Schriften von Rudolf Brockhaus
Off 2,1-3,22 -Prophetische Dimension der SendschreibenOff 2,1-3,22 -Prophetische Dimension der Sendschreiben
Rudolf Brockhaus versucht in seinen Ausführungen zu zeigen, warum die
Sendschreiben eine prophetische Dimension haben. Es handelt sich dabei
um eine Entgegnung (niemand möge sich daran stören) auf eine Schrift von
Bruder Nagel, der das in Frage stellte.
Bruder Nagel sagt auf Seite 33 seiner Schrift:
„Es gibt für die Auffassung, dass in den Sendschreiben ein prophetisches
Bild von dem fortschreitenden Verfall der Kirche gezeichnet sei,
keinerlei klaren Schriftbeweis. Ohne Zweifel ist in den Sendschreiben
für alle Zeiten der christlichen Geschichte Lehre und Mahnung, Drohung
und Verheißung enthalten. Aber die Annahme, dass jedes einzelne
Sendschreiben einen bestimmt umgrenzten Abschnitt zukünftiger Geschichte
vorbilde, entbehrt jeder zuverlässigen Grundlage. Es kann diese Annahme
weder aus dem Text gefolgert werden, noch auch ist der Beweis für ihre
Richtigkeit aus dem tatsächlichen Geschichtsverlauf zu erbringen. Man
muss schon zu großen Künsteleien seine Zuflucht nehmen, um dergleichen
beweisen zu wollen.“
Demgegenüber sei darauf hingewiesen, dass das Buch der Offenbarung von
Anfang bis zu Ende prophetisch ist. „Glückselig der da liest
und die da hören die Worte der Weissagung dieses
Buches und bewahren, was in ihr geschrieben ist!“ So leuchtet die
am Eingang des Buches stehende Überschrift dem Leser entgegen; und: „Ich
bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses
Buches hört: Wenn jemand usw.“, so schließt der Herr seine
prophetischen Mitteilungen an die Versammlungen. Es genügt also
keineswegs zu sagen, dass „in den Sendschreiben für alle Zeiten der
christlichen Geschichte Lehre und Mahnung, Drohung und Verheißung
enthalten sei“, denn das ist
von allen neutestamentlichen Schriften wahr. Es
muss mehr als das darin zu finden sein.
Zum Beweis des Gesagten gestatte man mir, zunächst nochmals einen
Abschnitt aus der Schrift „Die Versammlung des lebendigen Gottes“
anzuführen. Es heißt dort auf S. 96–99:
„Dass es zur Zeit der Abfassung des Buches der Offenbarung sieben
Versammlungen (Gemeinden) in der römischen Provinz Asien (einem Teil des
jetzigen Kleinasien) gab, deren Zustand dem in den Sendschreiben
geschilderten entsprach, unterliegt keinem Zweifel, wird auch wohl von
niemand bestritten. Diese sieben Gemeinden haben geschichtlich
bestanden. Aber ganz von selbst drängt sich dem aufmerksamen Leser der
Briefe die Frage auf: Warum hat der Herr gerade diese außer Ephesus so
wenig bekannten Gemeinden aus den vielen damals bestehenden ausgewählt? Warum gerade sieben? Die Zahl „sieben“ ist dem Bibelforscher
bekannt als Ausdruck von irgend etwas Vollkommenem, Abgerundetem, in
geistlichem Sinn. Dass sie gerade hier, in dem Buche der Offenbarung,
bedeutungsvoll ist, liegt auf der Hand.
Aber mehr noch. Die sieben Sendschreiben stellen uns nach der
Erklärung des Herrn selbst das, „was ist“, vor Augen. „Schreibe
nun, was du gesehen hast (Kap. 1,9 ff), und was
ist (Kap. 2 und 3), und was nach diesem geschehen wird“
(Kap. 4 ff). Dass diese Einteilung nicht willkürlich ist, beweist
Kapitel 4,1. Dieselbe Stimme, welche im ersten Kapitel geredet hatte,
ruft hier dem Propheten zu: „Komm hier herauf, und ich werde dir
zeigen, was nach diesem geschehen muss“. Das, „was ist“, (was
schon zu Lebzeiten des Johannes bestand) endet daher mit dem dritten
Kapitel, und im vierten beginnt die Erzählung dessen, „was nach diesem
(d. h. nach dem Inhalt des 2. und 3. Kapitels) geschehen muss“ – der
Prophet wird von der Erde in den Himmel entrückt und sieht den Thron,
von welchem aus die Gerichte über die Erde ergehen, und um den Thron
her, in den Himmel entrückt, die Erlösten unter dem Bild der 24
Könige und Priester.
„Es gab also in jener Zeit sieben Versammlungen, deren innerer Zustand
dem von dem Herrn entworfenen Bilde entsprach. Sie werden mit goldenen
Leuchtern (Lichtträgern) verglichen. In ihrer Mitte wandelt der
in richterlichem Gewand erscheinende Sohn des Menschen. Dass
der Herr allezeit „als Segensquelle“ in der Versammlung ist und als
Haupt des Leibes die Seinigen nährt und pflegt, ist zweifellos; aber
hier wird Er nicht in diesem Charakter geschaut. Er erscheint nicht als
der, welcher Öl auf die Lampen gießt, wenn es nötig wird, nicht als der
gute Hirte der Schafe, oder als der, welcher die Füße der Seinigen
wäscht oder den Menschen Gaben austeilt, sondern in seiner ernsten Würde
als Richter. Aus seinem Mund geht ein scharfes, zweischneidiges Schwert
hervor, und mit Augen, die wie eine Feuerflamme sind, sieht Er zu, ob
die Leuchter ihrer Verantwortlichkeit entsprechen.
„Ist denn der Ausdruck „was ist“ auf die sieben örtlichen Gemeinden zu
beschränken, an welche die Sendschreiben gerichtet wurden? Waren für sie
allein die Mitteilungen des Herrn bestimmt? Oder müssen wir an
die ganze christliche Kirche denken, wie sie damals auf Erden
bestand? Die Zahl „sieben“ leitet unsere Gedanken, wie gesagt, auf etwas
„Vollkommenes“. Jene sieben Gemeinden machten aber nur einen ganz
kleinen Teil des gesamten christlichen Zeugnisses von damals aus. Zugleich werden die Ermahnungen, welche auf Grund des inneren Zustandes
der Gemeinden ergehen, an alle gerichtet, welche ein Ohr haben
zu hören: „Wer ein Ohr hat, höre was der Geist den
Versammlungen sagt“.
„Wir möchten also wohl an die ganze Gemeinde des ersten Jahrhunderts
unserer Zeitrechnung denken, wenn nicht ein wichtiger Punkt dagegen
spräche. Jedes Sendschreiben schildert bekanntlich einen anderen
Zustand, verschieden von den vorhergehenden oder nachfolgenden. Es ist
deshalb kaum möglich, alle sieben auf den Gesamtzustand der damaligen
Kirche anzuwenden. Alle sieben können nicht zu gleicher
Zeit charakteristisch für diesen Gesamtzustand gewesen sein. Und
was für jene ersten Tagen gilt, ist selbstverständlich auch wahr für
alle späteren Zeiten. Man kann unmöglich sieben so völlig verschiedene,
ja, einander entgegengesetzte Zustände zu irgendeinem gegebenen
Zeitpunkt auf den allgemeinen Zustand der Kirche anwenden. Wenn das aber
so ist, dann ergibt sich ganz von selbst der Gedanke, dass die
Sendschreiben eine Reihenfolge von Zuständen beschreiben
müssen, welche sich im Laufe der Jahrhunderte, während der ganzen Dauer
des christlichen Haushalts, in der bekennenden Kirche zeigen würden, und
die das Auge des Herrn voraussah.
„Damit wird dann auch die Zahl „sieben“ durchaus verständlich, ebenso
die Auswahl der Gemeinden, nicht nach Alter, Größe, Bedeutung oder
dergleichen, sondern nach den damals in ihrer Mitte herrschenden
charakteristischen Zuständen. Die Geschichte der Kirche zieht in einem
ergreifenden prophetischen Gemälde von dem ersten Beginn des Verfalls,
dem Verlassen ihrer ersten Liebe (in Ephesus), bis zum Ausgespieenwerden
aus dem Mund des Herrn (in Laodizea) an unserem Auge vorüber. Der Herr
selbst beurteilt und richtet den Zustand, warnt, droht und gibt dem
Überwinder Verheißungen. Er ist „der Erstgeborene“, der den ganzen
Erdkreis richten wird (vgl. die späteren Kapitel der Offenbarung); aber
sein Gericht beginnt beim Hause Gottes.
