Hermann Menge (1841-1939)
Versliste
Ich sage (oder: meine) aber: Solange der Erbe noch unmündig ist, besteht zwischen ihm und einem Knecht (oder: Sklaven) kein Unterschied, wenn er auch der Herr von allem (oder: Besitzer aller Güter) ist;
er steht vielmehr unter Vormündern und Vermögensverwaltern bis zu dem vom Vater festgesetzten Zeitpunkt.
So standen auch wir, solange wir (geistlich) unmündig waren, als Sklaven unter der Herrschaft der Elemente (vgl. Kol 2,8) der Welt.
Als aber die Erfüllung der Zeit (d.h. der festgesetzte Zeitpunkt) gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, der von einem Weibe geboren und dem Gesetz unterworfen wurde;
er sollte die unter dem Gesetz Stehenden loskaufen, damit wir die Einsetzung in die Sohnschaft (= die Kindschaftsstellung) erlangten.
Weil ihr jetzt aber Söhne (oder: Kinder) seid, hat Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der da ruft: „Abba, (lieber) Vater!“ (vgl. Röm 8,15)
Mithin bist du kein Knecht mehr, sondern ein Sohn; bist du aber ein Sohn, so bist du auch ein Erbe durch Gott.
Damals freilich, als ihr Gott noch nicht kanntet, habt ihr solchen Göttern gedient, die ihrem Wesen nach gar keine Götter sind.
Da ihr jetzt aber Gott erkannt habt oder vielmehr (= richtiger gesagt) von Gott erkannt worden seid: wie könnt ihr euch da nur wieder den erbärmlichen und armseligen Elementen (V.3) zuwenden und Lust haben, ihnen noch einmal von neuem als Knechte zu dienen?!
Ihr beobachtet ja Tage und Monate (oder: Neumonde), Festzeiten und Jahre!
Ich bin um euch besorgt, dass ich vergeblich an euch gearbeitet haben möchte.
Werdet doch so, wie ich (bin)! Denn auch ich (bin so gesetzesfrei geworden), wie ihr (ursprünglich waret; vgl. 1.Kor 9,21), liebe Brüder, ich bitte euch! Ihr habt mir (ja früher) nichts zuleide getan;
ihr wisst vielmehr, dass ich euch das erste Mal (= bei meinem ersten Besuche), veranlasst durch leibliche Schwäche (oder: Krankheit), die Heilsbotschaft verkündigt habe.
Damals habt ihr mich trotz des Anstoßes, den mein leiblicher Zustand bei euch erregen musste, nicht mit Verachtung behandelt und nicht mit Abscheu zurückgewiesen, sondern mich wie einen Engel Gottes, ja wie Christus Jesus (selber) aufgenommen.
Wo ist nun eure (damalige) glückselige Freude geblieben? Ich muss euch ja das Zeugnis ausstellen, dass ihr euch damals, wenn es möglich gewesen wäre, die Augen ausgerissen und sie mir geschenkt hättet.
Sonach bin ich jetzt wohl dadurch euer Feind geworden, dass ich euch die Wahrheit vorhalte (oder: verkünde)?
O sie bewerben sich nicht in guter Absicht eifrig um eure Gunst, nein, sie möchten euch gern (von mir) ausschließen, damit ihr euch dann eifrig um ihre Gunst bemüht.
Schön ist es ja, in guter Sache Gegenstand eifriger Umwerbung zu sein, und zwar allezeit und nicht nur während meiner Anwesenheit bei euch.
Meine lieben Kinder, um die ich jetzt wiederum Geburtsschmerzen leide, bis Christus (endlich) in euch Gestalt gewinnt:
ich wollte, ich wäre gerade jetzt bei euch und könnte in anderem Ton zu euch reden; denn ich weiß mir euretwegen keinen Rat!
Sagt mir doch, die ihr gern unter dem Gesetz stehen möchtet: hört (oder: versteht) ihr denn das Gesetz nicht?
Es steht ja doch geschrieben (1.Mose 21,2.9), dass Abraham zwei Söhne hatte, einen von der Magd (= Sklavin) und einen von der Freien.
Jedoch jener von der Magd war nur sein fleischmäßig (= infolge leiblicher Zeugung) erzeugter Sohn, dieser von der Freien aber war ihm aufgrund der (göttlichen) Verheißung geboren.
