Hermann Menge (1841-1939)
Versliste
Als nun dem Joab berichtet wurde, dass der König um Absalom weine und trauere,
da wurde der Sieg an diesem Tage zur Trauer für das ganze Volk, weil jedermann an diesem Tage erfuhr, dass der König um seinen Sohn Leid trage.
So stahl sich denn das Heer an jenem Tage zum Einzug in die Stadt heran, wie sich ein Heer heranstiehlt, das sich mit Schmach bedeckt hat, weil es in der Schlacht geflohen ist.
Der König aber hatte sich das Gesicht verhüllt und wehklagte laut: „Mein Sohn Absalom! Absalom, mein Sohn, mein Sohn!“
Da begab sich Joab zum König ins Haus und sagte: „Du hast heute alle deine Knechte offen beschimpft, obgleich sie heute dir sowie deinen Söhnen und Töchtern, deinen Frauen und Nebenweibern das Leben gerettet haben!
Denn du hast denen, die dich hassen, Liebe und denen, die dich lieben, Hass erwiesen; du hast ja heute offen gezeigt, dass dir an deinen Heerführern und Knechten nichts gelegen ist; ja, jetzt weiß ich, dass, wenn nur Absalom noch lebte und wir anderen alle heute tot wären, dir das gerade recht sein würde.
Nun aber stehe auf, lass dich öffentlich sehen und gönne deinen Knechten ein freundliches Wort! Denn ich schwöre dir beim HERRN: Wenn du dich nicht öffentlich sehen lässt, so bleibt kein Mann mehr diese Nacht bei dir, und das wäre für dich schlimmer als alles Unglück, das du von deiner Jugend an bis jetzt erlebt hast!“
Da stand der König auf und setzte sich ins Tor; und als es dem ganzen Volk bekannt wurde, dass der König (nunmehr) im Tor sitze, erschienen alle Leute vor dem Könige. Als nun die Israeliten geflohen waren, ein jeder in seinen Wohnort,
erhob das ganze Volk in allen Stämmen der Israeliten Vorwürfe gegen sich selbst; überall hieß es: „Der König hat uns aus der Gewalt unserer Feinde errettet, er hat uns von der Herrschaft der Philister befreit, und jetzt hat er vor Absalom aus dem Lande fliehen müssen!
Nun aber, da Absalom, den wir zum König über uns gesalbt hatten, in der Schlacht ums Leben gekommen ist: warum zögert ihr da noch, den König zurückzuholen?“
(Als diese Äußerungen des gesamten Volkes zum König drangen) sandte der König David zu den Priestern Zadok und Abjathar und ließ ihnen sagen: „Redet mit den Ältesten von Juda und gebt ihnen zu erwägen: ‚Warum wollt ihr die Letzten sein, die den König in sein Haus zurückführen?
Ihr seid doch meine Stammesgenossen, seid von meinem Fleisch und Bein: warum wollt ihr also die Letzten sein, wo es gilt, den König heimzuholen?‘
Und zu Amasa sollt ihr sagen: ‚Du bist ja doch von meinem Fleisch und Bein: Gott strafe mich jetzt und künftig, wenn du nicht oberster Heerführer bei mir auf Lebenszeit an Joabs Statt wirst!‘“
So gewann er die Herzen aller Männer von Juda, so dass sie einmütig die Aufforderung an den König richteten: „Kehre du mit allen deinen Dienern (oder: deinem ganzen Hofe) zurück!“
So trat denn der König den Rückweg an, und als er an den Jordan gelangte, waren ihm die Judäer nach Gilgal entgegengekommen, um den König einzuholen und ihn über den Jordan zu geleiten.
Auch der Benjaminit Simei, der Sohn Geras, war aus Bachurim mit der Mannschaft der Judäer dem König David entgegengeeilt
und mit ihm tausend Mann aus dem Stamme Benjamin; außerdem auch Ziba, der Hausverwalter Sauls, mit seinen fünfzehn Söhnen und seinen zwanzig Knechten; sie waren schon vor der Ankunft des Königs über den Jordan gesetzt.
