Um einen solchen Gedanken zu zerstreuen, wendet sich der Apostel in sehr feinfühliger Weise an die Korinther und sagt ihnen sozusagen: „Wenn wir uns selbst empfehlen wollten, sollten wir nicht über unseren Dienst oder uns reden, sondern über Euch.“ „Ihr seid unser Brief“, sagt er ihnen. Sie besaßen einen solch festen Platz in seinen Zuneigungen, dass wenn irgendjemand seine Apostelschaft anzweifeln würde, er sie alle auf die Versammlung in Korinth verweisen würde. Sie würden sowohl ihn selbst als auch seinen Dienst empfehlen.
Ein Brief Christi
„von euch ist offenbar, dass ihr ein Brief Christi seid, angefertigt durch uns im Dienst, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln des Herzens“ (Vers 3).
In welcher Hinsicht aber konnte die Versammlung in Korinth Paulus empfehlen? Waren diese Gläubigen nicht der lebendige Ausdruck des Charakters Christi, den Paulus gepredigt hatte? Sie waren in ihrem praktischen Leben ein Brief zugunsten des Apostels, denn sie waren ein Brief, der Christus allen Menschen empfahl.
Paulus predigte den Korinthern die Person Christi. Der Geist Gottes nun benutzte diesen Dienst, um Christus diesen Gläubigen aus Korinth wertvoll zu machen. Er war es, der Christus auf ihre Herzen schrieb. So wurde diese Person – Christus –, der auf ihre Herzen geschrieben wurde, in ihrem Leben sichtbar ausgedrückt. Dadurch wurden sie zu Zeugen Christi – sie waren sozusagen ein Brief, gekannt und gelesen von allen Menschen. Und indem sie Christus empfahlen, wurden sie zugleich zu einem Brief, der Paulus empfahl, das auserwählte Gefäß, durch das sie von Christus gehört hatten.
Wir finden also in diesen Versen eine schöne Beschreibung der wahren christlichen Gemeinschaft, die aus den einzelnen Gläubigen besteht, auf deren Herzen Christus geschrieben worden ist, nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes. Auch nicht auf steinernen Tafeln, sondern auf fleischernen Tafeln des Herzens. Wie die Menschen im Alten Testament die zehn Gebote auf steinernen Tafeln lesen konnten, so können die Menschen heute Christus durch die Gläubigen lesen. Das Gesetz jedoch wurde auf steinerne Tafeln geschrieben, die tote Materie waren. Es bildet ein Zeugnis davon, was der Mensch sein und tun sollte, lässt aber das Herz unberührt. Durch den Dienst des Evangeliums dagegen schreibt der Geist des lebendigen Gottes Christus auf Herzen lebendiger Menschen, die ein Zeugnis von dem sind, was Christus ist.
Wir sind ein Brief Christi
Manchmal hört man: „Wir sollten Briefe Christi sein.“ Der Apostel sagt jedoch nicht: „Seid ein Brief Christi!“, sondern: „Ihr seid ein Brief Christi“. Paulus kann sogar noch etwas hinzufügen, da er gehört hatte, dass die Versammlung in Korinth zu einem guten, geistlichen Zustand wiederhergestellt worden war: „Von euch ist offenbar, dass ihr ein Brief Christi seid.“ Der Apostel unterscheidet also, dass man ein Brief Christi geworden ist auf der einen Seite, und dass man als solcher auch offenbar geworden ist auf der anderen Seite, gekannt und gelesen von allen Menschen. Wenn wir den falschen Gedanken in uns aufnehmen, dass wir ein Brief Christi sein sollen, werden wir daran arbeiten und uns selbst bemühen, ein solcher durch eigene Anstrengungen zu werden. Das aber würde uns nicht nur in eine gesetzliche Beschäftigung mit uns selbst führen, sondern auch das Werk des Geistes des lebendigen Gottes ausschließen.
