Behandelter Abschnitt Hiob 5,17-27
Verse 17–27 | Der Gebrauch von Züchtigung
17 Siehe, glückselig der Mensch, den Gott straft! So verwirf denn nicht die Züchtigung des Allmächtigen. 18 Denn er bereitet Schmerz und verbindet, er zerschlägt, und seine Hände heilen. 19 In sechs Bedrängnissen wird er dich retten, und in sieben wird dich kein Unglück antasten. 20 In Hungersnot erlöst er dich vom Tod und im Kampf von der Gewalt des Schwertes. 21 Vor der Geißel der Zunge wirst du geborgen sein, und du wirst dich nicht fürchten vor der Verwüstung, wenn sie kommt. 22 Über Verwüstung und Hunger wirst du lachen, und vor den Tieren der Erde wirst du dich nicht fürchten; 23 denn dein Bund wird mit den Steinen des Feldes sein, und die Tiere des Feldes werden Frieden mit dir haben. 24 Und du wirst erfahren, dass dein Zelt in Frieden ist, und überschaust du deine Wohnung, so wirst du nichts vermissen; 25 und du wirst erfahren, dass deine Nachkommen zahlreich sein werden und deine Sprösslinge wie das Kraut der Erde. 26 Du wirst in Rüstigkeit in das Grab kommen, wie der Garbenhaufen eingebracht wird zu seiner Zeit. 27 Siehe, dies haben wir erforscht, so ist es; höre es, und du, merke es dir!
Im Schlussteil dieser ersten Rede von Eliphas erhalten wir wieder in schöner Sprache wunderbare Unterweisung über Gott und sein Handeln mit dem Menschen. Nur wird sie von Eliphas falsch angewendet, weil er sie auf die falsche Person anwendet.
Eliphas spricht davon, dass Gott den Menschen straft und züchtigt – damit meint er Hiob. Dennoch nennt er diesen Menschen „glückselig“ (Vers 17; Ps 94,12). Was er hier sagen will, ist, dass die Züchtigung oder Bestrafung so wichtige Vorteile hat, dass wir uns ihr unterwerfen sollten, ohne uns darüber zu beschweren. Was Eliphas entgeht, ist, dass Gott jemanden züchtigen kann, ohne dies notwendigerweise als Ausdruck seines Unmuts über diese Person zu tun. Züchtigung weist auf das Vorhandensein einer Beziehung hin. Gott will diese Beziehung durch Züchtigung verbessern (Hiob 12,5.6.10; Spr 3,11.12).
Eliphas sieht die Züchtigung durch Gott als Beweis dafür, dass es etwas Sündiges in Hiobs Leben gibt. Er fordert Hiob auf, auf diese Strafe zu hören und sie nicht abzulehnen, sondern auf sie zu reagieren. Hiob muss wissen, dass die Schmerzen und Wunden, die er hat, ihm vom Allmächtigen zugefügt wurden (Vers 18). Sie kommen von Ihm. Hiob darf auch wissen, dass derselbe Allmächtige zu verbinden vermag und dass seine Hände heilen. Die Rettung wird von derselben Hand kommen, die auch schlägt (vgl. Hos 6,1).
Zum ersten Mal spricht Eliphas Hiob nicht in verschleiernden Begriffen an, sondern spricht ihn direkt mit „dich“ an. Wir können die „sechs Bedrängnisse“ (Vers 19), die Hiob quälten, wie folgt anwenden: drei an seinem Besitz, das vierte an seinen Kindern, das fünfte an seiner Gesundheit, das sechste an seiner Frau. Es gibt eine siebte Bedrängnis. Diese erkennen wir in seinen Freunden. Wie bei den sechs vorhergehenden Plagen müssen wir auch hier erkennen, dass das Kommen der Freunde von Gott angeordnet wurde. Ihr Beitrag zu Hiobs Leiden müssen wir als von Gott kommend ansehen. Gott hat auch seine Absicht mit ihren Handlungen in seiner Erziehung von Hiob. Er will sie dazu gebrauchen, dass Hiob durch sie sich selbst erkennt.
Vielleicht können wir auch Folgendes über diese Zahlen sagen. Sechs ist die Zahl der Mühsal des Menschen, sieben ist die Zahl der Vollkommenheit. Das führt zu dem Gedanken, dass auf die Mühsal des Menschen die Ruhe bei Gott folgt.
Eliphas stellt Hiob weitere Segnungen in Aussicht, die ihm zuteil werden, wenn er die Strafe des Allmächtigen annimmt. Zum Beispiel wird Gott ihn dann nicht den Hungertod sterben lassen, sondern ihn davon erlösen (Vers 20). Er wird auch nicht getötet, wenn ein Krieg gegen ihn geführt wird. Wenn er auf Gott vertraut, wird Gott ihn in Zeiten von Hungersnot und Krieg beschützen.
Gott wird auch dafür sorgen, dass sein Ruf nicht durch lästerliche Verleumdungen von bösen Zungen befleckt wird (Vers 21). Er wird dies tun, indem Er dafür sorgt, dass die Wahrheit die Lügen und Verleumdungen entlarvt. Er wird auch keine Angst vor einer drohenden Verwüstung haben müssen, wie er sie jetzt erlebt hat. Wenn eine solche Verwüstung kommt, wird er sicher und glücklich sein. Er wird über sie sogar lachen (Vers 22), was bedeutet, dass er sie nicht ernst nehmen wird, weil sie keine Bedrohung für ihn darstellen.
