Am Ende dieses Eintrages finden sich noch die "Betrachtungen über den Brief an die Römer" von JND
Behandelter Abschnitt Röm 1,1-32
Einleitung
Der Brief an die Römer ist an der Spitze all der anderen Briefe gut platziert, da er auf eine systematische Weise die Grundlagen der Beziehungen des Menschen mit Gott niederlegt, zur gleichen Zeit versöhnt er diese universelle Wahrheit der Stellung des Menschen, erstens in Verantwortung und zweitens unter der Gnade, mit den besonderen, den Juden gemachten Verheißungen. Er stellt auch die großen Grundsätze des praktischen christlichen Lebens auf, nicht der Moral des Menschen, sondern der, die die Frucht des Lichtes und der Offenbarung ist, die durch das Christentum gegeben worden sind! Es ist wichtig zu sehen, dass er den Christen stets als in dieser Welt betrachtet. Er ist gerechtfertigt und hat Leben in Christo, er ist aber hienieden und wird nicht als mit Ihm auferstanden betrachtet.
Ich glaube, dass der Brief wie folgt eingeteilt ist. Nach einigen einleitenden Versen, die dieses Thema eröffnen, von denen einige voll tiefster Bedeutung sind und den Schlüssel zu der ganzen Lehre dieses Briefes und zu dem wahren Zustande des Menschen vor Gott liefern (Röm 1,1-17), zeigt der Apostel (bis zum Ende von Röm 3,201), dass der Mensch überaus verderbt und verloren ist, und zwar in allen Umständen, in denen er sich befindet. Ohne Gesetz war es ungehemmte Sünde; bei der Philosophie wurde das Böse verurteilt und ausgeübt, unter Gesetz wurde das Gesetz übertreten, während man sich seines Besitzes rühmte und den Namen Dessen verunehrte, mit Dessen Herrlichkeit diejenigen, die es besaßen, (sozusagen) dadurch einsgemacht waren, dass sie als Sein Volk dieses Gesetz von Ihm empfangen hatten. Von Röm 3,21 bis zum Ende von Röm 8 finden wir das Heilmittel deutlich in zwei Teilen dargestellt. In Röm 3,21 bis zum Ende des Kapitels ist allgemein das Blut Christi durch den Glauben die Antwort auf all die Sünde, die der Apostel soeben beschrieben hat; nachher, in Röm 4, haben wir die Auferstehung, das Siegel des Werkes Christi und das Zeugnis von seiner Wirksamkeit zu unserer Rechtfertigung. Alles dieses genügt der durch das Gesetz bloß verschlimmerten Verantwortlichkeit des Kindes Adams, und zwar gemäß der in Röm 5,1-11 entfalteten vollen Gnade. In Röm 8 aber wird angenommen, dass sie in Christo sind, der droben ist, was den, der daran teilhatte (das heißt, jeden Gläubigen), in eine neue Stellung vor Gott in Christo versetzte, der ihm auf diese Weise Freiheit und Leben schenkte - die Freiheit, in der Christus Selbst war, und das Leben, das Er Selbst lebte. Dieses Letztere ist es, das Rechtfertigung und Heiligkeit im Leben unzertrennlich vereinigt.
Damit ist aber noch ein Punkt verbunden, der dazu veranlasst, eine noch wichtigere Einteilung der Gegenstände dieses Briefes zu bemerken. Von Röm 3,21 bis zum Ende von Röm 5,11 behandelt der Apostel den Gegenstand unserer Sünden - persönlicher Schuld wird durch das Blut Christi begegnet, der (Kap. 4) unserer Übertretungen wegen dahingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt wurde. Von Röm 5,12 an aber wird die Frage der Sünde behandelt - nicht die Erledigung eines zukünftigen Gerichts, sondern Befreiung von einem gegenwärtigen Zustand2. Das eine endet in der Segnung von Röm 5,1-11, das andere in der Segnung von Röm 8.
In den Kapiteln Röm 9-11 versöhnt der Apostel diese Wahrheiten über dieselbe Errettung, die ohne Unterscheidung jedem Gläubigen gehört, mit der den Juden gegebenen Verheißung, wobei die wunderbare Weisheit Gottes ans Licht gebracht wird, wie auch die Weise, auf welche diese Dinge zuvor ersehen und im Worte geoffenbart wurden.
Später (in Röm 12 und folgend) stellt er die praktische christliche Gesinnung dar. In diesem letzten Teil erwähnt er die Versammlung als einen Leib. Sonst geht es allgemein um den Menschen, den einzelnen, vor einem Gott der Gerechtigkeit, und um das Werk Christi, das ihn dort als einzelnen in Frieden hinstellt. Aus demselben Grunde (außer in einem Abschnitt in Kapitel 8, um die Fürbitte einzuführen) ist im Römerbrief von der Himmelfahrt nicht die Rede. Er behandelt den Tod und die Auferstehung Christi als die Grundlage eines neuen Standes für den Menschen vor Gott3.
Lasst uns jetzt die durch den Heiligen Geist in diesem Briefe gegebene Gedankenlinie erforschen. In ihr finden wir die Antwort auf die erste Frage Hiobs, der zornig war, weil er in der Gegenwart des Gerichtes Gottes ohne Hilfsquellen dastand. „Wahrlich ich weiß, dass es also ist; und wie könnte ein Mensch gerecht sein vor Gott?“ Nichtsdestoweniger ist das nicht der erste Gedanke, der sich dem Apostel darstellt. Das ist die Not des Menschen; das Evangelium aber kommt und offenbart und bringt zuerst Christum. Es ist die Gnade und Jesus, die es in den Händen bringt: es redet von Gott in Liebe. Das weckt das Bewusstsein der Not4, während es das bringt, was ihr genügt; dessen Maß wird in der Gnade angegeben, die uns die ganze Fülle der Liebe Gottes in Christo vor Augen stellt.
Es ist eine Offenbarung Gottes in der Person Christi. Es stellt den Menschen an seinen Platz vor Gott, in die Gegenwart des Geoffenbarten - in sich selbst sowohl als auch in der Gnade in Christo. Auch alle Verheißungen werden in der Person des Geoffenbarten erfüllt. Es ist aber wichtig, sich zu merken, dass es mit der Person Christi beginnt - nicht mit der Vergebung oder der Gerechtigkeit, obwohl dieses späterhin von Vers 17 voll entfaltet wird.
Kapitel 1
Es gibt keinen Brief, in dem der Apostel sein Apostelamt auf einen so entschiedenen und formellen Boden stellt, wie in diesem, denn in Rom konnte er keine Ansprüche aufgrund seiner Arbeit stellen. Er hatte die Römer nie gesehen. Er war nichtsdestoweniger ihr Apostel, denn er war der Apostel der Nationen. Er war ein Schuldner der Nationen. Er schreibt an sie, weil er vom Herrn Selbst einen Auftrag für alle Nationen empfangen hatte. Als Nationen gehörten sie in die ihm zugewiesene Sphäre des Dienstes. Es war sein Amt, sie als ein durch den Heiligen Geist geheiligtes Opfer darzubringen (Röm 15,16). Das war sein Auftrag. In Petrus war Gott den Juden gegenüber mächtig; der Auftrag des Paulus war an die Nationen. Ihm wurde dieser Auftrag anvertraut. Übrigens erkannten die Zwölfe das an. Wenn Gott angeordnet hatte, dass Paulus seinen Auftrag in direkter Verbindung mit dem Himmel und außerhalb des weltlichen Einflusses der Hauptstadt ausführen sollte, und wenn Rom eine Verfolgerin des Evangeliums werden sollte, so gehörte diese Stadt deswegen nichtsdestoweniger zu den Nationen. In Bezug auf das Evangelium gehörte sie dem Paulus. Dem Heiligen Geist gemäß wendet sich Petrus beim Ausüben seines Apostelamtes an die Juden, Paulus an die Nationen.
Dies war die gottgemäße Verwaltungsordnung; lasst uns jetzt zu dem Wesentlichen seiner Stellung übergehen. Paulus war der Knecht Christi - das war sein Charakter, sein Leben. Aber auch andere waren das mehr oder weniger. Er aber war mehr als das. Er war ein Apostel durch die Berufung des Herrn, ein „berufener Apostel“; und nicht nur das, auch arbeitsam wenn die Gelegenheit sich bot, war er nichts als nur das in seinem Leben hienieden. Er war zum Evangelium Gottes abgesondert worden.
Diese beiden letzten Wesenszüge werden in der Offenbarung des Herrn an Paulus auf dem Wege nach Damaskus eindeutig verbürgt, nämlich seine Berufung und sein bei dieser Gelegenheit gegebener Auftrag an die Nationen, und dadurch, dass er in Antiochien durch den Heiligen Geist abgesondert wurde, als er auszog, seinen Auftrag zu erfüllen.
Er nennt das Evangelium, zu dem er abgesondert wurde, das Evangelium oder die frohe Botschaft „Gottes“: der Heilige Geist stellt es in seinem Ursprung dar. Es geht nicht darum, was der Mensch für Gott sein sollte, noch auch nur um das Mittel, durch das der Mensch Ihm auf Seinem Thron nahen kann. Es handelt sich um die Gedanken Gottes - und wir dürfen hinzufügen, um Seine Handlungen - dem Menschen gegenüber, um Seine Gedanken in Güte, um Seine Offenbarung in Christo, Seinem Sohne. Er tritt an den Menschen demgemäß heran, was Er ist, und dem entsprechend, was Er in Gnade will. Gott kommt zu ihm; es ist das Evangelium Gottes. Das ist der wahre Anblick: das Evangelium wird niemals richtig verstanden, bis es uns das Evangelium Gottes wird, das Wirken und die Offenbarung Seiner Natur und Seines Willens in Gnade dem Menschen gegenüber.
Nachdem er auf den Ursprung, den Urheber des Evangeliums, auf Den, den es also in Seiner Gnade offenbart, hingewiesen hat, stellt der Apostel den Zusammenhang zwischen diesem Evangelium und den historisch vorhergegangenen Verfahren Gottes dar - seine Verkündigung hienieden und gleichzeitig sein eigenes eigentliches Ziel, das heißt das, was genau gesagt sein Gegenstand genannt wird, und die Beziehung, in der das Vorhergegangene zu ihm stand (die Ordnung, der diejenigen angehörten, die diese als ein wesentliches und unabhängiges System dadurch festzuhalten trachteten, dass sie das Evangelium verwarfen). Hier stellt er das Vorhergegangene dar, nicht als einen Streitgegenstand, sondern in seinem wahren Charakter, um dem Zeugnis des Evangeliums Nachdruck zu verleihen (wobei er Einwänden zuvorkommt, die somit im Voraus erledigt waren).