Als nun die Fähre hinübergefahren war, um die königliche Familie herüberzuholen und sich dem König zur Verfügung zu stellen, warf sich Simei, der Sohn Geras, vor dem König nieder, als dieser eben über den Jordan fahren wollte,
und richtete an den König die Worte: „Mein Herr wolle mir keine Verschuldung anrechnen und nicht des Vergehens gedenken, das dein Knecht sich hat zuschulden kommen lassen an dem Tage, als mein Herr, der König, Jerusalem verließ! Der König wolle es mir nicht unversöhnlich nachtragen!
Dein Knecht weiß ja, dass ich mich vergangen habe; doch, wie du siehst, bin ich heute als der erste vom ganzen Hause Joseph herabgekommen, um meinen Herrn, den König, einzuholen.“
Als nun Abisai, der Sohn der Zeruja, das Wort nahm und ausrief: „Sollte Simei nicht den Tod dafür erleiden, dass er dem Gesalbten des HERRN geflucht hat?“,
entgegnete David: „Ihr Söhne der Zeruja, was habe ich mit euch zu tun, dass ihr mir heute zum Satan (= Versucher) werden wollt? Heute soll niemand in Israel den Tod erleiden, da ich doch weiß, dass ich heute wieder König über Israel bin!“
Hierauf sagte der König zu Simei: „Du sollst nicht sterben!“, und der König bekräftigte es ihm mit einem Eide.
Auch Mephiboseth, Sauls Enkel, war herabgekommen dem König entgegen; er hatte aber weder seine Füße gereinigt, noch seinen Bart gepflegt, noch seine Kleider gewaschen seit dem Tage, an dem der König weggezogen war, bis zu dem Tage, an dem er glücklich heimkehrte.
Als er nun von Jerusalem her dem König entgegenkam, fragte der König ihn: „Mephiboseth, warum bist du nicht mit mir ausgezogen?“
Da antwortete er: „Mein Herr und König! Mein Diener hat mich betrogen! Dein Knecht hatte sich nämlich vorgenommen: ‚Ich will mir doch meinen Esel satteln lassen und darauf reiten, um mit dem König zu ziehen – dein Knecht ist ja lahm –;
aber er hat deinen Knecht bei meinem Herrn, dem König, verleumdet. Jedoch mein Herr, der König, gleicht (an Weisheit) dem Engel Gottes; so tu nun, was dir gefällt!
Denn da das ganze Haus meines Vaters nichts anderes von meinem Herrn und König hat erwarten dürfen als den Tod und du dennoch deinen Knecht unter deine Tischgenossen aufgenommen hast – welches Recht hätte ich da noch, und was hätte ich da noch vom König zu beanspruchen?“
Der König antwortete ihm: „Was machst du da noch Worte? Ich bestimme hiermit: Du und Ziba sollt euch in den Grundbesitz teilen!“
Da sagte Mephiboseth zum König: „Er mag sogar das Ganze hinnehmen, nachdem mein Herr und König glücklich heimgekehrt ist!“
Auch der Gileaditer Barsillai war von Rogelim herabgekommen und mit dem König an den Jordan gezogen, doch nur um ihn den Jordan entlang zu geleiten.
Barsillai war nämlich sehr alt, ein Mann von achtzig Jahren; und er war’s gewesen, der den König während seines Aufenthalts in Mahanaim (mit Lebensmitteln) versorgt hatte, weil er ein sehr reicher Mann war.
Nun sagte der König zu Barsillai: „Du musst mit mir hinüberfahren; ich will für deinen Unterhalt bei mir in deinen alten Tagen in Jerusalem sorgen.“
Aber Barsillai erwiderte dem König: „Wie viele sind noch der Tage meiner Lebensjahre, dass ich mit dem König nach Jerusalem hinaufziehen sollte?
Ich bin jetzt achtzig Jahre alt: wie könnte ich da noch zwischen Gutem und Schlechtem unterscheiden? Kann dein Knecht etwa noch schmecken, was ich esse und trinke? Oder kann ich noch der Stimme der Sänger und Sängerinnen lauschen? Wozu sollte also dein Knecht meinem Herrn, dem König, noch zur Last fallen?
Nein, nur eben über den Jordan möchte dein Knecht mit dem König fahren. Und warum will der König mir mit so reichem Lohn vergelten?
