Hermann Menge (1841-1939)
Versliste
Denn als ich (einmal) am Fenster meines Hauses durch mein Gitter hinausschaute,
da sah ich unter den Unerfahrenen, bemerkte ich unter den jungen Leuten einen unverständigen Jüngling,
der auf der Straße hin und her ging, in der Nähe ihrer Ecke, und in der Richtung nach ihrem Hause schritt,
in der Dämmerung, am Abend des Tages, tief in der Nacht und in der Finsternis.
Da kam ihm auf einmal eine Frau entgegen im Anzug einer Lustdirne und mit arglistigem Herzen.
Sie ist in leidenschaftlicher Aufregung und wilder Unruhe, ihre Füße halten’s in ihrem Hause nicht aus;
bald ist sie auf der Straße, bald auf den freien Plätzen, und neben jeder Ecke lauert sie.
Nun hascht sie ihn, küsst ihn und sagt zu ihm mit frecher Miene:
„Dankopfer war ich schuldig: heute habe ich meine Gelübde entrichtet;
darum bin ich ausgegangen dir entgegen, um dich aufzusuchen, und habe dich nun gefunden.
Mit Teppichen habe ich mein Lager hergerichtet, mit bunten Decken von ägyptischem Linnen;
ich habe mein Bett mit Myrrhe, Aloe und Zimt besprengt.
Komm, wir wollen uns an der Liebe berauschen, bis zum Morgen in Liebeslust schwelgen!
Denn der Mann ist nicht daheim, er ist weithin auf Reisen gegangen;
die Geldtasche hat er mit sich genommen: erst am Vollmondstage kommt er wieder heim.“
Durch ihr eifriges Zureden verführte sie ihn, mit ihrem glatten Geschwätz riss sie ihn fort:
betört folgte er ihr wie ein Stier, der zur Schlachtung geht, und wie ein Hirsch, der ins Netz rennt,
bis ein Pfeil ihm das Herz durchbohrt; wie ein Vogel dem Fanggarn zueilt, ohne zu ahnen, dass es um sein Leben geht.