Für den aus den Nationen war es die Offenbarung der Wahrheit und Gottes in Gnade; für den Juden war es dies wahrhaftig, während es auch alles, was ihn betraf, an den rechten Platz rückte. Der Zusammenhang des Alten Testaments mit dem Evangelium ist dieser: das Evangelium Gottes wurde zuvor durch Seine Propheten in heiligen Schriften kundgetan. Man beachte hier, dass in diesen heiligen Schriften das Evangelium nicht gekommen war, noch richtete es sich an die Menschen, sondern es wurde verheißen oder zuvor angekündigt, dass es gesandt werden sollte. Die Versammlung wurde nicht angekündigt, aber das Evangelium wurde angekündigt, aber als solches, das noch kommen sollte.
Übrigens ist der Gegenstand dieses Evangeliums zuerst der Sohn Gottes. Er hat ein Werk vollbracht; Er ist es aber Selbst, der der wahre Gegenstand des Evangeliums ist. Nun wird Er von einem zwiefachen Blickpunkt dargestellt: 1. als der Gegenstand der Verheißungen, der Sohn Davids nach dem Fleische; 2. als der Sohn Gottes in Kraft, der inmitten der Sünde durch den Geist in göttlicher und absoluter Heiligkeit wandelte (indem die Auferstehung der glänzende und siegreiche Beweis dafür war, wer Er war, der in diesem Charakter wandelte). Das heißt, die Auferstehung war eine öffentliche Offenbarung jener Kraft, durch die Er Zeit Seines Lebens in absoluter Heiligkeit wandelte - eine Offenbarung dessen, dass Er der Sohn Gottes in Kraft ist. Mittels dieser Tatsache wird Er klar als der Sohn Gottes in Kraft erwiesen. Hier geht es nicht um Verheißung, sondern um Kraft, um Den, der den Kampf mit dem Tode, in dem der Mensch lag, aufnehmen und den Er vollständig besiegen konnte, und dies in Verbindung mit der Heiligkeit, die während Seines Lebens die Kraft jenes Geistes, durch den Er wandelte, bezeugte, und in der Er Sich vor der Berührung der Sünde bewahrte. Es war dieselbe Kraft, durch die Er im Leben absolut heilig war, durch die Er aus den Toten auferweckt wurde.
In den Wegen Gottes auf Erden war Er der Gegenstand und die Erfüllung der Verheißungen. In Bezug auf den Zustand des Menschen unter der Sünde und dem Tode war Er der vollkommene Sieger über alles, was Ihm im Wege stand, ob im Leben oder in der Auferstehung. Es war der Sohn Gottes, der da war - erwiesen durch Toten-Auferstehung nach der Kraft, die in Ihm war, einer Kraft, die sich dem Geiste gemäß durch die Heiligkeit, in welcher Er lebte, erwies5.
Welch wunderbare Gnade ist es zu sehen, wie die ganze Macht des Bösen - jene schreckliche Tür des Todes, die sich hinter dem sündigen Leben des Menschen schloss und ihn dem unausweichlichen von ihm verdienten Gerichte überließ - durch Den zerbrochen und vernichtet wird, der bereit war, in die von ihr abgeschlossene finstere Kammer einzugehen und die ganze Schwachheit des Menschen im Tode auf Sich zu nehmen und auf diese Weise den zu erlösen, vollständig und absolut, dessen Strafe Er getragen hatte, indem Er Sich dem Tode unterwarf! Dieser Sieg über den Tod, diese Befreiung des Menschen von seiner Herrschaft durch die Kraft des Mensch gewordenen Sohnes Gottes, als Er ihn erlitten hatte, und zwar als Opfer für die Sünde, ist die einzige Grundlage der Hoffnung für den sterblichen und sündigen Menschen. Er beseitigt alles, was die Sünde und der Tod zu sagen haben. Für den, der ein Teil an Christo hat, vernichtet Er das im Tode bestehende Siegel des Gerichts über die Sünde; und ein neuer Mensch, ein neues Leben beginnt für den, der darunter festgehalten wurde, und zwar außerhalb des ganzen Schauplatzes, der ganzen Wirkung seines früheren Elends - ein Leben, das auf den ganzen Wert dessen, was der Sohn Gottes dort vollbrachte, gegründet ist.
Eigentlich haben wir also als Gegenstand des Evangeliums den Sohn Gottes, geworden aus dem Samen Davids dem Fleische nach, und im Schoße der Menschheit und des Todes als Sohn Gottes in Kraft durch Toten-Auferstehung6 erwiesen, Jesum Christum, unseren Herrn.
Das Evangelium war das Evangelium Gottes Selbst; aber durch Jesum Christum, den Herrn, geschah es, dass der Apostel seinen Auftrag empfing. Er war das Haupt des Werkes, und Er sandte die Arbeiter in die Ernte aus, die sie in der Welt ernten sollten. Der Gegenstand und der Umfang seines Auftrages war der Glaubensgehorsam (nicht Gehorsam dem Gesetz gegenüber) unter allen Nationen, indem die Autorität und der Wert des Namens Christi begründet wurden. Es war dieser Name, der vorherrschen und anerkannt werden sollte.
Der Auftrag des Apostels war nicht nur sein Dienst; die Tatsache, dass er ihm anvertraut wurde, war gleichzeitig die persönliche Gnade und Gunst Dessen, dessen Zeugnis er trug. Ich rede nicht über die Errettung, obwohl im Falle des Paulus diese beide übereinstimmten - eine Tatsache, die seinem Auftrage eine bemerkenswerte Farbe und Lebenskraft verlieh, es lagen aber eine Gnade und Gunst in dem Auftrage selbst, und es ist wichtig, dies im Sinn zu behalten. Das verleiht dem Auftrag und seiner Ausführung den Charakter. Ein Engel vollbringt einen Auftrag der Vorsehung; ein Mose gibt die Einzelheiten eines Gesetzes im Geiste des Gesetzes; ein Jona, ein Johannes der Täufer predigen Buße, er zieht sich von der Gnade zurück, die anscheinend seine Drohungen wider die bösen Nationen Lüge strafte, oder er legt in der Wüste die Axt an die Wurzel der unfruchtbaren Bäume im Garten Gottes. Durch Jesum aber empfängt Paulus Gnade und Apostelamt. Durch Gnade, und als Gnade trägt er die Botschaft der Gnade zu den Menschen, wo sie auch sein mögen, die Gnade, die in dem ganzen Umfang der Rechte Gottes über die Menschen kommt, und in Ihm Selbst, in Seiner Unumschränktheit, in der Er Seine Rechte ausübt. Unter diesen Nationen wurden auch die gläubigen Römer von Jesu Christo berufen.
Deshalb wendet sich Paulus an alle Gläubigen in jener großen Stadt. Sie waren Geliebte Gottes und Heilige durch Berufung7.
Wie in allen seinen Briefen wünscht er ihnen Gnade und Friede von Gott, dem Vater, und vom Herrn Jesus Christus, von dem er seine Botschaft ausrichtete. Die vollkommene Gnade Gottes durch Christum, der vollkommene Friede des Menschen, und zwar mit Gott: das war es, was er im Evangelium und in seinem Herzen brachte. Dies sind die wahrhaftigen Bedingungen der Beziehung Gottes mit dem Menschen, und der des Menschen mit Gott, und das durch das Evangelium - dies ist die Grundlage, auf die das Christentum den Menschen stellt. Wenn ein einzelner angesprochen wird, kommt eine andere Überlegung auf, nämlich die seiner Schwachheiten und Gebrechen; deshalb wird dem Wunsche der heiligen Schreiber, wenn es um einzelne geht, „Barmherzigkeit“ hinzugefügt. (Siehe die Briefe an Timotheus und Titus, und den zweiten Brief des Johannes8.)
Wenn die Liebe Gottes im Herzen ist, wenn Er dort Seinen Platz hat, so ist es vor Gott, wo man sich mit den Gegenständen Seiner Gnade befasst, dann ist es das Werk Gottes in ihnen, die entfaltete Gnade, das erste, was einem in den Sinn kommt, sei es in Liebe oder in Dankbarkeit. Der Glaube der Römer steigt als Danksagung aus dem Herzen des Apostels empor, den die Kunde darüber erreicht hatte.
Dann bringt er das Verlangen, sie zu sehen zum Ausdruck, ein Verlangen, das ihn oft beschäftigt hat. Hier bringt er seine apostolische Beziehung zu ihnen zum Ausdruck, und zwar mit all der Zärtlichkeit und all dem Feingefühl, die zur Gnade und Liebe gehören, die diese Beziehung gestaltet hatten und ihre Kraft ausmachten. Durch sein Recht ist er der Apostel aller Nationen, auch wenn er sie nicht gesehen haben mag; im Herzen ist er aber ihr Diener und mit der wahrhaftigsten und inbrünstigsten Bruderliebe, die der Gnade, die ihn zum Apostel gemacht hatte, entfließt, verlangt es ihn, sie zu sehen, um ihnen einige Gnadengaben mitzuteilen, die er dank seines Apostelamts mitzuteilen in der Lage war. Was er dabei im Herzen hatte, war, dass er den Glauben, der ihm und ihnen gemeinsam war, genießen möchte - einen durch diese Gaben gestärkten Glauben - und das zu ihrem gegenseitigem Trost. Oft hatte er sich vorgesetzt zu ihnen zu kommen, auf dass er auch auf diesem Teil des Feldes einige Frucht haben möchte, das Gott ihm anvertraut hatte; bis dahin wurde er immer verhindert.
Dann erklärt er sich als Schuldner aller Nationen, und ist bereit, so viel an ihm ist, auch denen, die in Rom sind, das Evangelium zu verkündigen. Die Weise, auf welche der Apostel das ganze Feld der Nationen als sein eigenes beansprucht, auf dem er von Gott verhindert wurde, nach Rom zu kommen, bis er am Ende seines Laufes dort ankam (und dann nur als Gefangener), ist aller Beachtung wert.
Wie es auch sein mochte, er war bereit, und zwar wegen des Wertes des Evangeliums - ein Punkt, der ihn dazu führt, den Wert wie auch den Charakter dieses Evangeliums darzulegen; denn er sagt, er schämt sich seiner nicht. Es war die Kraft Gottes zum Heil. Man beachte, wie der Apostel alles als von Gott kommend schildert. Es ist das Evangelium Gottes, die Kraft Gottes zum Heil, die Gerechtigkeit Gottes, ja sogar der Zorn Gottes, und zwar vom Himmel her - etwas anderes als irdische Züchtigung. Dies ist der Schlüssel zu allem. Der Apostel hebt es hervor, er betont es vom Anfang des Briefes an; denn der Mensch neigt immer dazu, sich selbst zu vertrauen, sich seiner selbst zu rühmen, irgendwelches Verdienst, irgendwelche Gerechtigkeit bei sich zu suchen, dem Judentum zu frönen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, als ob er etwas tun könnte. Es war die Freude des Apostels, seinen Gott in den Vordergrund zu stellen.
So schaltete Sich Gott im Evangelium ein, indem Er ein Heil vollbrachte, das ausschließlich Sein Werk war, - ein Heil, dessen Ursprung und Kraft Er war und das Er Selbst bewirkt hatte. Der Mensch kam durch Glauben dazu; es war der Glaubende, der daran teilhatte; aber um durch Glauben daran teilzuhaben war gerade der Weg, an ihm teilzuhaben, ohne auch nur irgendetwas hinzuzufügen und es völlig als das Heil Gottes zu belassen. Gott sei gelobt, dass es so ist, sei es wegen der Gerechtigkeit oder der Kraft, oder wegen des ganzen Ergebnisses, denn auf diese Weise ist es vollkommen, es ist göttlich. Gott ist in Seiner allmächtigen Kraft und in Seiner Liebe ins Mittel getreten, um die Elenden nach Seiner eigenen Macht zu erretten. Das Evangelium ist dessen Ausdruck: man glaubt daran und hat daran teil.
Es gibt aber einen besonderen Grund dafür, dass es die Kraft Gottes im Heil ist. Der Mensch war durch die Sünde von Gott abgewichen. Allein Gerechtigkeit konnte ihn in die Gegenwart Gottes zurückbringen und ihn zu einem solchen machen, dass er dort in Frieden sein kann. Ein Sünder - er hatte keine Gerechtigkeit, sondern ganz das Gegenteil, wenn aber der Mensch als Sünder vor Gott treten sollte, so erwartet ihn notwendigerweise Gericht: die Gerechtigkeit würde sich auf diese Weise äußern. Im Evangelium aber offenbart Gott Seinerseits eine positive Gerechtigkeit. Wenn der Mensch keine hat, so hat Gott eine Gerechtigkeit, die Ihm gehört, die Sein eigen ist, vollkommen wie Er Selbst, ganz nach Seinem Herzen. Eine solche Gerechtigkeit wird im Evangelium geoffenbart. Es gab keine menschliche Gerechtigkeit; eine Gerechtigkeit aus Gott wird geoffenbart. Sie ist vollkommen in sich selbst, göttlich und vollständig. Um geoffenbart zu werden, muss es so sein. Das Evangelium verkündigt sie uns.
Der Grundsatz, auf dem sie kundgetan wird, ist der Glaube, weil sie da ist, und sie ist göttlich. Wenn der Mensch etwas an ihr gewirkt oder einen Teil von ihr vollbracht hätte, oder wenn sein Herz irgendeinen Anteil an ihrer Ausführung gehabt hätte, wäre das nicht die Gerechtigkeit Gottes, sie ist aber vollständig und absolut Sein. Wir glauben an das Evangelium, welches sie kundtut. Wenn es aber der Glaubende ist, der an ihr teilhat, so hat jeder, der Glauben hat, an ihr teil. Diese Gerechtigkeit besteht auf dem Grundsatz des Glaubens. Sie ist geoffenbart, und zwar dem Glauben, wo immer dieser Glaube vorhanden ist.
Dies ist die Bedeutung des Ausdrucks, der mit „aus Glauben zu Glauben“ übersetzt wird - nach dem Grundsatze des Glaubens zum Glauben. Nun ist die Wichtigkeit dieses Grundsatzes hier augenscheinlich. Er lässt jeden Glaubenden aus den Nationen auf derselben Grundlage wie den Juden gelten, der kein anderes Eintrittsrecht hat als er. Sie haben beide Glauben: das Evangelium erkennt kein anderes Mittel an, um daran teilzuhaben. Die Gerechtigkeit ist Gottes; in ihr ist der Jude nichts mehr als der aus den Nationen - wie geschrieben steht: „Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.“ Die Schriften der Juden bezeugten die Wahrheit des Grundsatzes des Apostels.
Das ist es nun, was das Evangelium dem Menschen von Gottes Seite anbietet. Der vorherrschende Gegenstand war die Person Christi, der Sohn Davids dem Fleische nach (Erfüllung der Verheißung), und der Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach. Aber die Gerechtigkeit Gottes (nicht des Menschen) wurde darin geoffenbart. Das ist das Hauptthema von allem, was folgt. Der Apostel hatte allen Grund, sich dessen nicht zu schämen, wie sehr es auch vom Menschen verachtet wurde.
Diese Lehre wurde aber durch eine andere Überlegung bestätigt, und sie fußte auf der darin enthaltenen großen Wahrheit. Indem Gott Sich darstellt, konnte Gott die Dinge nicht nach den teilweisen, der Unkenntnis des Menschen angepassten Mitteilungen betrachten noch nach den vorübergehenden Zeitverwaltungen, durch welche Er sie regierte. Der Zorn war nicht bloß Seine Einschaltung in Seinen Regierungswegen, wie durch die Assyrer oder durch die babylonische Gefangenschaft. Es war „Zorn vom Himmel her“. Die wesentliche Opposition Seiner Natur gegen das Böse und dessen strafrechtliche Verwerfung überall da, wo es gefunden wurde, wurden offenbar. Nun offenbarte Sich Gott im Evangelium. Auf diese Weise bricht der Zorn tatsächlich nicht hervor (denn die Gnade verkündigte die Gerechtigkeit Gottes den Sündern zum Heil, die glauben würden), er wird aber (genau genommen nicht im Evangelium - das ist die Offenbarung der Gerechtigkeit) geoffenbart vom Himmel her über alle Ungerechtigkeit - über alles, was die Gegenwart Gottes nicht ehrt - über alles, was mit der Gegenwart Gottes nicht übereinstimmt, und über alle Ungerechtigkeit und Bosheit bei denen, die die Wahrheit hatten, Gott aber immer noch verunehrten; das bedeutet über alle Menschen, ob aus den Nationen oder andere, und besonders über die Juden, welche die dem Gesetz gemäße Erkenntnis Gottes besaßen; und wiederum (denn der Grundsatz ist weltweit und entfließt dem, was Gott ist, wenn Er Sich offenbart) über jeden, der sich zum Christentum bekennt, wenn er in dem Bösen wandelt, welches Gott hasst.
Dieser Zorn, göttlicher Zorn (der der Natur Gottes, der im Himmel ist, entspricht) wider den Menschen als Sünder machte die Gerechtigkeit Gottes notwendig. Der Mensch sollte jetzt Gott begegnen, und zwar als völlig geoffenbart, wie Er ist. Dies zeigte, dass er ganz und gar ein Sünder war, es ebnete aber in Gnade den Weg zu einem weit vorzüglicheren Platz und Stand - zu einem, der auf der Gerechtigkeit Gottes gegründet ist. Das Evangelium offenbart die Gerechtigkeit; wie günstig und notwendig sie ist, wird durch den Zustand der Sünde erwiesen, in dem sich alle Menschen befinden und weswegen der Zorn vom Himmel her geoffenbart wurde. Der Mensch sollte nicht nur durch Gott regiert werden und regierungsmäßigen Zorn empfangen, sondern er sollte vor Gott erscheinen. Wie könnten wir dort bestehen? Die Antwort ist die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes durch das Evangelium. Und deshalb, selbst wenn von der Auferstehung die Rede ist, wird Christus als Sohn Gottes nach dem Geist der Heiligkeit erwiesen. Man muss Gott als Dem begegnen, der Er ist. Die Offenbarung Gottes Selbst in Seiner heiligen Natur erfasste notwendigerweise mehr als nur die Juden. Sie war wider die Sünde als solche, wo immer sie war, wo immer sie der Sünde begegnete, um das, was Gott ist, zu verwirklichen. Es ist eine herrliche Wahrheit, und wie gesegnet, dass die göttliche Gerechtigkeit also in unumschränkter Gnade geoffenbart werden sollte! Da aber Gott Liebe ist, dürfen wir sagen, dass es nicht anders sein konnte; wie herrlich aber, dass Gott Sich so geoffenbart hat!
Also liegt die These dieses Briefes in Vers 17, das, was ihre Notwendigkeit in Vers 18 bewies. Von Vers 19 an bis Kapitel 3,20 wird der Zustand der Menschen, der Juden und der Nationen, auf die sich diese Wahrheit bezieht, ausführlich beschrieben, um zu zeigen, auf welche Weise der Zorn verdient wurde, und dass alle in die Sünde eingeschlossen wurden (V. 19 und 21 dieses Kapitels geben die führenden Grundsätze des Bösen in Bezug auf die Nationen). In Röm 3,21-31 wird die Antwort in Gnade durch die Gerechtigkeit Gottes durch das Blut Christi kurz, aber kraftvoll kundgetan. Denn wir bekommen zuerst durch das Blut Christi die Antwort auf den alten Zustand, und dann die Einführung in den neuen Zustand durch Tod und Leben durch Christum.
Der Apostel beginnt mit den Nationen - „alle Ungerechtigkeit“ der Menschen. Ich sage der Nationen (es ist augenscheinlich, dass, wenn ein Jude in diesen Zustand verfällt, ihm diese Schuld anhaftet; der beschriebene Zustand aber bis zu Kapitel 2,17 ist der der Nationen); späterhin ist es der der Juden bis Kapitel 3,20.
