Behandelter Abschnitt Klgl 1,15-17
Verse 15–17 | Die Menschen von Jerusalem
Der Herr hat alle meine Starken weggerafft in meiner Mitte; er hat ein Fest gegen mich ausgerufen, um meine Jünglinge zu zerschmettern; der Herr hat der Jungfrau, der Tochter Juda, die Kelter getreten.
Darüber weine ich, rinnt mein Auge, mein Auge von Wasser; denn fern von mir ist ein Tröster, der meine Seele erquicken könnte; meine Kinder sind vernichtet, denn der Feind hat gesiegt.
Zion breitet ihre Hände aus: Da ist niemand, der sie tröstet. Der HERR hat seine Bedränger ringsum gegen Jakob aufgeboten; wie eine Unreine ist Jerusalem unter ihnen geworden.
Die Starken der Stadt sind weg, weggerafft worden durch den Herrn (Vers 15). Jeremia, oder besser: Jeremia, der sich mit Jerusalem identifiziert, nennt sie „meine Starken“. Gott hat entschieden, sie aus der Mitte der Stadt wegzuraffen. Er hat dafür eine festliche Zusammenkunft ausgerufen. Es ist eine schreckliche Zusammenkunft. Es ist kein Fest für den Herrn, sondern für die Feinde, welche die Kraft der jungen Männer zermalmt haben. In einem unmittelbar darauffolgenden Bild einer Jungfrau wird die Tochter Juda in einer Kelter gesehen, die der Herr getreten hat. Er richtet sie.
Zu einem Fest gehört Wein. Um Wein zu erhalten und die Festfreude durch den Wein genießen zu können, müssen vorher die Trauben in der Kelter zertreten werden, was jedoch ein Bild des Gerichts ist (Jes 63,3; Joel 4,13; Off 14,19). Hier liegt eine Ironie in den verwendeten Bildern von Fest und Kelter. Sie wecken den Gedanken an Jubel und Freude, während es um das Gericht geht, das in seinem ganzen Schrecken über Jerusalem, „die Jungfrau, die Tochter Juda“, gekommen ist.
All dieses Elend verursacht dem Propheten intensiven Kummer und eine Flut von Tränen (Vers 16). Er ist untröstlich. Der HERR, sein einziger Tröster, ist so weit weg. Und wenn Er nicht tröstet, wer dann? Seine Kinder, die Kinder seines Volkes, sind vertrieben durch die Macht des Feindes, die dieser ungestört über die Stadt ausüben kann.
In Vers 17 sehen wir Jeremia wieder als jemanden, der von außen zuschaut. Er sagt nicht mehr „ich“, sondern „sie“, also Zion. Er sieht, wie Zion ihre Hände zum Himmel ausstreckt, aber keinen Tröster hat. Der Himmel schweigt. Im ganzen Buch hören wir keine Antwort von Gott. Jeremia drückt die Gewissheit aus, dass alles, was dem Volk widerfährt, vom HERRN befohlen ist. Alles Leid kommt von Ihm. Er hat bewirkt, dass die Umstehenden zu Gegnern wurden und Jerusalem bei niemandem Unterstützung finden konnte. Der HERR hat sie aufgegeben, verlassen, weil sie „wie eine Unreine“ geworden ist. Das hat sie ihrer eigenen Untreue Ihm gegenüber zu verdanken.