Das ist bildlich gesprochen (oder: zu verstehen); denn diese (beiden Frauen) stellen zwei Bündnisse dar, das eine vom Berge Sinai, das zur Knechtschaft gebiert (d.h. die ihm Angehörigen in Knechtschaft versetzt): das ist die Hagar;
das Wort Hagar (= Felsklippe) bedeutet nämlich den Berg Sinai in Arabien, und sie (d.h. die Hagar) entspricht dem heutigen Jerusalem; denn dieses befindet sich (auch) in Knechtschaft samt seinen Kindern.
Das Jerusalem droben dagegen ist eine Freie, und dies (Jerusalem) ist unsere Mutter;
denn es steht geschrieben (Jes 54,1): „Freue dich, du Kinderlose, die du nicht Mutter wirst! Brich in Jubel aus und frohlocke, die du keine Geburtsschmerzen zu leiden hast! Denn die Alleinstehende hat zahlreiche Kinder, mehr als die Verehelichte.“
Ihr aber, liebe Brüder, seid nach Isaaks Art Kinder der Verheißung.
Wie jedoch damals der nach dem Fleisch erzeugte Sohn den nach dem Geist (= nach göttlicher Verheißung) erzeugten verfolgt hat, so ist es auch jetzt der Fall.
Aber was sagt die Schrift dazu? „Verstoße die Magd und ihren Sohn! Denn der Sohn der Magd soll nicht das gleiche Erbrecht mit dem Sohn der Freien haben.“ (1.Mose 21,10)
Darum, liebe Brüder: Wir sind nicht Kinder einer Magd (= Sklavin), sondern der Freien!
Weil (oder: nachdem) bekanntlich schon viele es unternommen haben, einen Bericht über die Begebenheiten, die sich unter uns erfüllt (= vollzogen) haben, so abzufassen,
wie die Männer sie uns überliefert haben, die von Anbeginn an Augenzeugen und (alsdann) Diener des Wortes gewesen sind,
habe auch ich mich entschlossen, nachdem ich allen Tatsachen von den Anfängen an sorgfältig nachgegangen bin (= nachgeforscht habe), alles für dich, hochedler Theophilus, in richtiger (oder: sachgemäßer) Reihenfolge aufzuzeichnen,
damit du dich von der Zuverlässigkeit der Nachrichten (oder: Lehren), in denen du unterwiesen worden bist, überzeugen kannst.
Es lebte zur Zeit des jüdischen Königs Herodes ein Priester namens Zacharias aus der Priesterabteilung Abia; der hatte eine Frau aus der Zahl der Töchter (= der weiblichen Nachkommen) Aarons, die Elisabeth hieß.
Sie waren beide gerecht (= rechtschaffen) vor Gott und wandelten in allen Geboten und Satzungen des Herrn ohne Tadel.
Sie hatten jedoch kein Kind, weil der Elisabeth Mutterfreuden versagt waren, und beide standen schon in vorgerücktem Alter.
Da begab es sich einst, als er nach der Ordnung seiner Abteilung den Priesterdienst vor Gott zu verrichten hatte,
dass er nach dem Brauch der Priesterschaft durch das Los dazu bestimmt wurde, in den Tempel des Herrn zu gehen und dort das Rauchopfer darzubringen (2.Mose 30,7; 1.Chr 24,19),
während die ganze Volksmenge draußen zur Stunde des Rauchopfers dem Gebet oblag.
Da erschien ihm ein Engel des Herrn, der stand auf der rechten Seite des Rauchopferaltars.
Bei seinem Anblick erschrak Zacharias, und Furcht befiel ihn;
der Engel aber sagte zu ihm: „Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet hat Erhörung gefunden, und deine Frau Elisabeth wird dir Mutter eines Sohnes werden, dem du den Namen Johannes geben sollst.
Du wirst Freude und Jubel (= Wonne) darüber empfinden, und viele werden sich über seine Geburt freuen,
denn er wird groß vor dem Herrn sein; Wein und (andere) berauschende Getränke wird er nicht genießen (Ri 13,4-5; 1.Sam 1,11), und mit heiligem Geist wird er schon von Geburt an erfüllt werden.