Kapitel 1,18 ist die These der ganzen Erörterung von Vers 19 bis Kapitel 3,20, indem dieser Teil des Briefes den Grund jenes Zornes angibt.
Die Nationen sind aus zwei Gründen unentschuldbar. Erstens ist das von Gott Erkennbare durch die Schöpfung offenbar geworden - seine Kraft und Göttlichkeit. Dieser Beweis hat seit der Erschaffung der Welt bestanden. Zweitens, dass sie die Erkenntnis Gottes so wie Noah hatten, Ihn aber als Gott nicht verherrlichten, sondern in ihren Überlegungen in Torheit verfielen, und indem sie sich diesbezüglich ihre eigenen Gedanken und Begriffe machten, wurden sie zu Narren, während sie sich für Weise ausgaben, verfielen sie dem Götzendienst, und zwar von der gröbsten Art. Gott hat das nun gerichtet. Wenn sie einen gerechten Begriff von der Herrlichkeit Gottes nicht behalten wollten, dann sollten sie nicht mal einen gerechten Begriff von der natürlichen Würde des Menschen behalten. Sie sollten sich selbst verunehren, wie sie Gott verunehrt hatten. Mit einigen kraftvollen und energischen Worten haben wir hier die genaue Schilderung der ganzen heidnischen Mythologie. Sie hatten kein Unterscheidungsvermögen, keinen moralischen Geschmack, Gott in Erkenntnis zu haben, deshalb hat Gott sie dahingegeben in einen verworfenen Sinn, sich ihres verderbten Geschmacks zu rühmen, solcher Dinge, die sich nicht mal für die Natur geziemen. Das natürliche Gewissen erkannte, dass Gott nach der gerechten Forderung seiner Natur solches Tun für des Todes würdig hielt. Nichtsdestoweniger übten sie diese Dinge nicht allein aus, sondern sie hatten Wohlgefallen an denen, die es taten, wenn sie ihre eigenen Gelüste nicht fortrissen. Das ließ für die, welche das Böse verurteilten (und es gab solche), keinen Raum zur Entschuldigung, denn sie verübten es, indem sie es verurteilten. Durch dieses Richten verdammte sich der Mensch doppelt, denn dadurch, dass er das Böse richtete, zeigte er, dass er es als böse erkannte, und doch verübte er es. Das Gericht Gottes aber nach der Wahrheit ist über die, welche solches tun; die, welche einen guten Ruf dadurch erwarben, dass sie diese Dinge richteten, sollten dem Gericht Gottes nicht entrinnen.
1 Nach der Einführung bis zum Ende von Kapitel 3 finden wir das Böse und das Gegenmittel, das Gott im Blut Jesu Christi gewährt hat; und nachher, in Kapitel 4, die Auferstehung Christi (nachdem Er wegen unserer Übertretungen dahingegeben) unserer Rechtfertigung wegen, und dadurch Frieden mit Gott, unser gegenwärtiges Stehen in der Gnade, und die Hoffnung der Herrlichkeit, mit allen gesegneten Folgen in der Liebe Gottes. Abraham und David, die großen Wurzeln der Verheißung, bestätigten diesen Grundsatz der Gnade und der Rechtfertigung ohne Werke. Dieser Teil schließt mit Röm 5,11, was den Brief in zwei deutliche Teile einteilt, und zwar wegen seiner Hauptlehre der Rechtfertigung und unseres Stehens vor Gott. Darüber später mehr.↩︎
2 Während das Thema die Sünde im Fleisch und der Tod darüber ist, schließt dies die Frage des Gesetzes ein - des Mittels, sie zu entdecken, wenn dessen Geistlichkeit erkannt wird.↩︎
3 Siehe, was soeben über die Einleitung bei Röm 5,11 und über die vollere Entwicklung der Einteilung des Briefes im weiteren Verlauf gesagt wurde.↩︎
4 Herz und Gewissen werden beide erfasst. Das Gesetz kann auf die Schuld des Menschen hinweisen, und selbst, wenn es geistlich erkannt wird, kann es vom Zustand des Zusammenbruchs des Menschen vor Gott zum Gewissen reden; ein Bewusstsein von der Not beweist, dass auch das Herz in Bewegung gesetzt worden ist.↩︎
5 Da dies für uns ist, bringt uns dies in Verbindung mit einer Heiligkeit (wie es die Offenbarung der Gerechtigkeit weiter tut, aber auf eine offenere Weise), die eine Verbindung mit Gott, wie Er in Sich Selbst völlig geoffenbart ist, einschließt - nicht wie die Juden außerhalb des Vorhangs.↩︎
6 Es heißt nicht „durch Seine Totenauferstehung“, sondern abstrakt „durch Totenauferstehung“. Seine eigene war der große Beweis, aber auch die eines jeden Menschen ist ebenso ein Beweis.↩︎
7 Der Leser muss merken, dass es in den Versen 1 und 7 nicht heißt: „Berufen, um ein Apostel zu sein“, noch „berufen, um Heilige zu sein“, sondern berufener Apostel, berufene Heilige. Sie waren das Erklärte, und zwar durch die Berufung Gottes. Ein Jude war kein Heiliger durch Berufung; im Vergleich zu den Nationen war er heilig geboren. Diese waren die Berufenen Jesu Christi; sie waren aber nicht einfach berufen, um Heilige zu sein, sondern sie waren es durch Berufung.↩︎
8 Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ob der Brief an Philemon eine Ausnahme ist; er bestätigt aber diese Bemerkung, denn man wird sehen, dass die Versammlung in seinem Hause in diesen Wunsch eingeschlossen ist. Dies macht den Judasbrief noch bemerkenswerter. In Bezug aber auf Titus 1,4 kommt eine verschiedene Lesart in Frage.↩︎
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Aus "Betrachtungen über den Brief an die Römer" von JND
Behandelter Abschnitt Röm 1-2
Vorwort
Der Verfasser, von dem der „Botschafter“ in den früheren Jahrgängen manches köstliche Zeugnis in Übersetzung aus dem Englischen oder Französischen gebracht hat, schrieb diese Betrachtungen auf besonderen Wunsch in deutscher Sprache. Da er es nicht gewohnt war, sich in deutscher Sprache auszudrücken, war es nötig, seine Arbeit in sprachlicher Hinsicht etwas umzugestalten; aber seine Ausdrucksweise wurde möglichst beibehalten.
Es ist dem teuren Verfasser nicht vergönnt gewesen, diese Betrachtungen über den Römerbrief bis zum letzten Kapitel durchzuführen. Zunehmende Schwäche und endlich sein Heimgang am 29. April 1882 setzten seiner reich gesegneten Tätigkeit ein Ziel, so daß die Betrachtungen nur bis etwa zur Mitte des zehnten Kapitels gehen. Die eigentliche Lehre des Briefes aber ist darin vollständig und ausführlich dargelegt, und so möge dieses Zeugnis aus der letzten Zeit der rastlosen Wirksamkeit des treuen Dieners des Herrn reich gesegnet sein für alle, die es lesen!
Bei dieser Gelegenheit teilen wir noch in Übersetzung seinen letzten Brief mit, den er an seine „geliebten Brüder“ im allgemeinen gerichtet hat:
Meine geliebten Brüder!
Nachdem ich in Schwachheit Jahre der Gemeinschaft mit euch verlebt habe, habe ich nur noch so viel körperliche Kraft, um einige Zeilen zu schreiben, die mehr der Ausdruck der Liebe sein, als etwas anderes bezwecken sollen.
Ich gebe Zeugnis der Liebe, die ich genossen habe, nicht allein von seiten des allezeit treuen Herrn, sondern auch von seiten meiner geliebten Brüder, die sie in all ihrer Geduld gegen mich bewiesen haben (und wie viel mehr noch hat der Herr Geduld mit mir gehabt). Mit aufrichtigem Herzen bezeuge ich dies. Doch ich kann sagen: Christus ist mein einziger Gegenstand gewesen, und, Gott sei Dank! auch meine Gerechtigkeit. Ich bin mir nichts bewusst, das ich zu widerrufen hätte, ich weiß auch jetzt nur weniges noch hinzuzufügen.
Haltet fest an Ihm! Rechnet auf reiche Gnade in Ihm, die euch befähigt, Ihn darzustellen in der Kraft der Liebe des Vaters! Seid wachend und auf Christum wartend!
Ich habe nichts weiter hinzuzufügen als die Versicherung meiner ungeheuchelten und dankbaren Liebe in Ihm.
J. N. D.
Auch möchte es für viele von Interesse sein, aus einer seiner früheren Mitteilungen den Entwicklungsgang seiner inneren Überzeugungen kennenzulernen. Wir lassen die betreffende Mitteilung deshalb hier folgen: „Ich mochte etwa sechs oder acht Jahre bekehrt sein, als ich durch göttliche Belehrung verstehen lernte, was der Herr in Joh 14 sagt: ‘An jenem Tage werdet ihr erkennen . . . daß ihr in mir seid und ich in euch‘. Ich erkannte, daß ich eins war mit Christo vor Gott. Ich fand Frieden und habe den seit jenem Augenblick, trotz vieler Mängel meinerseits, nie verloren. Dieselbe Wahrheit brachte mich aus der Staatskirche heraus. Ich sah ein, daß die wahre Kirche aus denen besteht, die so mit Christo vereinigt sind, und ich kann hinzufügen, daß diese Wahrheit mich dahin leitete, den Sohn Gottes aus den Himmeln zu erwarten. Denn wenn ich in Ihm in die himmlischen Örter versetzt war, was hatte ich dann anders zu erwarten, als daß Er kam und mich in Wirklichkeit dorthin brachte. Die unendliche Liebe Gottes strömte in meine Seele. Von Anfang an hatte ich die tiefstmögliche Überzeugung von der Sünde; ich hatte schon früher erkannt und auch seit mehreren Jahren gelehrt, daß Christus allein diesen Abgrund ausfüllen könne, nicht aber, daß Er es bereits getan hat. Ich hatte die größten Anstrengungen gemacht, hatte gefastet – eine Sache, die, wie ich glaube, ganz nützlich ist, wenn sie in geistlicher Weise getan wird – hatte mir ein ausgedehntes System von Selbstverleugnung aufgebaut, hatte die Sakramente häufig gebraucht und eifrig die Kirche besucht. Aber ich hatte keinen Frieden gefunden, sondern nur die Entdeckung gemacht, daß alle diese Dinge dem Herzen keinen wahren Frieden zu geben vermögen. Ich suchte diesen Frieden eifrig, forschte in mir nach Beweisen der Wiedergeburt, was nie Frieden geben kann, und ruhte in Hoffnung, aber nicht im Glauben, in dem Werke Christi, bis ich, wie schon bemerkt, endlich Frieden fand, nachdem ich durch einen Zufall, wie man zu sagen pflegt, von meinen äußeren Anstrengungen abgelenkt worden war. Damals erlangte ich durch die Schrift eine tiefe Überzeugung von der Gegenwart des Heiligen Geistes, des verheißenen Sachwalters. Nicht lange nachher kam ich dahin, diese Wahrheit auf den Dienst anzuwenden. Ich sagte zu mir selbst: Wenn Paulus hierher käme, so würde er nicht predigen können, weil er keine Ordinations-Papiere besäße. Käme aber der bitterste Gegner seiner Lehre, der sich im Besitz solcher Papiere befände, so würde er, nach dem System, ein Recht haben zu predigen. Ich sah ein, daß das ganze System falsch ist. Es stellt den Menschen an die Stelle Gottes1.“
Möge die Saat, die der liebe Heimgegangene während seines langen, dem Herrn und Seinem Dienst gewidmeten Lebens durch sein unermüdliches Zeugnis von der göttlichen Wahrheit ausgestreut hat, reiche Früchte tragen zur Verherrlichung des Herrn und zum Heil der Seelen!
