Die Königin von Saba hatte von dem Rufe Salomos gehört, aber — steht dabei — „wegen des Namens Jehovas" (1Kön 10,1). Diese beiden waren unzertrennlich. Durch Salomo ist der Ruf des Namens Jehovas weit über Palästina hinausgedrungen — durch seine Weisheit. Wir erkennen in der Königin von Saba ein Kind der Wahrheit, eine suchende Seele — gerade darin, dass, wo etwas an sie herantrat, was über ihren Horizont ging — sie sich aufmachte, als sie von einem König hörte, wie Salomo einer war. Sie wollte ihn kennen lernen. Es heisst hier: „Sie machte sich auf, ihn zu versuchen mit Rätseln" — mit schwierigen Fragen, könnten wir auch sagen. Es waren nicht Rätsel, wie man sie etwa Kindern zum Lösen aufgibt, sondern als Königin, als eine Mutter ihres Volkes hatte sie natürlich allerlei Fragen und Angelegenheiten auf dem Herzen — und da war weit und breit niemand, der ihr Auskunft geben konnte, wo sie, die ja auch eine weise Frau war, sich nicht selbst zurechtfinden konnte.
Wir brauchen höhere Weisheit als die eigene für Erfüllung eines Berufes, an der Gott Wohlgefallen haben soll. Wir sind nicht da für uns selbst. Wir haben in unserer Familie und Umgebung Aufgaben zu lösen — dazu bedürfen wir einer Weisheit, die von oben kommt — nicht der Weisheit von unten — und da wollen wir uns ein Beispiel an dieser Königin nehmen. Es war eine reiche Königin, und sie nahm alles mögliche mit sich, auch Edelsteine, und kam nun zu Salomo mit einem vollen Herzen — einem Herzen voller Fragen. „Sie redete zu ihm alles, was in ihrem Herzen war." (1Kor 10,2). Auch hierin kann sie uns ein Vorbild sein, dass wir morgens und abends und immerdar unser Herz vor Gott ausschütten, alles mit ihm durchsprechen und keine Last auf unseren Rücken nehmen, die der Herr uns nicht selbst auferlegt hätte. Schon dadurch, dass wir uns aussprechen, kann der Herr uns Licht geben — und tut er es nicht sogleich, so warten wir auf seine Stunde. Oft legt er seinen Finger auf etwas, was zuerst fort muss, damit das Licht sich Bahn brechen könne in alle Gebiete unseres äusseren und inneren Lebens, und damit alles in die richtigen Geleise zurückkehre.
Für alle Schwierigkeiten, die die Königin von Saba vor Salomo ausbreitete, hatte er ein Wort, eine Erklärung, eine Hilfe. Es ist schon eine grosse Hilfe für uns, zu wissen, dass unser Herr, der grosse Salomo, Friedefürst) Antwort hat für alles — Erklärung, Richtigstellung für alles, was uns zur Stunde beengt, bekümmert, betrübt — wo wir nicht durchsehen — und dass es nur darauf ankommt, dass wir tiefer kommen ins Licht vor seinem Angesicht, damit wir in seinem Lichte das Leben sehen über das, was uns bekümmert oder bedrückt. Da war keine Sache, die Salomo nicht der Königin von Saba erklärt hätte, und nachdem sie Licht bekommen hat, kann sie ihre Augen auftun und sich umsehen.
Nicht nur in den Worten Salomos war Weisheit, sondern das Haus und alle Einrichtungen, die der König getroffen hatte, waren voller Weisheit. Zuerst hat die Königin die Weisheit in dem Wort gesehen, und jetzt tut sie die Augen auf und sieht, wie überall Weisheit herrscht am Königshofe, wie alles ineinandergreift — sie sieht die Herrlichkeit im Bau der Treppe, den Reichtum bei Tische in allem, was da aufgetragen wurde, in der Wohnung der Knechte, in der Haltung der letzteren, in Aufwartung, Bedienung, Kleidung — kurz in allem. Insbesondere als sie den Aufgang in das Haus Jehovas sah, konnte sie sich nicht mehr halten. „Sie geriet ganz ausser sich." (1Kön 10,4-5) Ja, ja, die Herrlichkeit unseres Herrn muss uns auch noch einmal so entgegentreten, dass es bei uns heisst: „Was in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat er bereitet denen, die ihn lieb haben" (1Kor 2,9), und das offenbart er ihnen jetzt schon, soweit wir es schon hienieden zu tragen vermögen. „Ja", — 1Kön 10,6 — „das Wort ist Wahrheit gewesen, das ich in meinem Lande gehört habe über deine Sachen und über deine Weisheit; und ich habe den Worten nicht geglaubt, bis ich gekommen bin und es gesehen habe." (1Kön 10,6-7)
Nun muss ich gestehen, was ich sehe und höre, übertrifft weit das Gerücht, das zu mir gedrungen war. Man könnte nun denken, die Königin wäre gern dageblieben, wenn sie in die Seligpreisung von 1Kön 10,8 ausbricht: „Glückselig sind deine Knechte, die beständig vor dir stehen, die deine Weisheit hören ..." Das ist die Glückseligkeit, die uns schon hienieden unserem Herrn gegenüber zukommt, dass wir mit allen dunklen Fragen zu ihm kommen können, dass wir uns in allem Wirrwar des Lebens zu ihm flüchten dürfen — und: „So jemand Weisheit mangelt, so bitte er von Gott, der einfältiglich gibt jedermann und rücket es niemand auf." Wir dürfen unser Herz vor ihm ausschütten, dürfen die Aufgaben vor ihm niederlegen, bis er Antwort gibt. Er wird nicht allzulange warten lasten, wenn er auch nicht immer am gleichen Tage anwortet. Glückselig sind deine Knechte.."