Viele von den Söhnen Israels wird er zum Herrn, ihrem Gott, zurückführen;
und er ist es, der vor ihm (d.h. dem Herrn) einhergehen wird im Geist und in der Kraft des Elia, um die Herzen der Väter den Kindern wieder zuzuwenden (Mal 3,1.23-24) und die Ungehorsamen zur Gesinnung der Gerechten (zu führen), um dem Herrn ein wohlbereitetes Volk zu schaffen.“
Da sagte Zacharias zu dem Engel: „Wie soll ich das für möglich halten? Ich selbst bin ja ein alter Mann, und meine Frau ist auch schon betagt.“ (1.Mose 15,8; 18,11)
Da antwortete ihm der Engel: „Ich bin Gabriel, der (als Diener) vor Gottes Angesicht steht, und bin gesandt, um zu dir zu reden und dir diese frohe Botschaft zu verkündigen.
Doch nun vernimm: Du wirst stumm sein und nicht reden können bis zu dem Tage, an dem diese meine Verheißung sich erfüllt, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, die zu ihrer Zeit in Erfüllung gehen werden.“
Das Volk wartete unterdessen auf Zacharias und wunderte sich darüber, dass er so lange im Tempel verweilte.
Als er endlich heraustrat, konnte er nicht zu ihnen reden; da merkten sie, dass er eine Erscheinung im Tempel gesehen hatte; und er seinerseits suchte sich ihnen durch Kopfnicken (oder: Winke) verständlich zu machen, blieb aber stumm.
Als dann die (sieben) Tage seines Priesterdienstes zu Ende waren, kehrte er heim in sein Haus.
Nach diesen Tagen aber wurde seine Frau Elisabeth guter Hoffnung; sie hielt sich fünf Monate lang in tiefer Zurückgezogenheit und dachte:
„So hat der Herr an mir getan in der Zeit, die er dazu ersehen hat, meine Schmach bei den Menschen von mir hinwegzunehmen.“ (1.Mose 30,23)
Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott nach Galiläa in eine Stadt namens Nazareth gesandt
zu einer Jungfrau, die mit einem Manne namens Joseph aus dem Hause Davids verlobt war; die Jungfrau hieß Maria.
Als nun der Engel bei ihr eintrat, sagte er: „Sei gegrüßt, du Begnadete: der Herr ist mit dir!“
Sie wurde über diese Anrede bestürzt und überlegte (= konnte sich nicht erklären), was dieser Gruß zu bedeuten habe.
Da sagte der Engel zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade bei Gott gefunden!
Wisse wohl: du wirst guter Hoffnung werden und Mutter eines Sohnes, dem du den Namen Jesus (vgl. Mt 1,21) geben sollst.
Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden, und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben,
und er wird als König über das Haus Jakobs in alle Ewigkeit herrschen, und sein Königtum wird kein Ende haben.“ (Jes 9,7; 2.Sam 7,12-13)
Da sagte Maria zu dem Engel: „Wie soll das möglich sein? Ich weiß doch von keinem Manne.“
Da gab der Engel ihr zur Antwort: „Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten dich überschatten; daher wird auch das Heilige, das (von dir) geboren werden soll, Gottes Sohn genannt werden.
Und nun vernimm: Elisabeth, deine Verwandte, ist ebenfalls trotz ihres hohen Alters mit einem Sohn gesegnet und steht jetzt schon im sechsten Monat, sie, die man unfruchtbar nennt;
denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ (1.Mose 18,14)
Da sagte Maria: „Siehe, ich bin des Herrn Magd: mir geschehe nach deinem Wort!“ Damit schied der Engel von ihr.
Maria aber machte sich in jenen Tagen auf und wanderte eilends in das Bergland nach einer Stadt (im Stamme) Juda;
dort trat sie in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.
Da begab es sich, als Elisabeth den Gruß der Maria vernahm, da bewegte sich das Kind lebhaft in ihrem Leibe; und Elisabeth wurde mit heiligem Geist erfüllt
und brach mit lauter Stimme in die Worte aus: „Gesegnet (oder: gepriesen) bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes!
Doch woher wird mir die Ehre (oder: das Glück) zuteil, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?
Denn wisse: als der Klang deines Grußes mir ins Ohr drang, bewegte sich das Kind vor Freude lebhaft in meinem Leibe.
O selig die, welche geglaubt hat, denn die Verheißung, die der Herr ihr gegeben hat, wird in Erfüllung gehen!“
Darauf sprach Maria (vgl. 1.Sam 2,1-10): „Meine Seele erhebt den Herrn,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter (oder: Heiland; Hab 3,18),
weil er die Niedrigkeit seiner Magd angesehen hat! (1.Sam 1,11) Denn siehe: von nun an werden alle Geschlechter mich selig preisen,
weil der Allmächtige Großes an mir getan hat (5.Mose 10,21). Ja, heilig ist sein Name (Ps 111,9),
und sein Erbarmen wird von Geschlecht zu Geschlecht denen zuteil, die ihn fürchten (Ps 103,17).
