Vers 6: „Das sagte er aber nicht, daß er nach den Armen fragte, sondern er war ein Dieb und hatte den Beutel und trug, was gegeben ward." Der Herr Jesus „wußte, was im Menschen war". Ja, möchte man da fragen: warum hat Er dann dem Judas die Kasse anvertraut? Damit kund würde, was in seinem Herzen war. Der Herr richtet den Lebensweg eines jeden so ein, daß offenbar wird, was in seinem Herzen ist. Alles — Arbeit und Erquickungsstunden, Freudiges und Widerwärtiges, Leichtes und Schweres — ist so eingerichtet vom Herrn, daß offenbar werde, was in uns ist. Das äußere Leben ist nicht sozusagen aus Zufälligkeiten zusammengesetzt — nicht willkürlich zusammengewürfelt. Es ist kein buntes Durcheinander, sondern es ist alles von weiser Hand hineingeordnet, was Freundes- oder Feindeshand Süßes oder Bitteres hineinbringt, und es muß das alles zum Guten zusammenwirken denen, die vom Herrn zur Herrlichkeit berufen sind und dadurch für ihren hohen, heiligen Beruf heranreifen. Das, was scheinbar Menschen auf ihren Lebensweg legen — was aber im tiefsten Grunde von Gott kommt — soll ihnen helfen, sich ihrer herrlichen Berufung bewußt zu werden.
Am Ende der Laufbahn unseres Herrn reiften Gutes und Böses, Liebe und Haß. Das zeigt sich so recht in unserem heutigen Abschnitt. Gerade wie wir am Schlusse des gegenwärtigen Äon im letzten Kapitel der Offenbarung lesen: „Und Er spricht zu mir: Versiegle nicht die Weissagung in diesem Buche; denn die Zeit ist nahe. Wer böse ist, der sei fernerhin böse, und wer unrein ist, der sei fernerhin unrein; aber wer fromm ist, der sei fernerhin fromm; und wer heilig ist, der sei fernerhin heilig." Die Pharisäer gingen immer weiter in ihrem Haß: „Wer böse ist, der sei fernerhin böse, und wer unrein ist, der sei fernerhin unrein . . . Siehe, ich komme bald, und mein Lohn ist mit mir, zu geben einem jeglichen, wie seine Werke sein werden. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte." — Aber auch die Liebe reife.
„Wer fromm ist, der sei fernerhin fromm . ° ." Je näher der kurze Lebenslauf Jesu seinem Ende kam, um so mehr suchte sich die Liebe der Bethanier Geschwister Ausdruck zu geben.
Vers 3: „Da nahm Maria ein Pfund ungefälschter Narbe . . ." Nach einer Anmerkung der Miniaturbibel ist ein Pfund 325 Gramm — demnach hätte ein Pfund Salbe den Wert von 300 Franken — allerdings eine große Summe. Das ging über den Horizont und die Tragkraft eines Judas. Der Mörder kann Liebe nicht verstehen. Liebe ist Lebensaufbau und Mord Lebensabbruch. Das sind zwei Pole, die einander nie berühren. Nimmermehr konnte Judas ein solches Opfer der Liebe zugeben oder gutheißen. Daß schon der Verrat in seinem Herzen lauerte, das kümmerte ihn nicht, wenn es ihn auch später in Nacht und Verzweiflung stürzte. „Wer böse ist, der sei fernerhin böse . . ." „Siehe, ich komme bald." Der Herr ist nahe, und alles, was jetzt durch die Völkerwelt geht, mahnt die Gemeinde, sich zu wappnen mit göttlicher Waffenrüstung, während innerhalb der Nationen die streitbaren Männer sich immer aufs neue für den Kampf wappnen. Wir haben eine andere Waffenrüstung als jene und danken dem Herrn, wenn wir Ihm noch dienen und in aller Stille ausreifen können für Seine Zukunft.
„Das Haus ward voll vom Geruch der Salbe." Mögen unsere Häuser voll werden vom Wohlgeruch des Evangeliums! Je mehr das Evangelium sich in uns verkörpern kann, um so mehr wirken wir evangelisch. Mit anderen Worten: Verbreiten wir den Wohlgeruch des Evangeliums in unseren Häusern und lassen wir darin keinen üblen Geruch und keine Finsternis mehr aufkommen, so wird der Süßgeruch Jesu Christi in Seinen Jüngern und Jüngerinnen verkörpert. Das wirkt der Heilige Geist in allen, die sich Ihm dazu hingeben. Wie gesagt: Judas konnte den Wohlgeruch der Salbe nicht ertragen. „Das geht denn doch zu weit", dachte er und sprach es auch aus. „Das Geld fürr die Salbe könnte den Armen gegeben werden." Viel lieber hatte er aber das Geld für seinen eignen Beutel und für sich selbst gehabt. „Denn er war ein Dieb..." Also einem Diebe hatte der Herr den Beutel anvertraut — und zwar, damit er offenbar werde als Dieb. Wir beten: „Herr, führe uns nicht in Versuchung!" Dazu gehört, daß die Schwächen unseres Charakters mehr und mehr verschwinden, weil wir uns im Blute Jesu davon lösen lassen, sonst setzt der Feind bei den schwachen Seiten unseres Charakters ein, und wir können dann den Versuchungen, die an uns herantreten, nicht widerstehen.
Man könnte sich mit Recht fragen, wie Judas überhaupt in den Kreis der Jüngerschar gekommen ist? Eine ganze Nacht hat der Herr Jesus auf dem Berge zugebracht mit Seinem Vater, ehe Er Seine zwölf Jünger berief. Es war Gott der Herr, der es so geordnet hat, und der Sohn hat den Judas wie alles andere aus des Vaters Hand genommen. Er wußte von Anfang an, was im Menschen war, und doch, mit welcher Zartheit begegnet Er dem Judas! Selbst mit einem Judas redet Er freundlich und sagt: