Behandelter Abschnitt Dan 5,11-14
Inmitten der immer noch zunehmenden Beunruhigung des Königs und des Erstaunens seiner Herren kommt die Königin (zweifellos die Königin-Mutter, wenn wir die Verse 2 und 10 vergleichen) in das Haus des Festes. Ihre Sympathien waren nicht bei dem Fest, und sie erinnert den König an jemanden, der noch mehr außerhalb und über allem stand – für den gottlosen König eine völlig fremde Person.
Es ist ein Mann in deinem Königreich, in dem der Geist der heiligen Götter ist. Und in den Tagen deines Vaters wurden Erleuchtung und Verstand und Weisheit wie die Weisheit der Götter bei ihm gefunden; und der König Nebukadnezar, dein Vater, hat ihn zum Obersten der Wahrsagepriester, der Sterndeuter, der Chaldäer und der Wahrsager erhoben – dein Vater, o König –, weil ein außergewöhnlicher Geist und Kenntnis und Verstand, ein Geist der Traumdeutung und der Rätselerklärung und der Knotenlösung bei ihm gefunden wurde, bei Daniel, dem der König den Namen Beltsazar gegeben hat. So werde nun Daniel gerufen, und er wird die Deutung anzeigen. Darauf wurde Daniel vor den König geführt. Der König hob an und sprach zu Daniel: Bist du Daniel, einer der Weggeführten von Juda, die der König, mein Vater, aus Juda hergebracht hat? Und ich habe von dir gehört, dass der Geist der Götter in dir ist und dass Erleuchtung und Verstand und außergewöhnliche Weisheit bei dir gefunden werden (5,11–14).
Diese Tatsache, dass Daniel für Belsazar ein Fremder war, spricht Bände. Was auch immer der Stolz und die Dreistigkeit des großen Nebukadnezar sein mochten, Daniel saß im Tor des Königs – Herrscher über die ganze Provinz Babylon und Oberster der Statthalter über alle Weisen. Seine erniedrigte und entartete Nachkommenschaft kannte Daniel nicht.
Das erinnert mich übrigens an eine bekannte Begebenheit in der Geschichte des Königs Saul, deren moralische Kraft nicht immer gesehen wird. Als er von einem bösen Geist geplagt wurde, suchte er einen jungen Sohn Isais auf, dessen Musik Gott als Mittel zur Beruhigung des Königs zu nutzen wusste. „Und es geschah, wenn der Geist von Gott über Saul kam, so nahm David die Laute und spielte mit seiner Hand; und Saul fand Erleichterung, und es war ihm wohl, und der böse Geist wich von ihm“ (1Sam 16,23). Nicht lange danach waren Saul und ganz Israel in großer Bestürzung, als der Riese von Gat sie im Tal von Ela herausforderte. Gottes Vorsehung führte dort, auf dem bescheidenen Weg der nicht kriegerischen Pflicht, einen jungen Mann herbei, der die hochtrabenden Worte des Philisters mit anderen Ohren hörte. Statt Schrecken empfand er eher Erstaunen darüber, dass der Unbeschnittene es wagte, den Armeen des lebendigen Gottes zu trotzen. Kaum war der Sieg errungen, wandte sich der König an den Obersten des Heeres mit der Frage: „Wessen Sohn ist doch dieser Jüngling?“ (1Sam 17,55). Und Abner gesteht, dass er ihn nicht kennt. Hier war ein seltsamer Fall: Derselbe Jüngling, der ihm in seiner Krankheit gedient hatte, war dem König Saul unbekannt! Die Zwischenzeit war sicherlich nicht lang; aber Saul kannte David nicht. Das hat die Kritiker sehr verwirrt; und einer der angesehensten Hebraisten hat versucht, herauszufinden, dass die Kapitel irgendwie vertauscht worden sein müssen und dass das Ende von 1. Samuel 16 auf das Ende von Kapitel 17 folgen sollte, um die Schwierigkeit zu beseitigen, dass Saul David nicht kannte, nachdem er in seiner Gegenwart gestanden, seine Liebe gewonnen und sein Waffenträger geworden war. Aber ich bin überzeugt, dass dies alles daher rührt, dass man die eigentliche Lektion, die Gott in dieser Begebenheit lehrt, nicht versteht. Die Wahrheit ist, dass Saul David für seine Dienste geliebt haben mag: Aber es gab nie einen Funken an Sympathie; und wo das der Fall ist, vergessen wir die Dinge leicht. Fremdheit des Herzens endet bald in tatsächlicher Distanz, wenn der Dienst des Herrn ins Spiel kommt. Es ist der eigentliche Geist der Welt gegenüber den Kindern Gottes. Wie Johannes sagt: „Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat“ (1Joh 3,1).
Sie mögen viele Dinge über Christen wissen, aber sie kennen sie eigentlich nicht. Und wenn der Christ von der Bildfläche verschwindet, mag es eine flüchtige Erinnerung geben, aber er ist ein unbekannter Mensch. Saul war David gegenüber zu größtem Dank verpflichtet gewesen. Aber obwohl David ein Kanal des Trostes für ihn gewesen war, verging mit dem Dienst, den er geleistet hatte, auch alles Wissen über David. So konnte die Königin von Daniel sagen: „Und in den Tagen deines Vaters wurden Erleuchtung und Verstand und Weisheit wie die Weisheit der Götter bei ihm gefunden; und der König Nebukadnezar, dein Vater, hat ihn zum Obersten der Wahrsagepriester, der Sterndeuter, der Chaldäer und der Wahrsager erhoben“ (Dan 5,11).
Doch man dachte nicht mehr über ihn nach. Er war vergleichsweise unbekannt bei denen, die auf dem Fest waren. Die Einzige, die an ihn dachte, war die Königin, und sie war nur wegen ihres Ärgers da.