Einleitung
Im Brief an die Römer werden die Christen als auf der Erde wandelnde und lebende Menschen betrachtet, die jedoch das Leben Christi und den Heiligen Geist besitzen, so daß sie in Christo sind. Ihre Sünden sind vergeben; sie sind gerechtfertigt durch das Werk Christi. Ihre Pflicht ist: ihre Leiber als ein lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer darzustellen, indem sie verwandelt worden sind durch die Erneuerung ihres Sinnes, daß sie prüfen mögen, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist (Röm 12,1.2).
Der Brief beginnt mit der Verantwortlichkeit des Menschen, er beweist, daß alle schuldig sind durch das, was sie getan haben, und stellt dann den Erfolg des Todes Christi vor in der Vergebung der Sünden und der Rechtfertigung des Gläubigen. Hierauf betrachtet er den Zustand des Menschen, in dem er sich durch die Sünde Adams befindet, und zeigt, wie er von der Kraft der Sünde befreit wird.
Von dem Ratschluß Gottes ist in diesem Brief nicht die Rede, es sei denn in 3 oder 4 Versen (im achten Kapitel) und hier nur, um zu beweisen, daß das Werk Seiner Gnade unveränderlich und, wenn es einmal zugeeignet ist durch die Berufung der Gnade, es fest und sicher ist, und daß es fortgesetzt wird bis zur Herrlichkeit. Das Werk Christi ist vollbracht, und die, welche an Ihn glauben, werden Seinem Bilde gleichförmig sein. So steht alles sicher. Wenn wir das Leben Christi haben, so daß wir mit Ihm leiden, dann werden wir auch mit verherrlicht werden. Weiter ist in diesem Brief nichts über den Ratschluß Gottes enthalten. Wollen wir diesen kennen lernen, dann müssen wir uns zu dem Brief an die Epheser wenden, während uns der Brief an die Kolosser über das Leben eines im Glauben auferstandenen Menschen Aufschluss gibt. Im Brief an die Römer aber finden wir das Werk Gottes in Gnade zur Rechtfertigung der Gottlosen durch den Tod und die Auferstehung Christi, und ihre Annahme in Christo, indem die Gläubigen als in Ihm betrachtet werden.
Wie schon oben angedeutet ist, zerfällt die Lehre des Römerbriefes in zwei Teile. Der erste Teil bezieht sich auf die Sünden. Das Wegtun der Sünden und die Gnade Gottes, die sich darin entfaltet hat, bilden den Gegenstand der Betrachtung bis zum Ende des elften Verses des fünften Kapitels. Von da ab bis zum Ende des achten Kapitels wird der zweite Teil behandelt, nämlich die Sünde im Fleisch, unser Zustand, in dem wir uns durch die Sünde Adams befinden, sowie unsere Befreiung von diesem Zustand, und der neue Zustand in Christo. Als Anhang folgen dann drei Kapitel, um zu erklären, wie die Lehre von dem allgemeinen, sündhaften Zustand des Menschen und von der allgemeinen Versöhnung mit Gott durch den Glauben in Einklang gebracht werden kann mit den besonderen Verheißungen, die den Juden gegeben sind. Den Schluss bilden Ermahnungen und die Wiederholung von gewissen wichtigen Grundsätzen. Die Auseinandersetzung der Lehre von der Versöhnung des Menschen mit Gott durch den Glauben im ersten Teil des Briefes wird eingeleitet durch eine Vorrede, in der das Evangelium auf die Person Christi gegründet und als die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes dargestellt wird.
So sehen wir denn in diesem Brief, wie Gott uns mit vollkommener Gnade entgegengekommen ist, als wir nach unserer menschlichen Verantwortlichkeit und nach der Gerechtigkeit Gottes ganz verloren waren; wie Er aus lauter Gnade uns Errettung und ewiges Leben bereitet hat, als wir von Ihm entfernt waren durch die Sünde, ja, als wir dem Fleische nach in Feindschaft gegen Ihn waren.
Bevor wir indessen zur näheren Betrachtung der Lehre des Briefes, der Ordnung und des Inhalts der verschiedenen Teile übergehen, müssen wir noch einige Worte über die Person des Apostels sagen. Er war nie in Rom gewesen, war aber, mit göttlicher Autorität bekleidet, Apostel aller Nationen. Daher konnte er an die Römer schreiben, obgleich er nicht das Mittel zu ihrer Bekehrung gewesen war. Einige kannte er wohl, da sich in Rom, als dem Mittelpunkt der Welt, Personen aus allen Ländern zusammenfanden. Dies aber gibt dem Brief einen ganz besonderen Charakter, verschieden von dem Charakter der meisten anderen Briefe. Es ist mehr ein Traktat, als ein von dem Apostel an eine von ihm selbst gegründete Versammlung gerichteter Brief. Die persönlichen Verhältnisse fehlen darin, um der bestimmten Lehre Platz zu lassen. Am Ende des Briefes grüßt Paulus wohl viele Bekannte, und im Briefanfang sucht er mit den Christen in Rom eine Herzensverbindung zu schließen; indessen ist sein Apostelamt vor allem die Grundlage seiner Mitteilungen an die Gläubigen in Rom. Kein Apostel hat die Versammlung in Rom gegründet. Paulus war noch nicht dort gewesen, und wenn Petrus später hingekommen ist, um sein Leben aufzuopfern als Zeuge für den Herrn, so hatte er doch bis dahin mit Rom nichts zu tun gehabt, er war der Apostel der Beschneidung.
Kapitel 1+2
Paulus beginnt den Brief mit einem Hinweis auf sein Amt. Er war Knecht Jesu Christi, berufener Apostel, abgesondert zum Evangelium Gottes. Das ist, sozusagen, sein Titel. Er diente dem Herrn, war dazu berufen und abgesondert, und zwar in ganz besonderer Weise. Er hatte nicht zu den Begleitern des Herrn auf der Erde gehört; er kannte Ihn nicht. Im Gegenteil war er der heftigste Feind des Namens Jesu auf der Erde gewesen. Er wollte diese neue Lehre (den Glauben an Jesum) aus der Mitte Israels ausrotten und alle ihre Anhänger strafen. Dazu wurde ihm aber vom Herrn, der sich ihm in Herrlichkeit offenbarte, der Weg versperrt, und nun wurde diese Herrlichkeit selbst der Ausgangspunkt seiner Tätigkeit. Sie war der glänzendste Beweis, daß das Werk der Versöhnung vollbracht war, da Der, Der für die Sünden gelitten hatte, Sich jetzt in der Herrlichkeit befand; und nicht allein das, sondern die verfolgten Christen wurden von dem Herrn anerkannt, nicht als Jünger, sondern als vereinigt mit Ihm, dem verherrlichten Menschen, dem Sohn Gottes im Himmel. So wurde Paulus in ganz besonderer Weise berufen. Aber er war auch in besonderer Weise abgesondert. Die Offenbarung des Herrn in Herrlichkeit sonderte ihn zunächst von dem Judentum ab; doch nicht, um jetzt zum Heidentum überzugehen, sondern er wurde, indem er den Christus in der göttlichen Herrlichkeit als Herrn anerkannte (Apg 26,17), „herausgenommen aus dem Volke und den Nationen“, und er wurde von dem verherrlichten Menschen, dem Herrn der Herrlichkeit, in die Welt gesandt, um die vollbrachte Erlösung zu verkündigen und alle, die an Ihn glauben, von der Sünde zu befreien und die Juden vom Joch des Gesetzes. Daher kannte er von nun an niemanden mehr nach dem Fleische, selbst den Herrn Jesum nicht – d. h. nicht wie die fleischlichen Juden Ihn hier in der Welt haben wollten: als Sohn Davids – obgleich er völlig anerkannte, daß Er als solcher gekommen war und daß Er ein vollkommenes Anrecht auf diesen Titel hatte. Aber der Herr ist als Sohn Davids verworfen worden, und jetzt sollte alles lauter Gnade werden, sowohl für die Juden als auch für die Heiden, da die Juden jedes Anrecht an die Verheißungen verloren hatten durch die Verwerfung Dessen, in Dem sie ihre Erfüllung finden sollten. Sicher wird Gott Seine Verheißungen wahr machen, doch jetzt ist alles aus lauter Gnade, und zwar durch den Auferstandenen, den Paulus in Herrlichkeit gesehen hatte. Diesen Punkt finden wir in den späteren Kapiteln des Briefes klar auseinandergelegt.
