Behandelter Abschnitt Sprüche 1,1 - 7,28
Einleitung
Das Buch der Sprüche schildert uns die Anwendung jener Weisheit, die einst Himmel und Erde erschuf, auf die Einzelheiten des täglichen Lebens in einer Welt der Verwirrung und des Bösen. Diese Erwägung lenkt sofort unseren Blick auf die unermeßliche Größe der hier entfalteten Gnade. Gott lässt sich herab Seine Weisheit auf die Umstände unseres praktischen Lebens anzuwenden und uns nach seiner vollkommenen Einsicht die Folgen all der Wege zu zeigen, auf denen der Mensch wandeln mag. Denn die in diesem Buch niedergelegten Aussprüche werden oft in einer Weise gegeben, dass sie mehr Erkenntnis und Willen als Vorschriften darstellen. Es ist ein großer Segen, in dem Labyrinth dieser Welt, wo ein verkehrter Schritt so bittere Folgen nach sich ziehen kann, ein Buch zu besitzen, das den Pfad der Klugheit und des Lebens anzeigt und das dies tut in Verbindung mit einer von Gott kommenden Weisheit.
Beachten wir also von vornherein, dass das Buch der Sprüche von dieser Welt handelt und zugleich von der Regierung Gottes, nach der der Mensch erntet was er gesät hat. Dieser Grundsatz bleibt immer wahr, mag auch eine unumschränkte Gnade uns Dinge schenken, die jenseits dieser Welt liegen und unendlich über sie erhaben sind.
Salomo war erfüllt mit Weisheit von oben, die aber in dieser Welt zur Ausübung kam und auf sie ihre Anwendung fand, d. h. die Gottes-Art, alle Dinge zu betrachten, auf sie anwandte, indem sie Tag für Tag alles, was sich in ihr entwickelte, so erfasste, wie es wirklich ist. So finden wir in unserem Buch die Wege Gottes, den göttlichen Pfad für das Verhalten des Menschen, sowie das Erkennen dessen, was in menschlichen Herzen aufsteigt, und der Folgen, die daraus hervorgehen. Zugleich gibt es dem, der dem Wort unterworfen ist, das Mittel in die Hand, um den Pfad seines eigenen Willens und seines törichten Herzens zu vermeiden, das unfähig ist, die Tragweite einer Menge von Handlungen zu verstehen, die es ihm eingibt; und zwar geschieht dies nicht dadurch, dass der Mensch zu sittlicher Vollkommenheit zurückgeführt wird - denn das ist nicht der Zweck der Sprüche -, sondern zu jener Weisheit und Klugheit, die ihn befähigen, manchen Fehler zu vermeiden und einen ernsten Wandel vor Gott in gewohnheitsmäßiger Unterwerfung unter seine Gedanken zu führen. Die Vorschriften dieses Buches führen zu praktischer Glückseligkeit in dieser Welt, indem sie irdische Beziehungen in ihrer Unversehrtheit Gott gemäß aufrecht halten. Indes sind nicht menschliche Klugheit und Scharfsinn die Dinge, die in diesem Buch anbefohlen werden; es redet vielmehr von der Furcht des Herrn1, die der Weisheit Anfang ist.
Das Buch der Sprüche enthält zwei bestimmt unterschiedene Teile. Die ersten neun Kapitel stellen die großen allgemeinen Grundsätze dar, während die folgenden, die die eigentlichen Sprüche, Lehr- oder Sinnsprüche enthalten, den Pfad anzeigen, auf dem der Weise wandeln sollte. Den Schluss des Buches bildet eine Anzahl von Sprüchen, die Hiskia zusammengetragen hat.
Wenn wir jetzt zur Betrachtung des ersten Teiles übergehen, finden wir als Hauptgrundsatz gleich im Anfang die Furcht des Herrn auf der einen Seite, und auf der anderen die Unvernunft des eigenen Willens, der die Weisheit und Unterweisung, die ihn im Zaume halten wollen, verachtet. Denn außer der Erkenntnis des Guten und Bösen, hinsichtlich derer die Furcht des Herrn stets wirken wird, gibt es nach der von Gott geschaffenen Ordnung eine Ausübung von Autorität, die den Willen (die Quelle aller Unordnung) zügeln soll, wie z. B. die Autorität der Eltern und dergleichen. Und hierauf wird, im Gegensatz zur Unabhängigkeit, sorgfältig als der Grundlage des Glückes und der sittlichen Ordnung in der Welt bestanden Nicht dass Gott in unserem Buch nach seiner Machtvollkommenheit einfach Vorschriften gäbe oder über die Folgen der Handlungen des Menschen redete, nein, es handelt sich um die Ordnung, die Er für die Beziehungen der Menschen zu- und untereinander festgestellt hat, vor allem um das Verhältnis der Kinder zu den Eltern. Durch die Unterwürfigkeit der Kinder unter die Eltern wird wirklich Gott in seiner Ordnung anerkannt. „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ ist das erste Gebot, das Verheißung hat (2Mo 20,12; Eph 6,1-3). Es gibt zwei Formen, in denen sich die Sünde oder die Tätigkeit des menschlichen Willens kundgibt: Gewalttat und sittliches Verderben. Das zeigte sich schon zur Zeit der großen Flut. Wir lesen in 1Mo 6,11: „Die Erde war verderbt vor Gott, und die Erde war voll Gewalttat.“ So ist auch Satan ein Lügner und ein Mörder. Im Menschen bilden die verdorbenen Lüste sogar die ergiebigste Quelle des Bösen.