Wir haben ja gewiss auch heute morgen schon unsere stillen Augenblicke gehabt und wir sammeln uns am Abend — aber alle besonderen Gebetsstunden und Andachten sollen den Ton angeben für den ganzen Tag, für einen Tag, an dem wir beständig vor dem Herrn stehen und nicht eigene Wege gehen, uns nicht von eigenen Gedanken und Plänen leiten lassen, sondern vor ihm stehen bleiben, um für alles Grosse und Kleine seine Weisheit zu hören, damit Einheit und Harmonie in unser Tun und Lassen komme und dieses arme, an sich unfruchtbare Leben wieder fruchtbar werde für Gott. Frucht zu bringen für Gott ist das Höchste, was ein Menschenkind begehren kann. Und nachdem sie Salomos Weisheit gehört und Salomos Knechte beneidet hatte, preist sie Jehova, den Gott Salomos. Sie geht höher hinauf. Das hast du nicht von dir selbst, sagt sie gewissermassen. Sie gibt Gott die Ehre. O wohl uns, wenn wir nicht mehr eins das andere bewundern, sondern wo wir an einem anderen etwas sehen, was wir nicht haben, zu Gott gehen, dass er uns gebe, was wir brauchen, damit unser Leben etwas abwerfe für ihn — es koste, was es wolle, und es kostet nicht mehr und nicht weniger als unser eigenes Leben.
Wer das eigene Leben nicht lasten will, besten Leben bleibt unfruchtbar. Der Herr kann sich nicht in ihm verherrlichen. Nun preist die Königin das Land selig, das einen solchen Herrscher hat und erkennt darin eine besondere Gnade, die Gott Israel geschenkt hat. Wo wir im Nächsten etwas Gutes finden, wollen wir Gott die Ehre geben und uns sagen: Gott hat es ihnen gegeben, damit ihr Leben fruchtbar werde für andere. Weil Gott Israel — nicht Salomo allein — geliebt hat — weil er Israel zu seinem Volke erwählt hat. Und wir wollen in unseren Geschwistern Erwählte Gottes sehen — das sind sie. Gott hat sie gleich uns herausgenommen aus Ägypten, wenn sie auch noch manches herumtragen, was nicht mit ihrer hohen Berufung stimmt. Jehova hat sie geliebt, und wen er liebt, den muss auch ich lieben und der muss mir immer heiliger werden.
„Um Israels willen hat er dich zum Könige gesetzt, um Recht und Gerechtigkeit zu üben" (1Kön 10,9), nicht um zu glänzen. Der Glanz seiner Weisheit war ja bis nach Reich-Arabien hinübergedrungen — aber nicht um zu glänzen, hatte er diese Weisheit von Gott bekommen, sondern um Recht und Gerechtigkeit zu üben und um den Namen Jehovas hinauszutragen bis über die Grenzen des Landes. Dazu hat Israel einen solchen König von Gott bekommen. Und dann heisst es noch in 1Kön 10,13, nachdem beschrieben ist, was die Königin alles dem Salomo geschenkt hatte: „Und der König Salomo gab der Königin von Saba all ihr Begehr, was sie verlangte, ausser dem, was er ihr gab nach der Freigebigkeit Salomos." „Alles, was ihr bitten werdet im Namen des Herrn, soll euch geschehen", sobald es zur Verherrlichung Gottes ist und zu unserem eigenen Besten.
Unser Herr und König ist noch freigebiger als der König Salomo. Es kommt nur darauf an, dass wir nicht dieses oder jenes begehren, um uns selbst damit zu schmücken, sondern damit wir ihm besser dienen können und unser Leben etwas abwerfe für ihn und zum Aufbau der Gemeinde — denn dazu ist uns das Leben von Gott geschenkt worden. „Niemand lebt ihm selbst und niemand stirbt ihm selbst; leben wir, so leben wir dem Herrn, und sterben wir, so sterben wir dem Herrn" (Röm 14,7-8), und dürfen droben ernten, was wir hienieden gesät haben.