Lass doch deinen Knecht heimkehren, damit ich in meiner Vaterstadt beim Grabe meines Vaters und meiner Mutter sterbe! Aber siehe, hier ist (mein Sohn,) dein Knecht Kimham: der mag mit meinem Herrn, dem König, hinüberfahren, und tu an ihm, was du für gut hältst!“
Der König antwortete: „Ja, Kimham soll mit mir hinüberfahren, und ich will an ihm tun, was dir erfreulich ist, und will dir jeden Wunsch erfüllen!“
Als dann alles Kriegsvolk über den Jordan gesetzt und auch der König hinübergefahren war, küsste dieser den Barsillai und nahm mit Segenswünschen Abschied von ihm; darauf kehrte jener in seinen Wohnort zurück,
während der König nach Gilgal weiterfuhr und Kimham ihn begleitete. Das gesamte Kriegsvolk von Juda aber und auch die Hälfte des Kriegsvolkes von Israel war mit dem König hinübergezogen.
Da kamen plötzlich alle Männer Israels zum König und fragten ihn: „Warum haben unsere Volksgenossen, die Judäer, dich entführt und haben den König mit seiner Familie und seinem ganzen Hofe über den Jordan gebracht?“
Da antworteten alle Judäer den Israeliten: „Der König steht uns doch am nächsten! Warum regt ihr euch hierüber so auf? Haben wir etwa auf Kosten des Königs gelebt? Oder hat er uns irgendein Geschenk gemacht?“
Aber die Israeliten entgegneten den Judäern: „Wir haben den zehnfachen Anteil am König, und somit haben wir auch an David mehr Anrecht als ihr: warum habt ihr uns also zurückgesetzt? Und haben wir nicht zuerst die Absicht ausgesprochen, unsern König zurückzuholen?“ Die Worte der Judäer aber waren darauf noch leidenschaftlicher als die der Israeliten.
Nun befand sich dort zufällig ein nichtswürdiger Mensch namens Seba, der Sohn Bichris, ein Benjaminit; der stieß in die Posaune und rief aus: „Wir haben keinen Anteil an David und nichts zu schaffen mit dem Sohne Isais! Ein jeder begebe sich in seinen Wohnort, ihr Israeliten!“
Da fielen die Israeliten insgesamt von David ab und schlossen sich an Seba, den Sohn Bichris, an; die Judäer aber blieben ihrem König treu (und geleiteten ihn) vom Jordan bis nach Jerusalem.
Als nun David in seinen Palast nach Jerusalem zurückgekommen war, ließ er die zehn Nebenweiber, die er zur Hut des Palastes zurückgelassen hatte (vgl. 15,16; 16,21-22), in ein besonderes Haus bringen und sorgte dort für ihren Unterhalt, hatte aber keinen Verkehr mehr mit ihnen; so lebten sie eingesperrt bis zu ihrem Todestag gleichsam als Witwen bei Lebzeiten (ihres Mannes).
Darauf befahl der König dem Amasa: „Biete mir die Mannschaft von Juda binnen drei Tagen auf und sei du selbst dann hier zur Stelle!“
Amasa machte sich nun daran, die Judäer aufzubieten; als er jedoch über die ihm genau bestimmte Zeit hinaus ausblieb,
sagte David zu Abisai: „Nun wird Seba, der Sohn Bichris, für uns noch gefährlicher werden als Absalom. Nimm du die Leute deines Herrn und verfolge ihn (d.h. Seba), damit er nicht etwa feste Städte für sich gewinnt und uns viel zu schaffen macht (oder: uns entkommt)!“
Da zogen denn unter Abisais Führung Joab mit seinen Leuten sowie die (Leibwache der) Krethi und Plethi (vgl. zu 8,18) und alle ‚Kriegshelden‘ ins Feld; sie zogen aus Jerusalem aus, um Seba, den Sohn Bichris, zu verfolgen.
Als sie nun bei dem großen Stein in Gibeon waren, kam Amasa ihnen zu Gesicht. Joab aber war mit seinem Waffenrock bekleidet und hatte sich darüber ein Schwert umgegürtet, das ihm in seiner Scheide an die Hüfte gekoppelt war und das er, als er vorging, aus der Scheide herausfallen ließ.