Zum besseren Verständnis des Briefes mag es gut sein zu bemerken, daß Paulus, obgleich die Verherrlichung des Herrn Jesus der Ausgangspunkt und die Grundlage seines Dienstes war, doch in der Lehre dieses Briefes nicht weiter geht als bis zur Auferstehung des Herrn. Wohl ist die Stellung des Herrn in der Herrlichkeit vorausgesetzt, und in den wenigen Versen, in denen die Reihenfolge des Ratschlusses Gottes vorgestellt wird, fehlt auch die Herrlichkeit der Kinder Gottes nicht; es ist ein Teil dieses Ratschlusses, daß die Auserwählten dem Bilde Seines Sohnes gleichförmig sein sollen. Wenn der Apostel aber von der Grundlage des Heils spricht, wie man gerechtfertigt und errettet wird, so geht er nicht weiter als bis zur Auferstehung des Herrn. Denn das, was Christus für uns erworben hat, ist etwas anderes als die Antwort auf die Frage: wie kann ein Sünder von Gott angenommen werden, und wie tritt er ein in den Zustand eines Erben Gottes? Im Römerbrief haben wir eben diesen Zustand des Erben, als in Christo fähig gemacht, vor Gott zu stehen und mit Christo als Mensch zu erben, der Gerechtigkeit nach, als neuer, lebendiger, von Gott angenommener Mensch. Die Herrlichkeit und die Erbschaft selbst aber werden bloß kurz erwähnt. Sobald Christus als gestorbener Mensch auferstand, war der Mensch in einen ganz neuen Zustand gebracht: lebendig gemacht nach der Kraft des Geistes und der Auferstehung. Das Werk, durch das die Sünde beseitigt wurde, war vollbracht, unsere Sünden waren getragen und getilgt durch den Tod, Gott war da verherrlicht, wo die Sünde war; die Kraft dessen, der die Macht des Todes hatte, war, wie der Tod selbst, zunichte gemacht. Ein neuer, unsterblicher Mensch war vorhanden. Ich spreche hier nicht von der Person Christi, von dem, was Er Seiner Natur nach war, sondern von der neuen Stellung der Menschen, in welche sie durch die Auferstehung des Menschen Jesus Christus gebracht sind: von dem Menschen in seinem neuen Zustande nach den Ratschlüssen Gottes. Wir sehen darin den Beweis, daß das vollbrachte Werk Christi angenommen ist nach der Gerechtigkeit Gottes, sowie das Muster, wenn auch noch nicht der Herrlichkeit, so doch des Grundzustandes aller Gläubigen in Christo. Sie befinden sich, sozusagen, jenseits des Todes, der Kraft Satans, der Sünde, des Gerichts Gottes, weil Gott in Christo völlig verherrlicht worden ist; sie stehen in der Gunst Gottes nach der Gerechtigkeit. Das ist die Tragweite der Auferstehung Christi, als Grundlehre dieses Briefes, indem Sein Tod als Grundlage Seiner Auferstehung und dessen Wertes dargestellt wird: „Christus, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt ist“.
So wurde Paulus berufen und abgesondert von allen Menschen, um die frohe Botschaft Gottes, die Botschaft von diesem Werke Seiner Liebe zu verkündigen. Dieses Evangelium war schon in den Weissagungen der Propheten in den Heiligen Schriften verheißen worden. Jetzt aber war die Verkündigung keine Verheißung mehr. Wohl besitzen wir köstliche Verheißungen für den Weg, den wir durch diese Welt zu gehen haben; das Evangelium selbst aber ist keine Verheißung. Vielmehr ist es die Erfüllung der Verheißungen Gottes, soweit sie sich auf die Menschwerdung des Herrn, die Vollbringung Seines Werkes, Seine Auferstehung (1Pet 1,11.12) und (obgleich dieser Gegenstand nicht im Römerbrief betrachtet wird) auf Seine Verherrlichung beziehen. Es ist hier zu beachten, daß die „Heiligen Schriften“ die Verheißungen Gottes sind, und die Propheten, durch die sie gegeben wurden, die Propheten Gottes.
Worin besteht nun diese frohe Botschaft? Sie bezieht sich auf den Sohn Gottes, auf Jesum Christum, unseren Herrn. Die Person Christi ist der Hauptgegenstand des Evangeliums; es verkündigt, daß Er in die Welt gekommen ist. Doch haben wir hier zweierlei. Erstens, die Verheißungen sind erfüllt, indem Er Sohn Davids ist dem Fleische nach; zweitens, Er wurde als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Toten-Auferstehung. Das sind die zwei großen vollendeten Tatsachen, die für den Menschen den Wert des Kommens des Herrn in diese Welt ausmachen. Die Verheißungen sind erfüllt worden: der Sohn Davids war da. Die Juden wollten Ihn nicht annehmen und haben dadurch den Erfolg der Verheißungen verloren; die Verheißungen selbst aber sind erfüllt worden, insofern der Herr gekommen ist. Dann aber ist die Kraft Gottes geoffenbart worden, indem der Herr, nachdem Er Sich dem Tode unterworfen hatte, durch Auferstehung als Sohn Gottes erwiesen worden ist. Obwohl in Seiner Auferstehung der stärkste Beweis von der Kraft Gottes gegeben worden ist, sehen wir doch schon in der Auferstehung des Lazarus einen Beweis dieser göttlichen Kraft, sowie auch später in der Auferstehung aller Heiligen. „Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern um der Herrlichkeit Gottes willen, auf daß der Sohn Gottes durch sie verherrlicht werde“ (Joh 12,4). Er war und ist die Auferstehung und das Leben. Die Auferstehungskraft ist der Beweis, daß Er Sohn Gottes ist. Dies ist nicht eine Erfüllung der Verheißungen, sondern die Kraft Gottes, da, wo der Tod als Folge der Sünde eingetreten war.
Hinsichtlich des Ausdrucks „dem Geiste der Heiligkeit nach“ bemerke ich, daß der Heilige Geist sozusagen die wirkende Kraft ist in der Auferstehung, wie in allem, was von Gott erschaffen oder getan ist. So sagt Petrus in Bezug auf die Auferstehung des Herrn: „getötet nach dem Fleische, aber lebendig gemacht nach dem Geiste“ (1Pet 3,18); und von den Gläubigen wird gesagt: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesum aus den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christum aus den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes“ (Röm 8,11). Warum aber heißt es: „dem Geiste der Heiligkeit nach“? Weil der Heilige Geist gleichsam die wirkende Kraft Gottes ist, um alles Ihm Wohlgefällige in der Menschheit hervorzubringen. Diese Kraft ist natürlich immer in Gott; durch sie hat Er die Welt erschaffen, durch sie hat er in den Werkzeugen des Alten Testaments und in den Propheten gewirkt. Jetzt aber war Er in der Menschheit (dem Leben) Christi und in der Hervorbringung der neuen Gestalt der Menschheit wirksam gewesen nach dieser göttlichen Kraft. Die Propheten redeten, was ihnen gegeben war, und damit war die göttliche Eingebung zu Ende; auch war das, was sie redeten, nicht für sie. Johannes der Täufer war erfüllt mit dem Heiligen Geiste von Mutterleibe an. Aber Christus war, Seiner Menschheit nach, vom Heiligen Geiste geboren; Sein Leben, obgleich in allen Stücken menschlich, war der Ausdruck der Kraft des Heiligen Geistes. Er trieb die Dämonen aus durch den Heiligen Geist, Seine Worte waren Geist und Leben. Die Fülle der Gottheit wohnte in Ihm leibhaftig. Seine Menschheit aber war der Ausdruck des Göttlichen durch den Heiligen Geist, in Liebe, in Kraft und besonders in Heiligkeit. Er war der Heilige Gottes. Durch den ewigen Geist hat Er Sich ohne Flecken Gott geopfert. In allem diente Er Seinem Vater; Sein Dienst aber war die vollkommene Darstellung des Göttlichen, des Vaters Selbst, inmitten der Menschen, und zwar indem Er, Seiner Menschheit nach, in jedem Augenblick, durch den Geist, der Gottheit entsprach und ihr Abglanz und Ausdruck war, ohne Fehler und ohne Makel. Alle Opfer im Alten Testament sind Vorbilder von Christo; aber in dieser Beziehung ist das Speisopfer das entsprechende, treffende Vorbild: ungesäuertes Semmelmehl, mit Öl vermengt, mit Öl gesalbt, in Stücke zerteilt und Öl darauf gegossen. Welch ein treffendes Vorbild von der Menschheit Christi, die ihrer Beschaffenheit nach vom Geiste und mit dem Geiste gesalbt war, von der jedes Stück charakterisiert war durch den ausgegossenen Geist und in welcher der ganze Weihrauch Seiner Gnaden Gott geopfert war, als ein duftender Wohlgeruch! So sollte Er durch das Feuer geprüft werden, im Tode, um zu beweisen, daß alles lieblicher Geruch war und nichts anderes. Endlich erwies sich die größte und vollendete Kraft des Heiligen Geistes in der Auferstehung des Herrn. Getötet nach dem Fleische, ist Er durch den Geist auferweckt worden. Der Geist, der in göttlicher Kraft in Seiner Geburt und in Seinem ganzen Leben wirksam war, durch den Er Sich am Ende Selbst Gott opferte, hat Seine ganze Kraft erwiesen im Lebendigmachen des gestorbenen Jesus. Wohl ist es wahr, daß Er auferstanden ist aus den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters; auch, daß Er Seinen Leib, den Tempel Gottes, Selbst aufgerichtet hat (Joh 2,19); der Heilige Geist aber ist es, der unmittelbar wirksam gewesen ist in Seiner Auferstehung (1Pet 3,18). Auch der Leib des Auferstandenen ist ein geistiger Leib.
