Behandelter Abschnitt Ps 102,23-28
Verse 23–28 | Gott ist derselbe
23 Er hat meine Kraft gebeugt auf dem Weg, hat verkürzt meine Tage. 24 Ich sprach: Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage! – Von Geschlecht zu Geschlecht sind deine Jahre. 25 Du hast einst die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. 26 Sie werden untergehen, du aber bleibst; und sie alle werden veralten wie ein Kleid; wie ein Gewand wirst du sie verwandeln, und sie werden verwandelt werden; 27 du aber bist derselbe, und deine Jahre enden nicht. 28 Die Söhne deiner Knechte werden wohnen, und ihre Nachkommen werden vor dir feststehen.
Nach der ermutigenden Aussicht auf die kommende Wiederherstellung in den Versen 12–22 hören wir erneut den leidenden Messias sprechen (Vers 23). Der Messias sieht in dem, was Ihm widerfährt, die Hand Gottes. Er nimmt alles aus der Hand Gottes an. Gott hat seine Kraft auf den Weg, den Er auf der Erde gegangen ist, gebeugt.
Das Wort „Elende“ in Vers 1 ist von dem Wort „gebeugt“ hier in Vers 24 abgeleitet. In Vers 2 ist Christus der Bedrängte. Hier in Vers 24 kehrt Er zu seinem Leiden zurück, das in den Versen 1–11 als das Leiden beschrieben wird, in dem Gott Ihn niedergedrückt hat. Hier sehen wir den Messias, der seinen Weg auf der Erde in Demütigung geht. Er identifiziert sich wieder mit seinem Volk, das sich auf dem Weg, den es gehen muss, machtlos fühlt.
Er wurde nicht nur kraftlos (vgl. 2Kor 13,4a), sondern auch die Tage seines Aufenthalts auf der Erde wurden verkürzt. Er war nicht in der Lage, sie voll zu machen. Deshalb beklagt Er sich bei seinem Gott und sagt zu Ihm: „Mein Gott, nimm mich nicht weg in der Hälfte meiner Tage!“ (Vers 24a; vgl. Jes 38,2.3). Er war 33 Jahre alt, als Er starb, und damit in der Blüte seines Lebens als Mensch. Wenn Er von sich selbst als „dem grünen Holz“ spricht (Lk 23,31), hören wir darin die gleichen Empfindungen. Der Kontrast besteht hier zwischen dem ewig thronenden Gott (Vers 12) und seinem eigenen verkürzten Leben, das in der Mitte des normalen menschlichen Alters von siebzig Jahren (Ps 90,10) beendet wurde.
Als gottesfürchtiger Israelit hat Er, wenn Er gehorsam ist, die Verheißung eines langen Lebens in dem Land. Durch sein untadeliges Leben hat Er es sich verdient. Und nun wird Er aus dem Leben weggenommen. Als Mensch ist dies eine schreckliche Aussicht für Ihn. Noch nie war jemand so gehorsam und Gott ergeben, und doch wird Er ausgelöscht, aus dem Leben weggenommen.
In der Mitte von Vers 24 wechselt der Sprecher und der Messias erhält von Gott eine Antwort auf seine Fragen. Der Beweis, dass es hier um den Messias geht, findet sich in Hebräer 1, wo die Verse 26–28 dieses Psalms zitiert werden, um zu beweisen, dass der Herr Jesus der HERR, Jahwe, selbst ist (Heb 1,10-12). Deshalb sagt Gott zu Ihm, dass seine Jahre „von Geschlecht zu Geschlecht“ andauern. Er wird in der Hälfte seiner Tage weggenommen werden, aber Er wird von den Toten auferstehen. Hier finden wir einen der vielen Hinweise darauf, dass Christus sterben und dann von den Toten auferstehen musste (Mt 16,21; 17,22.23; 20,17-19).
Dann sagt sein Gott zu Ihm, dass Er der Schöpfer der Erde und des Himmels ist (Vers 25; Joh 1,3; Kol 1,16.17; Heb 1,2). Wie gedemütigt Er auch als Mensch auf der Erde sein mag, Er hat „einst die Erde gegründet“ und „die Himmel“ sind seiner „Hände Werk“. Er steht am Anfang aller Dinge. Alle Dinge verdanken ihren Ursprung dem, der selbst nicht entstanden ist, sondern der Ewige ist.
Hier finden wir einen der vielen Hinweise darauf, dass Christus sowohl der Menschensohn als auch der ewige Gott ist. Christus ist der Immanuel (Jes 7,14; 8,8; Mt 1,23), der „Gott mit uns“. Er, der in der Hälfte seiner Tage auf der Erde weggenommen wurde (Verse 24.25a), ist der Ewige (Verse 24b–27), der Schöpfer von Himmel und Erde (Verse 25.26).
Er hat auch kein Ende, während seine Werke ein Ende haben, denn „sie werden untergehen“ (Vers 27). Spötter mögen sagen, dass alles so bleibt, wie es von Anfang der Schöpfung an war (2Pet 3,3.4), aber sie werden sich täuschen. Die materielle Welt hat kein Leben in sich selbst, noch ist sie ewig wie ihr Schöpfer. Der Übergang von Vers 25 zu Vers 26 ist der Übergang von der Entstehung zum Untergang, von 1. Mose 1 zu Offenbarung 21 (1Mo 1,1; Off 21,1). Es weist auf den gewaltigen Gegensatz hin, der zwischen dem Schöpfer und der Schöpfung besteht.
Mit der Schöpfung wird es sein wie mit einem „Kleid“. Ein Kleid nutzt sich durch Gebrauch ab. Er wird mit der Schöpfung umgehen wie mit einem „Gewand“. Er wird mit ihr tun, was ein Mensch tut, wenn er einen neuen Mantel anzieht. Dann zieht er den alten aus und zieht den neuen an. In beiden Fällen verschwindet das, was am Anfang da war. Das Alte verschwindet nach einem Prozess der Abnutzung, das Neue erscheint durch einen kurzen Akt. So handelt auch der Sohn mit der Schöpfung. Die alte Schöpfung verschwindet als alt. Er tauscht sie gegen eine neue Schöpfung aus. Er schafft einen neuen Himmel und eine neue Erde (Off 20,11; 21,1).
Aber der Sohn ändert sich nicht. Er ist „derselbe“ für immer (Vers 27; Heb 13,8). Seine „Jahre enden nicht“. Seine Jahre werden endlos weitergehen, auch jetzt, da Er Mensch geworden ist, denn auch als Mensch kennt Er kein Ende. Die Schöpfung wird sich verändern, regenerieren (Mt 19,28) und erneuern (Off 21,1), aber Er selbst ist der Ewige und Unveränderliche.
Er ist am Anfang aller Dinge und am Ende aller Dinge ist Er immer noch da.
Dies ist auch eine große Ermutigung im Hinblick auf die kommenden Generationen (Vers 28). Wir mögen uns manchmal fragen, wie es ihnen ergehen wird. Dann können wir auf Ihn schauen. Er ist für jede Generation das, was Er für frühere Generationen gewesen ist. Generationen und Umstände ändern sich, aber Er ändert sich nicht.
Deshalb werden die Söhne sicher wohnen und „ihre Nachkommen werden“ vor Gott feststehen“. Das bedeutet, dass die Nachkommen des gläubigen Überrestes im Glauben standhaft bleiben werden (Jes 59,21). Sie werden nicht mehr aus ihrem Erbe und aus ihrem Land vertrieben oder weggenommen werden. Das garantiert die Verheißung Jahwes. Himmel und Erde werden vergehen, aber seine Worte werden nicht vergehen (Mt 5,18; 24,35).