Darauf redete Joab den Amasa mit den Worten an: „Geht es dir gut, lieber Bruder?“ Dabei fasste Joab mit der rechten Hand Amasa beim Bart, um ihn zu küssen.
Amasa hatte aber nicht auf das Schwert geachtet, das Joab in der (linken) Hand hatte; so stieß Joab es ihm in den Leib, so dass ihm die Eingeweide auf die Erde herausfielen und er starb, ohne dass er ihm noch einen zweiten Stoß zu versetzen brauchte. Während dann Joab und sein Bruder Abisai die Verfolgung Sebas, des Sohnes Bichris, fortsetzten,
musste einer von den Leuten Joabs bei Amasa stehen bleiben und ausrufen: „Wer es mit Joab hält und wer für David ist, folge Joab nach!“
Amasa aber hatte sich in seinem Blute gewälzt und lag mitten auf der Straße. Als nun der Mann sah, dass die Leute alle stehenblieben, schaffte er Amasa von der Straße weg aufs Feld und warf einen Mantel über ihn, weil er sah, dass alle, die an ihn herankamen, stehenblieben.
Nachdem er ihn aber von der Straße weggeschafft hatte, zogen alle Leute vorüber hinter Joab her, um an der Verfolgung Sebas teilzunehmen.
Dieser hatte aber alle Stämme Israels bis nach Abel-Beth-Maacha durchzogen (freilich mit geringem Erfolg); nur eben alle Bichrileute waren hinter ihm hergekommen, ebenfalls dorthin.
Nun kamen jene (d.h. die Leute Joabs) heran und belagerten ihn in Abel-Beth-Maacha; sie führten gegen die Stadt einen Wall auf, der an die Außenmauer stieß; und alle Leute Joabs unterwühlten die Mauer, um sie zum Einsturz zu bringen.
Da (trat) eine kluge Frau (auf die Vormauer und) rief aus der Stadt heraus: „Hört, hört! Fordert doch Joab auf, hierher zu kommen: ich möchte mit ihm reden!“
Als er nun nahe an sie herangekommen war, fragte die Frau: „Bist du Joab?“ Er antwortete ihr: „Ja, ich bin’s.“ Da sagte sie zu ihm: „Höre, was deine Magd dir zu sagen hat!“ Er antwortete: „Ich höre!“
Da fuhr sie fort: „Früher pflegte der Volksmund zu sagen: ‚Fragt nur in Abel an!‘, und so kam man glücklich ans Ziel.
Wir gehören zu den friedlichsten, getreusten Leuten in Israel, und du suchst eine Stadt, eine Muttergemeinde in Israel zu zerstören? Warum willst du das Eigentum des HERRN zugrunde richten?“
Da antwortete Joab: „Ganz fern liegt es mir, dass ich zerstören und dass ich zugrunde richten will.
Die Sache liegt nicht so, sondern ein Mann vom Gebirge Ephraim namens Seba, der Sohn Bichris, hat sich gegen den König, gegen David, empört; liefert ihn aus, ihn allein, so ziehe ich von der Stadt ab!“ Da erwiderte die Frau dem Joab: „Sein Kopf soll dir alsbald über die Mauer zugeworfen werden!“
Hierauf redete die Frau (in der Stadt) mit ihrer Klugheit auf die ganze Einwohnerschaft so lange ein, bis sie Seba, dem Sohne Bichris, den Kopf abhieben und ihn dem Joab zuwarfen. Da ließ Joab mit der Posaune zum Abzug blasen, und seine Leute zogen von der Stadt ab und zerstreuten sich, ein jeder in seinen Wohnort; Joab aber kehrte nach Jerusalem zum König zurück.
Joab war oberster Heerführer in Israel; Benaja, der Sohn Jojadas, war Befehlshaber (der Leibwache) der Krethi und Plethi (vgl. zu 8,18);
Adoram (oder: Adoniram) war Oberaufseher über die Fronarbeiten; Josaphat, der Sohn Ahiluds, war Kanzler;
Seja war Staatsschreiber; Zadok und Abjathar waren Priester,
und Ira, der Jairit, war ebenfalls ein Priester Davids.