So war der Mensch durch die Auferstehung, in der Person Christi, in einen ganz neuen Zustand gebracht: jenseits des Todes, der Sünde, des Gerichts und der Kraft Satans, und so war Christus als Sohn Gottes erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Auferstehung. Dieser Geist war die Kraft der Heiligkeit Sein Leben lang (denn „durch den ewigen Geist hat er sich selbst ohne Flecken Gott geopfert“), und diesem Geiste nach ist Er als Sohn Gottes erwiesen und durch Ihn Selbst auf Erden gerechtfertigt worden. Als alles vollbracht war für die Herrlichkeit Gottes durch einen Menschen, der Gottes Sohn war, und dieser als Mensch Seinen vollkommenen Gehorsam und Seine Liebe zu Seinem Vater an den Tag gelegt hatte, ist der Mensch nach dem Wert dieses vollbrachten Werkes und nach der lebendig machenden Kraft des Heiligen Geistes in eine ganz neue Stellung eingetreten, in der Person des Sohnes Gottes, so daß wir durch den Glauben angenommen und Söhne sind. Christus, der als Sohn Davids die Erfüllung der alten Verheißungen war, aber auf Erden verworfen wurde, trat, nachdem Er das Ihm vom Vater anvertraute Werk vollendet hatte, jenseits des Todes, den Er als die Frucht der Sünde erduldete, als Auferstandener in die Stellung des zweiten Menschen, des letzten Adam ein.
So finden wir hier in der Person Christi die zwei Hauptpunkte der Wege Gottes dargestellt: die Erfüllung der Verheißung (obgleich die Juden durch Seine Verwerfung jedes Anrecht daran verloren haben) und die Offenbarung des Sohnes Gottes, als solcher erwiesen nach der lebendig machenden Kraft des Heiligen Geistes in einem auferstandenen Menschen. Die Kraft Gottes ist also erwiesen, nicht in der Erfüllung einer Verheißung, sondern in dem gegenwärtigen Leben und der Stellung des zweiten Menschen, in Verbindung mit einer vollbrachten Erlösung. Hier aber ist die göttliche Macht des Lebens und die durch die Auferstehung hervorgebrachte neue Stellung besonders in Verbindung gebracht mit dem Verhältnis des in diese Stellung versetzten Menschen zu Gott, jedoch in der Person des Herrn Selbst, in Macht.
Wie köstlich ist der Gedanke, daß der ewige Sohn Gottes, Mensch geworden, diese neue Stellung, von der wir gesprochen haben, eingenommen hat, und zwar als Muster und Erstgeborener unter vielen Brüdern, die Ihm völlig gleich sein werden, nach der Lebenskraft des Heiligen Geistes und in der Herrlichkeit selbst! „Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen“ (Heb 2,11). Von der Herrlichkeit ist hier wohl nicht die Rede, aber der Herr konnte nach Seiner Auferstehung, als alles vollbracht war, (vorher nicht) sagen: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott“ (Joh 20,17).
Der Gegenstand des Evangeliums, wozu Paulus abgesondert war, ist also Jesus Christus, unser Herr, als Sohn Davids zur Erfüllung der Verheißungen, und als Sohn Gottes in Kraft erwiesen dem Geiste der Heiligkeit nach durch Totenauferstehung. Wohl redet der Apostel in diesem Brief von der Gerechtigkeit und setzt alles klar und völlig auseinander; der hauptsächliche Gegenstand aber, den er vor seinen Augen hat, ist die Person Christi Selbst und was Er ist, als Erfüllung der Verheißungen und als Gottes Sohn in Kraft und in Auferstehung, das, was der Heilige Geist darstellt als den Gegenstand Gottes selbst im Evangelium. Von Ihm, als dem schon Verherrlichten, hatte Paulus Gnade und Apostelamt empfangen, um einen jeden unter allen Nationen zum Glaubensgehorsam zu bringen in Seinem Namen. Unter diesen befanden sich auch die Römer. Er schreibt ihnen nicht als Versammlung, wie er es gewöhnlich tat, wenn er an eine von ihm gegründete Versammlung schrieb, sondern er richtet seinen Brief an alle Geliebten Gottes, berufenen Heiligen, die in Rom sind. Als Apostel der Nationen kann er allen schreiben mit der Autorität Christi.
Er wünscht in seinen Briefen immer Gnade und Friede von dem Vater und von dem Herrn Jesu Christo. Wir beachten diese Namen oft zu wenig. In dem einen finden wir Gott Selbst als Vater, gekannt als solcher in Gnade; in dem anderen den verherrlichten Menschen, den Sohn Gottes, Der eingesetzt ist (und zwar amtlich) in den Vorsitz des Hauses und Volkes Gottes. Mit dem einen stehen die Kinder in Verbindung, mit dem anderen die Diener.
Der Apostel hätte die Christen in Rom gern früher gesehen, war daran aber von Satan verhindert worden; denn das Werk des Herrn wird immer betrieben in Gegenwart des Feindes, der seinen Fortschritt zu hemmen sucht, sei es durch Verfolgungen, oder dadurch, daß er in den Versammlungen Übel erweckt, mit denen der Arbeiter sich beschäftigen muß, sei es durch Ketzereien, die die Zeit des Arbeiters in Anspruch nehmen, oder sei es durch allerlei andere Listen. Es ist wichtig für den Arbeiter, dies zu beachten; er lernt dadurch seine Abhängigkeit kennen und verstehen, daß die Kraft und Wirksamkeit des Herrn durchaus notwendig sind. Deshalb flehte Paulus allezeit in seinen Gebeten, indem er Gott dankte für den Glauben der Römer, von dem in der ganzen Welt gesprochen wurde, daß Gott ihm einen Weg zu ihnen öffnen möchte. Er verlangte, zu ihnen zu kommen, um ihnen zu ihrer Befestigung etwas geistliche Gabe mitzuteilen, zugleich aber nimmt er in Liebe seinen Platz unter ihnen, indem er sagt: „das ist aber, mit euch getröstet zu werden in eurer Mitte, ein jeder durch den Glauben, der in dem anderen ist, sowohl euren als meinen“. Er war Apostel und sollte in Liebe handeln; so ließ er sich denn als Apostel herab zu den Schwächsten, um sie zu dem göttlichen Vertrauen emporzuheben. Oft hatte er vorgehabt, zu ihnen zu kommen, um auch unter ihnen einige Frucht zu haben. Er war schuldig, die Gnade Gottes allen Nationen zu bringen; ebenso war er bereitwillig, so weit es von ihm abhing, auch denen, die in Rom waren, das Evangelium zu predigen. Wie oft ist er besorgt, sich passend auszudrücken! Griechen konnte er sie nicht nennen, Barbaren auch nicht wohl, denn das würde für die Bewohner des kaiserlichen Rom eine Beleidigung gewesen sein. So denkt er an alles, um allen nützlich zu sein.
Dies führt den Apostel zu der Lehre des Briefes. Er war bereit, denen in Rom zu predigen, weil er sich des Evangeliums nicht schämte, „denn“, sagt er, „es ist Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden“. Kraft der Menschen ist es nicht, dies erklärt er nachher noch deutlicher und ausführlicher, selbst nicht zur Erwerbung der menschlichen Gerechtigkeit. Es ist ein dem Menschen gebrachtes Heil, ein heiliges, ein gerechtes Heil, aber ein Heil von Gott, durch Gottes Kraft, und zwar deshalb, weil die Gerechtigkeit Gottes darin geoffenbart ist, im Gegensatz zu der menschlichen Gerechtigkeit. Es ist die Gerechtigkeit Gottes Selbst, deren wir teilhaftig werden durch den Glauben: Seine Gerechtigkeit auf dem Grundsatz des Glaubens. Alles ist da schon vollkommen, ehe wir noch daran glauben; wir bekommen durch den Glauben Teil daran. Diese Gerechtigkeit ist nicht durch Menschenwerke, nicht durch das Gesetz, denn sonst wäre sie nur für die Juden, weil diese allein das Gesetz hatten. Sie ist vielmehr gültig für alle Menschen, weil sie durch den Glauben ist, und so haben auch die Nationen, wenn sie glauben, Teil daran.
Es wird vielleicht von Nutzen sein, einige Worte über die Bedeutung des Ausdrucks: „Gerechtigkeit Gottes“ zu sagen. Obwohl er ganz einfach ist, herrscht doch über ihn viel Missverständnis. In der lutherischen Übersetzung ist stattdessen gesagt: „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“. Nun ist aber die menschliche Gerechtigkeit nach dem Gesetz gültig vor Gott. Er findet eine solche zwar nirgends, aber sie „gilt“ vor Gott. Sie ist jedoch nicht die Gerechtigkeit Gottes, wenn sie auch noch so vollkommen wäre. In Joh 16,10 sehen wir, worin die Gerechtigkeit Gottes sich erwiesen hat, nämlich darin, daß Gott Christum zu Seiner Rechten gesetzt hat, in Seine eigene Herrlichkeit, weil Christus Ihn vollkommen verherrlicht hat. Darin besteht die Gerechtigkeit, daß der Vater den Menschen Christus in Seine eigene Herrlichkeit erhoben hat, in die Herrlichkeit, die Er bei Ihm hatte, ehe die Welt war. Und Gott, als gerechter Gott, hat Ihn verherrlicht, weil Er in Christo auf dem Kreuze verherrlicht worden ist (Joh 17,5; 13,31.32 ). In der oben angeführten Stelle (Joh 16,10) sagt der Herr: Der Geist wird „die Welt überführen von Gerechtigkeit, weil ich zu meinem Vater gehe und ihr mich nicht mehr sehet“. Die Welt hat Ihn, als gekommen in Gnade, für immer verloren, indem sie Ihn verworfen hat; aber Gott hat Ihn aufgenommen und verherrlicht. Wenn der Herr in Joh 17,25 von der Welt redet, so sagt Er: „Gerechter Vater“, in seiner Fürbitte für die Seinen (V. 11) dagegen: „Heiliger Vater“. So liegt also der Beweis von der Gerechtigkeit Gottes darin, daß Er Christum verherrlicht hat. Als Gott in Christo in der Welt war, musste die Welt Ihn annehmen oder verwerfen. Sie hat Ihn verworfen und ist dadurch gerichtet; sie wird Ihn auch nicht mehr sehen, bis Er kommt in Gericht. Christus aber hat als Mensch Gott vollkommen verherrlicht in allem, was Er ist, und Gott hat Ihn nach Seiner Gerechtigkeit verherrlicht. Das Evangelium nun verkündigt diese Gerechtigkeit Gottes, nämlich daß Christus in dem, was Er für uns getan hat, Gott verherrlicht hat und daher als Mensch verherrlicht ist und, mit göttlicher Herrlichkeit bekleidet, zur Rechten Gottes sitzt, und ferner, daß unsere Stellung vor Gott die Folge ist von dem, was Christus getan hat. Unsere Rechtfertigung und Verherrlichung ist ein Teil der Gerechtigkeit Gottes, weil das, was Christus getan hat, um Gott zu verherrlichen, für uns getan worden ist. Wir sind die Gerechtigkeit Gottes in Ihm (2Kor 5,21). Christus würde die Frucht Seines Werkes verlieren, wenn wir nicht bei Ihm in der Herrlichkeit sein würden, als die Frucht der Mühsal Seiner Seele, nachdem Er alles, was in Gott ist, verherrlicht hat, obwohl wir in uns selbst durchaus unwürdig sind.