Er wirkt seine Kraft aus mit seinem Arm, er zerstreut, die da hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn (Ps 89,11)
er stürzt Machthaber von den Thronen und erhöht Niedrige (Ps 147,6; Hiob 5,11);
Hungrige sättigt er mit Gütern und lässt Reiche leer ausgehen (Ps 107,9; 34,11; 1.Sam 2,5.7-8).
Er hat sich Israels angenommen, seines Knechts, um der Barmherzigkeit zu gedenken (Jes 41,8; Ps 98,3),
wie er es unsern Vätern verheißen hat, dem Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.“ (Mi 7,20; 1.Mose 17,7)
Maria blieb dann etwa drei Monate bei Elisabeth und kehrte hierauf in ihr Haus zurück.
Für Elisabeth aber erfüllte sich die Zeit ihrer Niederkunft, und sie wurde Mutter eines Sohnes.
Als nun ihre Nachbarn und Verwandten hörten, dass der Herr ihr so große Barmherzigkeit erwiesen hatte, freuten sie sich mit ihr.
Am achten Tage kamen sie zur Beschneidung des Knäbleins und wollten es mit dem Namen seines Vaters Zacharias benennen;
doch seine Mutter sagte abwehrend: „Nein, er soll Johannes heißen!“
Sie entgegneten ihr: „In deiner Verwandtschaft gibt es doch keinen, der diesen Namen führt.“
Sie winkten nun seinem Vater die Frage zu, wie er ihn benannt haben wolle.
Der forderte ein Täfelchen und schrieb die Worte darauf: „Johannes ist sein Name!“, und alle verwunderten sich darüber.
In demselben Augenblick aber wurde ihm der Mund aufgetan, und das Band seiner Zunge (löste sich): er konnte wieder reden und pries Gott.
Da kam Furcht über alle, die in ihrer Nachbarschaft wohnten, und im ganzen Bergland von Judäa wurden alle diese Begebenheiten viel besprochen,
und alle, die von ihnen hörten, nahmen sie sich zu Herzen und sagten (oder: dachten): „Was wird wohl aus diesem Kinde werden?“ Denn auch die Hand des Herrn war mit ihm.
Und sein Vater Zacharias wurde mit heiligem Geist erfüllt und sprach die prophetischen Worte aus:
„Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels! (Ps 41,14; 72,18), Denn er hat sein Volk gnädig angesehen und ihm eine Erlösung geschaffen (Ps 111,4)
und hat uns ein Horn des Heils aufgerichtet im Hause Davids, seines Knechtes (Ps 132,17; 1.Sam 2,10).
So hat er es durch den Mund seiner heiligen Propheten von alters her verheißen:
retten will er uns von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen (Ps 106,10),
um unsern Vätern Barmherzigkeit zu erweisen (Mi 7,20) und seines heiligen Bundes zu gedenken (Ps 105,8-9; 106,45; 1.Mose 17,7),
des Eides, den er unserm Vater Abraham geschworen hat (1.Mose 22,16-17; Jer 11,5), er wolle uns erretten aus der Hand unserer Feinde
und uns verleihen, dass wir ihm furchtlos dienen
in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen alle Tage unsers Lebens.
Aber auch du, Knäblein, wirst ein Prophet des Höchsten genannt werden; denn du wirst vor dem Herrn einhergehen, ihm die Wege zu bereiten (Mal 3,1),
um seinem Volke die Erkenntnis des Heils zu verschaffen, die ihnen durch Vergebung ihrer Sünden zuteil werden wird (Jer 31,34).
So will es das herzliche Erbarmen unsers Gottes, mit dem uns der Aufgang aus der Höhe erschienen ist (Jes 60,1-2; Mal 3,20),
um denen Licht zu spenden, die in Finsternis und Todesschatten sitzen (Jes 9,2), und unsere Füße (= Schritte) auf den Weg des Friedens zu leiten.“ –
Das Knäblein aber wuchs heran und wurde stark am Geist und hielt sich in der Einöde auf bis zum Tage seines öffentlichen Auftretens vor Israel.