Vers 37: „Da sprach Pilatus zu Ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es: Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme." Also die königliche Stellung und der Ausweis königlicher Stellung liegt darin, daß man Zeugnis für die Wahrheit ablegt. Könige brauchen sich nicht zu fürchten, die Wahrheit zu bezeugen, was auch daraus entstehen mag. Wer eine königliche Stellung einnimmt, gibt Zeugnis von der Wahrheit, es koste, was es wolle. Die Wahrheit ist eine Königin, der man huldigt — wievielmehr ist der Herr König, der da sagen konnte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." Als Kind Gottes bekennt man sich hierzu. Die Kinder Gottes bilden in dieser Welt der Knechtschaft und des Sklaventums ein Königreich und ein Priestertum — ich sage — in dieser Welt der Knechtschaft, wo die einen sich vor dem Tode und die andern sich vor dem Leben fürchten. In dieser Welt von Sklaven stehen Kinder Gottes so königlich da, daß sie priesterlich einstehen können für andere. Um das zu können, muß man frei sein vom eignen Leben und seine eignen Interessen dem Herrn völlig hingegeben haben. Der Heide Pilatus aber weiß nicht, was er mit einem solchen Zeugnis anfangen soll, und dennoch hat es Eindruck auf ihn gemacht. Auf die Bemerkung Jesu: „Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme", antwortet er: „Was ist Wahrheit?" „Und da er das gesagt, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an Ihm." Es ist ihm in dem Manne, der da vor ihm stand, etwas entgegengetreten, was ihn auf die Spur der Wahrheit hätte führen können — aber er war ein unlauterer Mensch. Im entscheidenden Augenblick, wo es sich um seine Stellung handelt, hat er einen Angeklagten preisgegeben, von dem er selbst sagen mußte: „Ich finde keine Schuld an Ihm." Warum tat er das? Aus Furcht, die Juden könnten ihn beim Kaiser verklagen — das war maßgebend für ihn. Wer um seine Stellung besorgt ist, kommt früher oder später auf Abwege. Nun hätte er gern die Juden dazu gebracht, von ihrem Vorhaben abzustehen; darum fügt er hinzu: „Ihr habt eine Gewohnheit, daß ich euch einen auf Ostern losgebe; wollt ihr nun, daß ich euch der Juden König losgebe?" Es lag noch ein Mörder im Gefängnis, und er hoffte, die Juden würden lieber Jesum losbitten als diesen schlechtbeleumundeten Menschen, der im Aufruhr einen Mord begangen hatte, also gemeingefährlich war. In ihren Augen aber war Jesus auch gemeingefährlich, wenn auch in einem andern Sinn. Die Gestalt des Gekreuzigten birgt ein: Anklage in sich, und wenn man sich Ihm gegenübergestellt sieht, kommt einem unwillkürlich die Frage, ob man nicht bisher auf Irrwegen gegangen ist. Die Juden wollten Jesum los sein. Sie wollten lieber einen Mörder in ihrer Mitte haben als Jesum, der ihnen ans Leben ging — an ihr inneres Leben, ihren Charakter, ihre inneren Gebundenheiten.