Der Apostel erklärt dann, warum eine solche Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit Gottes Selbst, nötig war, wenn ein Mensch errettet werden sollte. Menschliche Gerechtigkeit war auf der Erde nicht zu finden, und doch war Gerechtigkeit nötig. Da es nun aber Gottes Gerechtigkeit ist, und zwar nicht durch unsere Werke, so muß sie uns durch den Glauben zugerechnet werden, auf dem Grundsatz des Glaubens; denn wenn die Werke des Menschen etwas dazu beitrügen, so wäre es nicht Gottes Gerechtigkeit. Wenn aber der Mensch durch den Glauben dieser Gerechtigkeit teilhaftig wird, so hatten die Gläubigen aus den Nationen ebenfalls Anteil daran, wie auch die Juden.
So sehen wir denn als zweiten Hauptgegenstand des Briefes, nachdem der erste, die Person Christi, in den Vordergrund gestellt ist, die Gerechtigkeit Gottes, dargestellt auf dem Grundsatz des Glaubens, so daß sie für alle ist und durch den Glauben angenommen und also der Seele zugeeignet wird. Was diese Gerechtigkeit nötig machte, ist die allgemeine Sündhaftigkeit des Menschen, indem der Zorn Gottes geoffenbart worden ist über alle Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die Wahrheit in Ungerechtigkeit besitzen. Hinsichtlich der Heiden gibt der Apostel zwei Beweggründe des Zornes an: 1) das Zeugnis der Schöpfung (V. 19. 20) und 2) daß sie Gott nicht in Erkenntnis festhalten wollten, als sie Ihn kannten, sondern die Abgötterei vorzogen (V. 21–24). Die unsichtbaren Dinge von Ihm werden geschaut, nämlich Seine ewige Kraft und Göttlichkeit, von der Schöpfung der Welt an in dem Gemachten wahrgenommen, so daß das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar ist – also daß sie keine Entschuldigung haben. Das will nicht sagen, daß sie Gott Seiner Natur nach kennen, sondern daß sie Ihn als Schöpfer hätten kennen sollen. Wenn man nicht blind ist, sieht man einen Schöpfer in der Schöpfung.
Aber Gott hatte sich nicht allein als Schöpfer geoffenbart. Noah kannte Ihn nicht nur als solchen, sondern auch als einen Gott, mit Dem der Mensch als ein verantwortliches Wesen es zu tun hatte, als einen Gott, der die Welt für ihre Bosheit gerichtet hatte, der Acht gab auf das Tun der Menschen, und der die Ungerechtigkeit und Gewalttat nicht wollte. Beim Turmbau zu Babel hatten sie Ihn als einen Gott kennen gelernt, Der sie zerstreut hatte, weil sie in ihrer eigenen Weisheit unabhängig und in ihrer eigenen Kraft mächtig werden wollten. Als einen solchen Gott aber wollten die Heiden Ihn nicht in Erkenntnis haben oder Ihn anerkennen; sie machten sich selbst Götter, so wie der Mensch sie machen konnte: Götter, die ihre Leidenschaften begünstigten. Und statt den wahrhaftigen Gott zu verherrlichen oder Ihm dankbar zu sein, verfielen sie in die Finsternis ihrer eigenen Herzen; „indem sie sich für Weise ausgaben, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes von einem verweslichen Menschen und von Vögeln und vierfüßigen und kriechenden Tieren“. Und weil sie die Herrlichkeit Gottes nicht aufrechterhalten wollten, sondern sie nach ihren Gelüsten aufgaben, hat Gott sie diesen Gelüsten preisgegeben; Er hat sie dahingegeben zu schändlichen Leidenschaften, worin sie das, was der Ehrbarkeit der Menschheit geziemte, verlassen haben. Und nicht nur haben sie, erfüllt mit aller Gottlosigkeit und geleitet durch ihre Leidenschaften, selbst solches getan, sondern haben auch in kalter Bosheit ihr Wohlgefallen an denen gefunden, die es taten. Wohl gab es einige, die diese schändlichen Wege richteten (Kap. 2,1); sie taten aber dasselbe und deshalb verurteilten sie sich selbst und fielen dem gerechten Gericht Gottes anheim, indem sie auch den Reichtum Seiner Güte und Geduld verachteten und nicht wahrnahmen, daß diese Güte sie zur Buße leitete. Anstatt dieser Leitung zu folgen, häuften sie sich selbst mit störrigem und unbußfertigem Herzen Zorn auf am Tage des Zorns.
Der Apostel kommt jetzt zu einem wichtigen Grundsatz, der zwar einfach ist, aber ein helles Licht über die ganze Sache verbreitet: nachdem Gott jetzt geoffenbart ist, handelt Er nach dem Tun der Menschen. Am Tage des Gerichts wird Er jedem nach seinen Werken vergelten, sei er Jude oder Grieche; denn es ist kein Ansehen der Person bei Gott. Wohl hat Er, zur Prüfung des Menschen und zur Erhaltung der Wahrheit, daß nur ein Gott ist, sich ein Volk auserwählt und nahe an Sich gebracht; aber im Grunde gab es keinen Unterschied unter den Menschen. Alle waren ihrer Natur nach Sünder, und alle hatten gesündigt. Wir sehen auch, daß Gott Seinem Volke gegenüber, obgleich Er ihm ein Gesetz gegeben hatte, immer hinter dem Vorhang blieb, ohne Sich zu offenbaren. Jetzt aber ist der Vorhang zerrissen, und der Mensch, zuerst der Jude und dann der Grieche, muß vor Ihm offenbar werden, ein jeder nach dem, was er in seinem Wandel und was er in Wirklichkeit seinem moralischen Zustand gemäß ist; und hierbei kommt es nicht in Betracht, ob er seiner Stellung nach Jude oder Grieche ist. Gott berücksichtigt, Seiner Gerechtigkeit nach, nur das Licht, das einer besitzt. Wenn der Apostel von denen spricht, die Herrlichkeit und Ehre und Unverweslichkeit suchen, so setzt er dabei das Christentum voraus; denn die Kenntnis jener Dinge hängt von einer Offenbarung ab. Die also dies mit Ausharren in guten Werken suchen, denen wird Gott ewiges Leben vergelten, ohne einen Unterschied zwischen Juden und Griechen zu machen. Gott will die Wirklichkeit des göttlichen Lebens, nicht die Form einer Einrichtung. Die, welche der Wahrheit ungehorsam, der Ungerechtigkeit aber gehorsam sind, haben Grimm und Zorn zu erwarten. „Drangsal und Angst über jede Seele eines
Menschen, der das Böse vollbringt, sowohl des Juden zuerst als auch des Griechen; Herrlichkeit aber und Ehre und Frieden jedem, der das Gute wirkt, sowohl dem Juden zuerst als auch dem Griechen“. Alle werden gerichtet werden, ein jeder nach seinen Werken, ohne Ansehen der Person, jeder aber nach dem Licht, das er besessen hat. „So viele ohne Gesetz gesündigt haben, werden auch ohne Gesetz verloren gehen; und so viele unter Gesetz gesündigt haben, werden durch Gesetz gerichtet werden . . . an dem Tage, da Gott das Verborgene der Menschen richten wird . . . durch Jesum Christum“. Denn nicht die Hörer des Gesetzes, sondern die Täter des Gesetzes werden gerechtfertigt. Wenn einer aus den Nationen das tut, was das Gesetz fordert, so wird er angenommen und hat den Vorzug vor dem, der das Gesetz besitzt und es nicht beobachtet. Es handelt sich, wie gesagt, nachdem Gott geoffenbart ist, nicht mehr um äußere Verhältnisse, nach welchen die einen „nahe“, die anderen „ferne“ sind, sondern um das, was gerecht ist in den Augen Gottes. In Wirklichkeit tat einer aus den Nationen, der nach dem Geist wandelte in der Liebe, das was das Gesetz forderte; während der Jude, der das Gesetz hatte und in der Sünde wandelte, nicht von Gott angenommen werden konnte. Es handelt sich jetzt nicht mehr um äußere Verhältnisse zu Gott, um Seine Verwaltung der Welt und die Regierung Gottes auf der Erde, sondern um den Zustand der Seele vor Gott und um den Tag des Gerichts, wo das Verborgene des Herzens ans Licht gebracht und der Mensch nach seinen Werken gerichtet werden wird.
Nachdem der Apostel diese großen und wichtigen Grundsätze klar hingestellt hat, geht er dazu über, den wirklichen Zustand der Juden zu beschreiben, wie er dies im ersten Kapitel in Bezug auf die Nationen getan hat. Die Juden rühmten sich des Gesetzes und der Vorrechte, die sie besaßen; sie kannten den Willen Gottes und waren fähig, die Unwissenden zu belehren, ja sie rühmten sich sogar Gottes. Aber belehrten sie sich auch selbst? Im Gegenteil, sie taten alles, was sie andere mit Weisheit lehrten, nicht zu tun. Sie entehrten Gott, weil sie Seinen Namen trugen. Durch sie wurde der eine wahre Gott unter den Heiden gelästert, wie geschrieben stand. Sie besaßen Vorrechte; wenn aber das Gesetz, mit dem diese Vorrechte verbunden waren, gebrochen wurde, dann wurde ihre Beschneidung zur Vorhaut. Und die Nationen, wenn sie das Gesetz beobachteten, verurteilten die, welche, Buchstaben und Beschneidung besitzend, das Gesetz übertraten. Denn nicht der war ein wahrhaftiger Jude, der es äußerlich war, sondern der, dessen Herz beschnitten, der ein Jude war im Herzen und im Geiste, nicht im Buchstaben, dessen Lob nicht von Menschen, sondern von Gott ist.
Collected writings of J. N. Darby, B. 1. S. 55, 56.