Das Gleiche gilt für die wilden Tiere, mit denen immer gerechnet werden muss. Er braucht nicht zu befürchten, dass diese Tiere ihn angreifen werden. Sie werden auch keine Schäden an seiner Ernte verursachen.
Es wird keine Steine auf seinem Land geben, die seinen Weg unpassierbar machen oder den Weizen am Aufgehen hindern (Vers 23; 2Kön 3,19; Jes 5,2; 62,10). Er wird in Frieden mit den wilden Tieren leben. Eine solche Harmonie zwischen Mensch und Tier wird im Friedensreich eine Realität sein (Jes 11,6-9). Alle Elemente der Natur, die gegen den Menschen sein können, werden dann mit dem Gerechten zusammenarbeiten.
Auch in seiner Wohnung wird Frieden herrschen (Vers 24). Wenn er unterwegs ist, muss er sich keine Sorgen darüber machen, was zu Hause passiert. Die Pflege seines Hauses und alles, was geschieht, alles hat er perfekt geregelt. Gott wird sich darum kümmern für jemanden, der auf Ihn vertraut. Das Gleiche gilt für seine Nachkommen (Vers 25). Sie werden zahlreich und wohlhabend sein (Ps 128,1.3).
Schließlich weist Eliphas auf das lange Leben hin, das das Teil dessen ist, der auf Gott vertraut (Vers 26). Er wird alt werden und nicht mitten im Leben durch eine Krankheit oder einen durch Sünde verursachten Unfall vorzeitig aus dem Leben gerissen werden. Er wird erst dann aus dem Leben genommen, wenn er es vollständig genossen hat und die Frucht der Gerechtigkeit in seinem Leben gereift ist. Eliphas vergleicht es mit einem „Garbenhaufen“, der erst eingebracht wird, wenn das Getreide reif ist. Weizen wird nicht geschnitten, solange er noch grün ist, sondern erst, wenn er goldgelb ist.
Von dem ganzen Bild, das Eliphas skizziert, ist bei Hiob nichts zu erkennen. Es muss also etwas mit ihm nicht in Ordnung sein. Deshalb schließt Eliphas seine erste Rede an Hiob ab, indem er noch einmal nachdrücklich auf die Nachforschungen hinweist, die er und seine Freunde über Ursache und Wirkung der Sünde angestellt haben (Vers 27). Wieder hören wir, dass er sich auf seine Beobachtung stützt: Sie haben es „erforscht“. Das Ergebnis seiner Untersuchung und das seiner Freunde lässt keinen Raum für
Diskussionen, denn „so ist es“. Es ist die Entschiedenheit von jemandem, der sagt: „Ich habe die Wahrheit, und ich allein.“
Eliphas ähnelt hier jemandem, der einmal wegen einer sehr ungesunden Auslegung der Heiligen Schrift angesprochen wurde. Die Antwort dieser Person war: „Wir haben viel Zeit in diese Auslegung gesteckt und sie sicherlich nicht auf die leichte Schulter genommen.“ Eine solche Antwort erstickt jede Kritik. Es bedeutet, dass du von ihrer Forschung beeindruckt sein musst und dass du aufgrund dessen das Ergebnis, die Auslegung, annehmen musst. Ein solches Vorgehen ist natürlich verwerflich. Jemand, der eine solche Haltung einnimmt, disqualifiziert sich selbst als zuverlässiger Ausleger der Schrift.
Eliphas sagt etwas Ähnliches zu Hiob. Hiob möge weise genug sein, die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu akzeptieren und davon zu profitieren. Dagegen vorzugehen ist natürlich sehr dumm. Das hieße nämlich, ihre „gediegene“ Recherche achtlos beiseitezuschieben. Das wäre sehr widerspenstig. Es ist das Beruhigende: „Einfach auf uns hören und alles wird gut.“ Ein solches Reagieren auf die Notlage, in der sich jemand befindet, nennen wir heute „Manipulieren“. Hiob lässt sich jedoch nicht manipulieren, wie die beiden folgenden Kapitel zeigen.
Die Haltung von Eliphas und seinen Freunden am Anfang kann ein Vorbild für uns sein. Sie halten zunächst eine Schweigezeit von sieben Tagen ein, also eine ganze Woche. Aber als sie zu sprechen beginnen, sehen wir, dass Hiobs persönliches Leid gegen eine hohe Mauer des Unverständnisses stößt. Eliphas kommt mit harter Kritik (Hiob 4,1-11), mit wasserdichten theologischen Argumenten (Hiob 4,17; 5,7), mit persönlicher Erfahrung – einer Vision, die er zu Unrecht Gott zuschreibt (Hiob 4,12-21). Er spricht mit einer solchen Überzeugung von seiner eigenen Richtigkeit, dass er Hiob herausfordert, sich einfach selbst an Gott zu wenden; dann wird er von Gott dasselbe hören, was er von ihm gehört hat (Hiob 5,8). Schließlich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, erklärt Eliphas in seinem Hochmut als Allwissender – als ob er selbst Gott wäre – sein eigenes Recht, indem er sagt: „So ist es“ (Vers 27).