Kapitel 1
In Kapitel 1 wird auf die Gewalttat als die Verletzung jener Verpflichtungen hingewiesen, die der Wille Gottes uns auferlegt hat. Doch die Weisheit schreit draußen, sie ruft laut, damit man ihre Stimme höre, wenn sie das Gericht derer ankündigt, die ihre Wege verachten.
Kapitel 2
Zeigt uns das Ergebnis der Unterwürfigkeit des Herzens unter die Worte der Weisheit und die Folgen eines ernsten Suchens nach ihr: man lernt die Furcht des Herrn verstehen und findet die Erkenntnis Gottes selbst (V. 5). Wer sich um diese Dinge bemüht, wird bewahrt werden: er wird nicht nur kein Teil haben mit dem bösen Mann, sondern auch errettet werden von der verführerischen Frau - von dem sittlichen Verderben. Schließlich werden das Gericht über die Erde und die Wohlfahrt der Aufrichtigen und Gerechten angekündigt.
Kapitel 3
Nach Feststellung des letztgenannten Grundsatzes zeigt Kapitel 3, dass nicht der Scharfsinn oder die Klugheit des Menschen die Weisheit mitteilt, von der hier die Rede ist, ebensowenig wie das heiße Verlangen nach Gedeihen und Glück, dass sich in krummen Wegen kundgibt, nein, nur die Furcht des Herrn und die Unterwerfung unter sein Wort geben uns den Faden in die Hand, an dem wir uns durch die verschlungenen Irrwege einer Welt der Bosheit, über der Gott lenkend steht, sicher hindurchfinden können.
Kapitel 4
Besteht auf der Notwendigkeit, um jeden Preis der Weisheit nachzujagen; sie ist ein Pfad sicherer Belohnung. Zugleich warnt es vor jeder Verbindung, die auf den entgegengesetzten Weg und ins Verderben führen würde. Es endet mit dem Hinweis darauf, dass Herz, Lippen und Füße behütet werden müssen.
Kapitel 5
Kommt im einzelnen auf die Verdorbenheit des menschlichen Herzens zurück, die einen Mann dahin bringt, die Frau seiner Jugend um einer anderen willen zu verlassen. Ein solcher Weg verdirbt den ganzen Menschen. Aber, mag es auch zuweilen anders scheinen, die Augen des Herrn sind auf die Wege des Menschen gerichtet (V. 21).
Kapitel 6
Sagt uns, dass die Weisheit nicht für einen anderen Bürgschaft leistet. Auch ist sie weder faul, noch gewalttätig noch betrügerisch. Aber die fremde Frau, vor ihr sollte man fliehen wie vor Feuer; es gibt keine Sühne, keine Genugtuung für den Ehebruch.
Kapitel 7
Das Haus der fremden Frau ist der Weg zum Grabe. Sich selbst zügeln, den Verlockungen festen Widerstand leisten, auf den Herrn schauen und auf die Worte der Weisen horchen - das sind
Grundsätze des Lebens, die in diesem Kapitel vorgestellt werden.
1 So übersetzen Luther und andere; in Wirklichkeit steht „Jehova“ im Text. Ich möchte aber hier den Titel „Herr“ lassen wegen seiner allgemeinen Anwendbarkeit. In Israel und in den Wegen der göttlichen Regierung ist der Name Gottes fast immer Jehova. Nur in einigen wenigen Fällen steht Adonai = Herr, in dem eigentlichen Sinn dieses Wortes. Zu beachten ist jedoch, dass in den Sprüchen stets der Name „Jehova“ gebraucht wird, weil sie mit Autorität solche unterweisen, die in einer genannten Beziehung zu Gott stehen. Im „Prediger“ ist das nicht der Fall. Dort haben wir „Gott“ im Gegensatz zu dem Menschen, der als solcher seine eigenen Erfahrungen auf der Erde macht. Der Name „Gott“, in abstraktem Sinn gebraucht, kommt in den Sprüchen nur einmal vor (Spr 25,2); und einmal (Spr 2,17) heißt es „ihr Gott“.↩︎