„Die Versammlung (Gemeinde) ist an die Stelle Israels getreten. Jerusalem war einst der Mittelpunkt oder Sitz des Zeugnisses Gottes. Von
dort aus strahlte sein Licht über die Erde. Israel und Jerusalem haben
aber ihrer Verantwortlichkeit als Lichtträger nicht entsprochen und sind
deshalb beiseite gesetzt worden. An ihre Stelle ist das Christentum
getreten. Die bekennende Kirche ist Gottes Leuchter oder Lichtträger
geworden. Jerusalem, die Stadt, welche durch die Ermordung des Messias
Gottes Zorngericht über sich gebracht hat, ist verschwunden, und die
bekennende Kirche ist jetzt die einzige Zeugin für Gott in dieser Welt. Unter diesem Charakter und von diesem Gesichtspunkt aus wird die Kirche
in der Offenbarung gesehen. Daher das Symbol der „sieben goldenen
Leuchter“, in deren Mitte der Sohn des Menschen wandelt mit „Füßen
gleich glänzendem Kupfer, als glühten sie im Ofen“ – wiederum ein
ausdrucksvolles Bild des Gerichts (vgl. Dan 7,9.10).“
Wenn Bruder Nagel meint, es gebe für die in vorstehender Anführung
entwickelte Auffassung keinerlei klaren Schriftbeweis, so ist
das insofern wahr, als nirgendwo geschrieben steht: Die sieben
Sendschreiben enthalten ein prophetisches Gemälde von der Geschichte der
christlichen Kirche. Aber so ist es ganz selten mit den prophetischen
Mitteilungen des Wortes Gottes. Nur hier und da gibt Gott eine bestimmte
Erklärung der Prophezeiung. [Fußnote 17] In den meisten Fällen bleibt es
dem geistlichen Verständnis des Lesers überlassen, den Sinn des
Prophezeiten an der Hand anderer Mitteilungen und in Verbindung mit
anderen ähnlichen Stellen zu erforschen. „Keine Weissagung der Schrift
ist von eigener Auslegung“ (2Pet 1,20).
In dem vorliegenden Fall nun kann für den mit der Weise des Geistes der
Prophezeiung bekannten Bibelforscher kaum ein Zweifel darüber bestehen,
dass diese sieben Sendschreiben neben ihrer Anwendbarkeit auf die
damalige Zeit und ihrer sittlichen Bedeutung für alle Zeiten
(als mahnend, belehrend, drohend usw.) auch
einen geschichtlichen Sinn haben müssen, und man braucht
wahrlich nicht „zu großen Künsteleien seine Zuflucht zu nehmen“, um die
Richtigkeit dieser Auslegung zu beweisen.
Es ist weiter oben gesagt worden, dass der Herr in
Ist es wirklich „großen Künstelei“, „entbehrt es jeder zuverlässigen
Grundlage“, wenn man in diesen Mitteilungen sowohl eine innere
Aufeinanderfolge entdeckt, als auch den äußeren Entwicklungsgang der
Kirche auf dieser Erde unterscheidet? Sind nicht dem Verlassen der
ersten Liebe Tage ernster, schwerer Verfolgungen in 2. Jahrhundert
gefolgt, denen sich dann die Verweltlichung der Kirche im dritten und
vierten Jahrhundert, verbunden mit immer gewaltiger zunehmendem
Verderben in Wandel und Lehre anschloss, bis zur völligen Entwicklung
des Papsttums im Beginn und Verlauf des Mittelalters? Hat das Papsttum
nicht geistliches Verderben mit weltlicher Macht und der Verfolgung der
treuen Zeugen Gottes verbunden, genau so, wie einst das Weib Ahabs es
getan hat?
Liegt das soweit ab, wie Bruder Nagel uns glauben machen möchte? Ich
meine nicht. Und wie mit den vier ersten, so ist es auch mit den übrigen
Sendschreiben; sie zeichnen in kurzen, kräftigen Zügen, dem geistlichen
Auge leicht erkennbar, die Entwicklung der Dinge seit der Reformation
bis in unsere Zeit, ja, bis zu dem Kommen des Herrn und zu der Stunde
der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen soll. Aber ich
möchte den Gegenstand hier nicht weiter verfolgen.