Tatsächlich werden wir ein Brief Christi nicht durch eigene Bemühungen, sondern durch den Geist Gottes, der Christus auf unsere Herzen schreibt. Wenn wir keine Briefe Christi sind, sind wir überhaupt keine Christen. Ein Christ ist jemand, dem Christus wertvoll geworden ist durch das Werk, das der Geist Gottes in seinem Herzen vollbracht hat. Ein Mensch wird nicht durch die verstandesmäßige Kenntnis Christi zu einem Christen, denn diese kann auch ein unbekehrter Mensch haben. Es geht darum, dass Christus auf das Herz geschrieben wird. Als Sünder entdecken wir, dass wir Christus nötig haben, aber wir sind mit unseren Sünden belastet. Wir finden Erleichterung in der Erkenntnis, dass Christus durch sein Sühnungswerk für unsere Sünden gestorben ist und dass Gott das Werk angenommen und Christus in der Herrlichkeit zu seiner Rechten gesetzt hat. Unsere Zuneigungen werden zu dem Einen gebracht, durch den wir gesegnet worden sind. Er wird uns wertvoll. Das ist der Weg, wie Christus auf unsere Herzen geschrieben wird.
Unsere Verantwortung besteht nicht darin, so gut wie möglich unser Leben zu führen, um ein Brief Christi zu werden, sondern in dem Bewusstsein, dass wir ein Brief Christi sind. Unsere Aufgabe ist, ein solches Leben zu führen, dass dieser Brief von allen Menschen gelesen werden kann. Es ist klar, dass wenn irgendjemand einen Brief schreibt, er das mit dem ausdrücklichen Willen tut, dass dieser auch gelesen wird. Wenn es sich um einen Empfehlungsbrief handelt, soll er die Person empfehlen, die in dem Brief genannt wird. Wenn also der Geist Gottes Christus auf die Herzen der Gläubigen schreibt, dann tut Er das mit dem Ziel, dass sie zusammen ein Empfehlungsbrief werden, um Christus der sie umgebenden Welt zu empfehlen. Durch ihren heiligen und abgesonderten Lebenswandel und durch ihre gegenseitige Liebe, ihre Demut und Sanftmut, ihre Freundlichkeit und Gnade sollen sie den wunderbaren Charakter Christi offenbaren.
Gemeinsam sind wir ein Brief Christi
Es fällt auf, dass der Apostel nicht von „Briefen Christi“ schreibt, sondern davon, dass sie „ein Brief Christi“ sind. Er betrachtet also die Gläubigen zusammen und schreibt, dass sie gemeinsam den Charakter Christi offenbaren. Wir können zu Recht geübt sein, was unseren persönlichen Lebensweg betrifft, zugleich jedoch leider gleichgültig, was den geistlichen Zustand der Versammlung angeht.
So war es bei den Gläubigen in Korinth. Sie führten ihr Leben in unordentlicher Weise. Aber aufgrund des ersten Briefes von Paulus hatten sie sich von dem Bösen gereinigt, so dass er nicht nur sagen kann, dass sie als Versammlung ein Brief Christi waren, sondern dass sie ein Brief waren, „gekannt und gelesen von allen Menschen“.
Inschrift eines Grabes
Aber auch das Geschriebene kann undeutlich werden. Ein befleckter und verwischter Brief hört nicht auf, ein Brief zu sein. Christen gleichen oft der Schrift auf alten Grabsteinen. Sie sind nur noch schwache Hinweise auf eine Inschrift. Ein großer Buchstabe hier und da zeugt davon, dass einmal ein Name auf diesen Stein geschrieben worden ist. Aber er ist so verwittert und verdreckt, dass es nahezu unmöglich ist, die Schrift zu entziffern. So kann es auch bei uns werden.
Als der Geist Gottes am Anfang Christus auf das Herz schrieb, waren die Zuneigungen vorhanden und das Leben sprach deutlich von Christus. Als die Schrift neu und klar war, konnten wir von allen Menschen erkannt und gelesen werden. Aber nach einer gewissen Zeit ist es möglich, dass die Welt wieder ins Herz hineinrutscht. Dann verschwindet Christus mehr und mehr aus unserem Leben. Die Schrift wird immer undeutlicher, bis die Menschen schließlich viel von der Welt und meinem Fleisch sehen können, dagegen wenig – wenn überhaupt etwas – von Christus.