Behandelter Abschnitt Mk 1,1-3
Vorwort zur englischen Buchausgabe
Das zweite Evangelium unterscheidet sich von den übrigen darin, dass der Herr Jesus, der Sohn Gottes, als der Eine geschildert wird, welcher sich den Juden nach der Prophetie als der Knecht Jahwes und Prophet Israels vorstellt. Er war ausgesandt, um das Evangelium zu predigen.
In seiner zweiten Ansprache nach Pfingsten in Jerusalem beschuldigte der Apostel Petrus die Juden, die „Männer von Israel“, der Sünde, ihren Messias, dem er den doppelten Charakter eines gerechten Knechtes und eines Propheten zuwies, verworfen zu haben (Apg 3,12-26). Sie waren schuldig, Ihn dem Tod überliefert zu haben. Auf diese Weise hatten sie Gottes Knecht, Jesus, den Er gesandt hatte, um sie zu segnen, indem Er einen jeden von ihnen von seinen Bosheiten abwenden sollte, verleugnet. Darüber hinaus war Jesus Christus, der Heilige und Gerechte, der Prophet, den Gott „gleich“ Mose erweckt hatte, wie in 5. Mose 18,15 vorhergesagt war.
Was für ein würdiger Knecht wurde der Sohn Gottes! Die einzelnen Vollkommenheiten seines demütigen Dienstes werden vor allem im Markusevangelium ausführlich entfaltet. Die Gewissenhaftigkeit seiner Tätigkeit wird durch das Wort „sogleich“ und seine sinnverwandten Worte, welche ungefähr vierzig Mal in dem Bericht vorkommen, angezeigt. Diese Bereitwilligkeit lässt seine Freude erkennen, auf dem Weg der Gebote Jahwes zu eilen (Ps 119,60).
Der ausdauernde Eifer des Knechtes in seinem Dienst der Liebe wird besonders, wenn wir nur ein Beispiel nehmen, durch die Aufzählung seiner Arbeit an einem einzigen Sabbattag in Kapernaum illustriert (Mk 1,21-34). Dieser jüdische Ruhetag wurde von Ihm ausgefüllt mit dem Lehren in der Synagoge, dem Austreiben eines Dämons, dem Besuch im Haus Simons und der Heilung seiner Schwiegermutter und zuletzt mit der Heilung einer grossen Anzahl Kranker, die vor dem Nachteinbruch zu Ihm kamen. Das war ein Beispiel von den täglichen Aufgaben des gerechten Knechtes Jahwes in einer Welt der Sünde und des Leides. Die Sünden der Nation machten Ihm zu schaffen (Jes 43,24).
Als der Prophet Israels offenbarte der Herr Jesus neben vielen anderen Worten der Weisheit und Wahrheit, die Geheimnisse des Reiches Gottes (Mk 4) und die Umstände seines zukünftigen Kommens, um Israel wiederherzustellen und die Welt zu richten (Mk 13).
Diese Auslegung des Markusevangeliums durch William Kelly wurde zuerst in der englischen christlichen Zeitschrift „The Bible Treasury“ der Jahre 1864–66 (Bände 5 und 6) abgedruckt. Die „Remarks“, wie die Zeitschriftenfolgen damals betitelt waren, beruhen anscheinend auf Vorträgen des Autors über die Evangelien. Das erklärt, warum die verschiedenen Abschnitte des Evangeliums zum größten Teil mehr von allgemeinen Gesichtspunkten aus betrachtet werden und nicht Vers für Vers, wie es Kommentatoren gewöhnlich tun.
. . . Der Text wird hier in der ursprünglichen Form veröffentlicht und folgt nicht der Ausgabe von 1907. Kurze Ergänzungen zum Text werden gegebenfalls in Fußnoten wiedergegeben.
. . . Einen allgemeinen Überblick über das Markusevangelium findet man auch in Kellys „Lectures Introductory to the Study of the Gospels“1, der allerdings nicht so ausführlich ist wie in der vorliegenden Auslegung.
März 1934, W.J. Hocking
Kapitel 1
Markus berichtet uns vom Dienst des Herrn. Sein Bericht ist kurz; und es gibt nur wenige Ereignisse, die nicht auch von Matthäus und Lukas berichtet werden. Nichtsdestoweniger, welch eine Lücke gäbe es in unserem Ausblick auf das Leben und Werk unseres Heilandes hienieden, wenn wir das Markusevangelium nicht hätten! In keinem anderen Evangelium finden wir das, was uns mitgeteilt wird, charakteristischer dargestellt. Nirgendwo sonst finden wir solche anschaulichen, lebendigen Lebenseindrücke von unserem Meister, und zwar nicht nur das, was Er sagte und tat, sondern auch wie Er blickte und fühlte. Außerdem ist es ganz offensichtlich die Absicht des Markusevangeliums, unsere Aufmerksamkeit auf seinen Evangeliumsdienst zu lenken. Und alle Ereignisse, die ausgewählt sind, und die besondere Art und Weise, in welcher sie dargestellt werden, zielen, wie man finden wird, auf das eine gewaltige und ergreifende Thema: Der Herr-Gott wandelt als der Knecht in demütigem, treuen Dienst des Evangeliums auf der Erde.
Schon die Einleitung veranschaulicht dies. „Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes; wie geschrieben steht in Jesajas, dem Propheten: ‚Siehe, ich sende meinen Boten vor deinem Angesicht her, der deinen Weg bereiten wird‘“. ‚Stimme eines Rufenden . . . ‘“ (V. 1–3).
Wir werden sofort in das große Thema eingeführt, das der Heilige Geist vor Augen hatte. Keine Posaune wird geblasen, um den König in gebührender Weise und entsprechend seinem Anspruch anzukündigen. Das findet seinen passenden Platz im Matthäusevangelium, wo es so wunderbar mit Gottes Absicht dort in Übereinstimmung steht, seine Abstammung von Abraham und David entlang der auserwählten königlichen Linie Salomos nachzuspüren. Danach folgen die Umstände vor und nach seiner Geburt, die alle auf dasselbe Ziel hinauslaufen, Jesus als den wahren und gesegneten Messias Israels vorzustellen. Entsprechend waren auch Lukas und Johannes, wie leicht gezeigt werden könnte, von dem Geist mit gleich auffallender und angemessener Weisheit ausgestattet, um das Ziel ihrer Evangelien festzuhalten. Aber einstweilen fehlt die Zeit, um uns damit eingehender zu beschäftigen.
Es ist jedoch gut, wenn wir die schöne Unmittelbarkeit des Bildes vor uns betrachten, darauf zu achten, dass jede Übereilung fehlt und dass die überaus wichtige Einleitung zu dem Bericht über Jesus als dem Knecht, nämlich das vorherige Auftreten und die Dienste Johannes des Täufers, nicht weggelassen werden. Darauf spielen anscheinend die eröffnenden Worte an. Aber was jetzt kam, war mehr als Prophetie, obwohl in Übereinstimmung mit den Propheten, wie die Verse 2 und 3 beweisen. „Das Gesetz und die Propheten“, wird uns in Lukas 16,16 gesagt, „waren bis auf Johannes“, der schon einen großen Schritt vorwärts machte. „Anfang des Evangeliums Jesu Christi“ (V. 1). Von diesem Charakter war die Stimme eines Rufenden in der Wüste nach langem Schweigen hinsichtlich des Zeugnisses Gottes in Jerusalem.
Ist es außerdem nicht ergreifend, wenn wir im Begriff stehen, den Schritten von Gottes treuem und allein vollkommenen Knecht zu folgen, wie die Änderung, die der Heilige Geist in unumschränkter Weisheit in seinem Zitat (V. 2) von Maleachi 3,1 vornimmt, die göttliche Herrlichkeit Jesu bezeugt? In der Prophezeiung ist es Jahwe, der seinen Boten sendet, um den Weg vor Ihm selbst zu bereiten. Auch hier bei dem Evangelisten ist es Jahwe, der seinen Boten sendet, aber es geschieht jetzt vor „deinem Angesicht“, d. h. dem Angesicht Jesu Christi. Die Wahrheit besteht darin: Jesus, so sehr Er sich auch erniedrigen mochte, war Jahwe. Matthäus entnimmt dieselbe Wahrheit seinem Namen: „Du sollst seinen Namen Jesus heißen, denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden“ (Mt 1,21). Nun waren die Juden keines anderen Volk als Jahwes. Diese Darstellung ist am Anfang unseres Evangeliums um so bemerkenswerter, weil Markus, anders als Matthäus, selten die Schriften zitiert. Wie vollkommen sie mit dem Evangelium und auch seiner Einleitung übereinstimmen, ist offensichtlich. Wenn der Herr der Herrlichkeit in der Gestalt eines Knechtes und der Gleichheit eines Menschen auf die Erde kam, dann war es angemessen, dass die Prophetie vor Ihm (nicht gebrochen, sondern) gebeugt wurde und und dass ein neues und noch gesegneteres Zeugnis beginnen sollte.
1 dt. „Einführende Vorträge zu den Evangelien“; Band 4 in dieser Serie.↩︎